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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1117–1119

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Swarat, Uwe

Titel/Untertitel:

Gnade und Glaube. Studien zur baptistischen Theologie. Bibel – Rechtfertigung – Gemeinde und Kirche – Kirche und Staat.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 240 S. Kart. EUR 40,00. ISBN 9783374068357.

Rezensent:

Rosemarie Wenner

Das Vorwort des Autors zu diesem lesenswerten Sammelband beginnt mit einem Hinweis auf die Geschichte des Baptismus. Aus kleinen Anfängen 1610 in England wurde eine weltweite Bewegung mit 62 Millionen getauften (erwachsenen) Mitgliedern. Uwe Swarat ist Baptist und lehrt Systematische Theologie und Dogmengeschichte an der Theologischen Hochschule Elstal des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. »Gnade und Glaube« enthält Aufsätze und Vorträge, die er zwischen 1998 und 2020 verfasste. In den Erörterungen nimmt S. auch Bezug auf Geschichte und Theologie von ökumenischen Partnern, die er gut kennt und deren Positionen er fair und verständlich referiert.
Im ersten Teil geht es um das Bibelverständnis, beginnend mit einer chronologischen Schilderung der Entwicklungen im Täufertum. Die Täuferbewegung begann in der Reformationszeit als Laienbewegung, die das sola scriptura zum leitenden Prinzip erhob, dies führte auch zur Praxis der Glaubenstaufe. S. merkt zwar an, dass die Gefahr einer »vordergründigen Schriftgemäßheit« be­stand, die den Geist des Evangeliums vernachlässigte. Er betont jedoch, ohne dies weiter zu begründen: »Diese Kritik trifft freilich nicht, was die Täufer über das Wesen der Gemeinde, die Verkehrtheit der Kindertaufe und die Notwendigkeit der Gemeindezucht lehrten.« (15) Der Baptismus versteht sich ebenfalls als Bibelbewegung. Schriftgemäßheit von Lehre und Leben ist wesentlich. Der Gefahr eines gesetzlichen Biblizismus muss dabei gewehrt werden. In dem Aufsatz »Schrift und Bekenntnis nach baptistischem Verständnis« betont S., dass die Heilige Schrift im Baptismus die normierende Norm ist, an der sich Bekenntnisse zu messen haben. Laut S. können sie dann ebenfalls Lehrautorität beanspruchen. Ein blick in Entwicklungen in der Schriftauslegung, die dem ge­schichtlichen Gewordensein der biblischen Schriften Rechnung tragen, eröffnet ein Aufsatz über baptistische Kommentare zum Babel-Bibel-Streit (1902–1905).
Die folgenden Kapitel sind dem Thema Rechtfertigung aus Glauben gewidmet. S. veröffentlicht einen 2002 auf dem freikirchlich-römisch-katholischen Symposium gehaltenen Vortrag zum Thema »Rechtfertigung in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht«. Die Liste der Übereinstimmungen ist lang. S. sagt u. a., dass frei-evangelische Gemeindeglieder und Katholiken gemeinsam glauben, dass »der Taufe ein bestimmtes Wirken der Rechtfertigungsgnade am Täufling vorausgehen muss«. Offen bleibt, so S., »wie sich diese Erkenntnis mit der Bejahung der Säuglingstaufe verträgt« (69). Im nächsten Beitrag kommentiert S. die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von Lutheranern und Katholiken. Inhaltlich betont der Baptismus das Zusammenwirken von Sündenvergebung und neuem Leben sowie die Entscheidungsfreiheit des Menschen, Gottes Gnade anzunehmen. Hinsichtlich des Zusammenhangs von Rechtfertigung und Taufe sieht S. durchaus Brücken sowohl zur römisch-katholischen als auch zur lutherischen Lehre. Fragen an das Sakraments- und Kirchenverständnis bleiben für ihn jedoch offen.
Unter der Überschrift »Gerecht und Sünder zugleich« stellt S. die ökumenische Debatte über diese Formel Martin Luthers vor. Dabei referiert er unterschiedliche Auslegungen von Röm 7 und plädiert dafür, dass sowohl die Erfahrung einer grundlegenden Lebenswende als auch die täglich neue Hinwendung zu Christus und damit die Abwendung von der Sünde nötig sind.
Im Folgenden geht es um das Kirchenverständnis. Beginnend mit einem Aufsatz zu den Kennzeichen der wahren Kirche legt S. dar, dass Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden nicht nur durch die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament, sondern auch durch die Antwort auf die Verkündigung im Glauben definiert wird. Kirche bleibe zwar ein corpus permixtum. Doch die sichtbare Kirche brauche Gemeindezucht, damit ihre Gestalt zu einem Zeugnis für die verborgene eine, heilige, katho-lische und apostolische Kirche werden kann. Mit Bezug auf den Buchtitel »Gnade und Glaube« hätte ich mir hier eine stärkere Gewichtung der Gnade Gottes gegenüber der Antwort des Glaubens gewünscht.
Es folgen zwei Aufsätze, die nach der ekklesiologischen Begründung des Gemeindebunds im Verhältnis zu den Ortsgemeinden fragen. Im Baptismus bestehe die Neigung, so S., Gemeinde und Kirche ausgehend vom Individuum zu definieren. Gemeinde und Kirche seien jedoch von Gott geschaffen. Wegen des Ringens um die Wahrheit brauche es auch Konfessionen, die wiederum untereinander interkonfessionelle Einheit pflegen. Dass S. Einheit graduell bewertet mit dem größten Maß an Einheit innerhalb von Orts-gemeinden, gefolgt von der Einheit in einer Konfession, halte ich sowohl theologisch als auch empirisch für fragwürdig. In einem weiteren Aufsatz wird dieselbe Thematik aus der Perspektive reformatorischer Ekklesiologie beleuchtet, die, laut S., unter »Kirche« vor allem die örtliche Gottesdienstgemeinde verstehe, wo Gottes Wort gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden. Der Kongregationalismus trage diesem Verständnis Rechnung. Schwächen sieht S. sowohl darin, dass dem Gemeindebund kaum theologische Bedeutung beigemessen wird, als auch in mangelnder Verbindlichkeit der Ortsgemeinden gegenüber dem Bund.
Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 verfasste S. den Beitrag »Reformation – einst und immer – Über das Ziel einer ›Reformation‹ der Kirche«. Lehre und Praxis der Kirche seien ständig auf Christus hin zu orientieren und zu reformieren. S. bezweifelt, dass dies in volkskirchlichen Strukturen gelingen kann, und sieht insbesondere in täuferischen Freikirchen Luthers Zwei-Regimente-Lehre konsequent angewandt. Um die Rezeption der Zwei-Regimente-Lehre geht es auch in dem Aufsatz »Luther und Baptisten über Glaubensfreiheit«. S. beklagt, dass sie weder von Martin Lu­ther noch durch die Landeskirchen konsequent angewandt wurde. Persönlichkeiten in der Täuferbewegung und im Baptismus handelten eindeutiger nach den Prinzipien, dass staatliche Gewalt in religiösen Fragen nicht urteilen darf und dass die Gewissensentscheidung der Gläubigen zu respektieren ist. Dies führt zu einer klaren Trennung von Kirche und Staat, wie sie in den USA auf den Baptisten Roger Williams zurückgehend sogar Eingang in die Verfassung fand. Dass auch bei solch strikter Trennung teils problematische Einflussnahme kirchlicher Akteure in staatliches Handeln existiert, lässt S. unerwähnt.
Der letzte Beitrag ist eine in deutscher Sprache bisher nicht veröffentlichte