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Ausgabe:

Dezember/2021

Spalte:

1185-1188

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baden, Joel S., and Jeffrey Stackert[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of the Pentateuch.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2021. XVI, 572 S. = Oxford Handbooks. Geb. US$ 145,00. ISBN 9780198726302.

Rezensent:

Eckart Otto

Nachdem Baruch de Spinoza im 17. Jh. im Namen der Gedankenfreiheit, die sich keinem Diktat eines Anspruchs auf Offenbarung unterwerfen soll, im nachexilischen Esra den Redaktor des Pentateuch sah und damit seine Mosaizität in Frage stellte, die einige Jahrzehnte später J. Astruc, der Leibarzt Ludwig XV., durch die Annahme retten wollte, Mose habe sich in der Genesis einiger Quellen bedient, so dass er mit einer Art Bibliothekswagen durch die Wüste gereist sein müsste, hat die exegetische Forschung ein Textgebirge der Literaturgeschichte des Pentateuch aufgetürmt, hinter dem Mose und Esra gleichermaßen verschwinden. An die Stelle des hebräischen Textes und seiner Übersetzungen tritt eine Fülle von hypothetisch rekonstruierten Quellen und Schichten, so dass es nicht verwunderlich ist, dass in der Theologie und in den angrenzenden Disziplinen ein Bedürfnis nach Zusammenschau der zahlreichen ausdifferenzierten Perspektiven und Ergebnisse einer Literaturgeschichte des Pentateuch zunimmt, dessen Befriedigung die zahlreich erscheinenden Handbücher zum Pentateuch und seinen einzelnen Büchern dienen sollen, wenn nicht gleich das Scheitern der diachronen Erforschung der Literaturgeschichte des Pentateuch ausgerufen wird. Das liegt dem hier anzuzeigenden Handbuch sehr fern, es bemüht sich um einen thematisch breit gestreuten Überblick über die diachrone exegetische Forschung am Pentateuch.
Die Herausgeber sehen die gegenwärtige Diskussion um die Literaturgeschichte des Pentateuch gekennzeichnet durch die Al­ternative eines »transmission historical approach«, den die überwiegende Mehrheit der Exegeten in Europa, Amerika und Israel vertritt, indem sie mit einer Abfolge von Überlieferungen und ihren redaktionellen Bearbeitungen im Pentateuch rechnet, und einem »appproach of the New Documentarians«, dem die Herausgeber dieses Handbuchs zuzurechnen sind, wobei sie selbst einräumen, dass er in der gegenwärtigen Forschungslandschaft »less prominent« sei. Die Vertreter dieser Richtung rechnen damit, dass der Pentateuch durch die mechanische Verknüpfung literarisch ur­sprünglich selbständiger Quellen J, E, P und D entstanden ist, weshalb der vorliegende hebräische Text weitgehend nicht interpretierbar sei, es vielmehr der Quellenscheidung bedürfe, um literarisch geschlossene Texte zu erzeugen. Die Stärke des Handbuchs liegt darin, dass seine Herausgeber beide Richtungen zu Wort kommen lassen, wobei dem »transmission historical approach«, dem sich auch der Rezensent zurechnet, in den in drei Kapiteln zusammengestellten Beiträgen der deutlich größere Raum eingeräumt wird.
Das erste Kapitel zu »Text and Early Reception« eröffnet Olivier Artus, der den literarischen Ursprüngen und Intentionen der fünf Bücher des Pentateuch nachgeht und nach ihrer literarischen und theologischen Kohärenz fragt. Der Vf. gibt allen, die nicht unmittelbar an der Pentateuchforschung beteiligt sind, einen guten Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand.
Sidnie White Crawford zeichnet die Geschichte der Textzeugen des Pentateuch von den Inschriften im 7. Jh. v. Chr. bis zu mittelalterlichen masoretischen und samaritanischen Texten nach. John J. Collins schreibt zum nachexilischen Pentateuch auf dem Weg zur Rechtskraft in kultischen und zivilrechtlichen Angelegenheiten. Molly Zahn, die sich der Mose-Tradition im nachexilischen Pentateuch zuwendet, weist darauf hin, dass die Redaktoren im »transmission historical approach« ihre Existenz nicht der überlieferungsgeschichtlichen Hypothese verdanken, sondern redaktionelle Aktivitäten »are demonstrable throughout the manuscript record such as we have it, and it would be very surprising if they did not occur frequently throughout the course of the development of the Pentateuch« (85). Magnar Kartveit beschreibt die Literaturgeschichte des samaritanischen Pentateuch und Cécile Dogniez die der Sep­tuaginta.
Über dieses erste Kapitel hinaus sollte als Grundsatz der Textarbeit gelten: Umso intensiver ein Text bearbeitet wurde, umso mehr ist zu erwarten, dass Spannungen und Unebenheiten beseitigt worden sind. Stehen sie weiterhin unverkennbar im Text, sollte man zunächst prüfen, ob sie bewusst stehengelassen oder gar als Textmarker eingefügt wurden, ehe man sie zum Anlass nimmt, einen Text literarkritisch in Quellen zu zerlegen. Wird dieser Grundsatz beherzigt, ergeben sich erhebliche Konsequenzen für jede Literaturgeschichte des Pentateuch, die gegenwärtig vor der Frage steht, ob man davon ausgehen kann, dass der proto-masoretische Text synchron als Einheit interpretierbar ist oder ein interpretierbarer Text erst literarkritisch herzustellen sei.
Das zweite Kapitel »The Formation of the Pentateuch« wendet sich Aspekten der Forschungsgeschichte zum Pentateuch zu.
Jean Louis Ska skizziert knapp die Entwicklung kritischer Exegese des Pentateuch von der Antike bis zu Spinoza, Rudolf Smend die Entwicklung der Quellenscheidung bei A. Kuenen und J. Wellhausen, die die Quellenredaktion nicht mechanisch verstanden, sondern ihr auch als Ausgangspunkt von Fortschreibungen eigenes theologisches Profil zuerkannten. Die Gegenposition der »New Documentarians« innerhalb der Urkundenhypothese schließt sich mit dem Beitrag von Baruch J. Schwartz an, der in Redundanzen, Widersprüchen, narrativer Diskontinuität und terminologischer Inkonsistenz Kriterien der Quellenscheidung sehen will und sie an Textbeispielen erläutert.
Thomas B. Dozeman zeichnet die Eingrenzung von J. Wellhausens Quellenscheidung durch H. Gunkels Formgeschichte und ihre Fortschreibung u. a. durch Klaus Koch nach. Daran schließt zur Redaktionsgeschichte Reinhard G. Kratz an, der sich nach eigenem Bekunden auf seine ergänzungstheoretischen Hypothesen zur Literaturgeschichte des Pentateuch konzentriert und zu dem dann nicht erstaunlichen Ergebnis kommt, »evidence supporting the Documentary Hypothesis has not been found«. Allerdings dürfte auch die Voraussetzung seiner eigenen Fortschreibungshypothese kaum überzeugen – dass nämlich Gen 17 literarisch von der Einleitung der Abraham-Erzählungen in Gen 12,1–3 abhängig sei, die kaum vorpriesterschriftlich ist.
Die Aufgabe, den gegenwärtigen Stand der Diskussion der redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zur Literaturgeschichte des Pentateuch zu skizzieren, ist Reinhard Müller zugefallen – eine komplexe Aufgabe, der er mit Umsicht gerechtgeworden ist. Jakob Wöhrle informiert ebenso überzeugend über den Forschungsstand zur Priesterschrift und Udo Rüterswörden zum Buch Deuteronomium, der zu Recht an einem spät-vorexilischen »Urdeuteronomium« festhält, ohne aber darin eine Revision einer elohistischen Quelle E zu sehen. Jeffrey Stackert will die literarischen Relationen und Funktionen der Gesetzeskorpora im Pentateuch nachzeichnen, indem er sie als rein literarische Produkte innerhalb der Quellen als ihr jeweiliger Kontext entstanden versteht. Man darf fragen, ob eine so konsequente literarische Reduktion unter Ausblendung aller Rechtsfunktionen der rechtlichen und literaturgeschichtlichen Komplexität der Gesetzeskorpora von Bundesbuch, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz gerecht werden kann.
Frank Polak sucht Kriterien zur Identifikation vorexilischer Stoffe im Pentateuch zu benennen und legt dabei den Schwerpunkt auf eine Konvergenz von Kultur- und Sprachentwicklung. Rainer Albertz sucht nach Kriterien zur Identifikation nachexilischer Stoffe im Pentateuch. Ausgehend von Esra 7 zeichnet er kultische und institutionelle Neuerungen der post-exilischen Zeit nach, die sich im Pentateuch widerspiegeln sollen, und stellt dazu die fünffache Fortschreibung der Priesterschrift in PB1–5 ins Zentrum (siehe dazu ThLZ 146 [2021], 634–636).
Das dritte Kapitel »The Pentateuch and Its Social World« sucht die Literaturgeschichte des Pentateuch in ihre sich wandelnden sozialen Kontexte einzuzeichnen.
Angela Roskop Erisman knüpft an den Abschnitt zur Formgeschichte und zu der Frage nach dem »Sitz im Leben« von Überlieferungen des Pentateuch an. Sie plädiert dafür, zwischen Form und Gattung zu unterscheiden und in Letzteren kognitive Modelle zu sehen und nicht nur ein Klassifikationsinstrument. »If we think classification is the goal of genre analysis, we are likely to decompose the narrative into sources and redactions in a way that destroys its fabric and to misinterpret its place in Israelite literary history« (371 f.), so die Vfn. zu Ex 14. Sie sucht mit ihrem Beitrag eine Spaltung von Ästhetik und Historie in der Literaturgeschichte des Pentateuch zu vermeiden, was auch ein Anliegen von Klaus Koch in seiner linguistischen Fortschreibung der Formgeschichte war. Die Vfn. sieht mit Hans Robert Jauss in der Literaturgeschichte – als Rezep-tionsgeschichte verstanden – die Disziplin, durch die eine Spaltung in einen geschichtslosen Formalismus und eine historische Interpretation, die sich auf die Ableitung historischer Prozesse aus sozialen Gegebenheiten beschränkt, überwunden werden kann.
Daran schließt der Beitrag von David P. Wright zur altorientalischen Kontextualisierung des Pentateuch an, insofern diese Kontextualisierung auch Teil der von Angela Roskop Erisman in den Blick genommenen Literaturgeschichte als Rezeptionsgeschichte sein soll. Der Vf. diskutiert die Kontextualisierung der Erzvätererzählungen anhand der ugaritischen Kirta- und Aqhat-Epen, die des Bundesbuchs in Ex 20–23 anhand der Gesetzessammlung des Hammurapi, die des Deuteronomium in Dtn 13 und 28 anhand des Loyalitätseids des assyrischen Königs Asarhaddon und schließlich die der Urgeschichten in Gen 1–9 in Relation zum Gilgamesch-Epos. In diesem Zusammenhang repetiert der Vf. seine bereits monographisch vorgetragene These, dass Ex 20–23 eine transformierte Rezeption der Gesetze des Hammurapi aus neuassyrischer Zeit sei, was der literarischen Komplexität des Bundesbuches und der entsprechend komplexen Beziehung zum Keilschriftrecht kaum gerecht wird (cf. E. Otto, Oxford Encycl. of Bible and Law, 2015, 68–77), sich aber glatt in die These seines Schülers Jeffrey Stackert einpasst, das Bundesbuch sei ein rein literarisches Produkt ohne Rechtsfunktion.
Israel Finkelstein evaluiert den Beitrag, den die Archäologie zur Erforschung des Pentateuch beisteuern kann, um die Historie hinter den Erzählungen von Erzvätern, Exodus und Wüstenwanderung zu erhellen. Der Vf. kommt zu dem Ergebnis, dass die Archäologie nicht die Tendenz von Exegeten stützt, die Redaktionen einer Vielzahl von Texten des Pentateuch in Jehud/Judea der persischen oder frühhellenistischen Zeit zu verorten. Stattdessen empfiehlt er den Exegeten, Redaktionen eher in der spätvorexilischen oder späthellenistischen Zeit zu verorten und, sofern sich die babylonische oder persische Zeit als unabdingbar für die Datierung der Redaktionen erweise, sie in der Diaspora zu lozieren.
So wie D. P. Wright dem Einfluss des keilschriftlichen Rechts auf das biblische Recht nachgeht, fragt Yitzhaq Feder nach dem Einfluss keilschriftlicher Ritualtexte auf die der Bibel, insbesondere auf die der Priesterschrift. An Klaus Koch u. a. anknüpfend rechnet der Vf. damit, dass die P-Erzählung mit Julius Wellhausen zwar spät zu datieren sei, die rezipierten Ritualüberlieferungen in P aber eine ältere Vorgeschichte haben, die bis in das 2. Jt. reichen könne.
Mark G. Brett untersucht ausgehend von der These einer persischen »Reichsautorisation« der Tora die Großreichskontexte, die sich in der Literaturgeschichte des Pentateuch niedergeschlagen haben, und fragt nach einer »postcolonial perspective« der Forschung als dem Pentateuch angemessen mit dem Ergebnis, dass sich im Pentateuch ein »pattern of resistance to imperial impositions« aufweisen lasse. Reinhard Achenbach schreibt über den Pentateuch außerhalb des Pentateuch von der Prophetie des 8. Jh.s, der Jesaja-, Jeremia- und Ezechielrolle bis zur Tempelrolle und dem Jubiläenbuch. Den Beitrag zeichnet besonders sein Materialreichtum kreativ bearbeiteter Bibeltexte und das große Spektrum der einbezogenen Forschungsliteratur aus.
Ehud Ben Zvi schreibt zum Pentateuch als social memory in einer resulta-tiven Perspektive einer konstruierten Welt der Literatur der persischen Zeit sowohl in Jerusalem wie in Samarien, deren Kennzeichen sei, einer Vielstimmigkeit im Pentateuch Raum zu geben. Das weise auf eine Gesellschaft, die auf soziale Kohäsion abziele, nicht aber auf ideologische »Reinheit«. Sofern der Pentateuch ein Gemeinschaftsprojekt in Jerusalem und Samarien war, sei dieses Ziel für beide Seiten in Anschlag zu bringen.
James W. Watts beschreibt die Schriftwerdung der Tora mit dem Ziel ihrer mündlichen Verkündigung und ihrer Ikonisierung von der persischen bis in die frühchristliche Zeit. Der Vf. macht diese Entwicklung der Schriftwerdung an ihren personifizierten Wendepunkten von Esra, Judas Makkabäus, Juda haNasi und Irenäus fest.
Herauszuheben ist die hohe wissenschaftliche Qualität aller Beiträge in diesem Handbuch zum Pentateuch, das sich auch in der vorliegenden englischsprachigen Fassung hervorragend als Grundlage für den akademischen Unterricht an Universitäten und Hochschulen eignet, was eine Übersetzung dennoch wünschenswert macht. Den beiden Herausgebern ist Dank zu sagen für die Mühe der Edition, insbesondere für die kluge Erstellung des Programms des Handbuchs auch unter Hintanstellung eigener Vorlieben und Forschungshypothesen zugunsten eines breiten Fächers an Forschungsgesichtspunkten. Dem Rezensenten sei aber gestattet, darauf hinzuweisen, dass ein methodischer Aspekt der Pentateuchforschung, der zukünftig eine immer größere Rolle spielen wird, nicht zu Wort gekommen ist: der der zahlreichen synchronen Zugänge zum Pentateuch, die vor die Aufgabe stellen, künftig diachrone und synchrone Arbeit am Pentateuch zu vermitteln. Dabei sollte die Exegese des Pentateuch auch die implizite antike Literaturtheorie im Pentateuch erfassen und berücksichtigen, so dass historisch-kritische Arbeit am Pentateuch nicht gegen, sondern mit dem Text arbeiten kann.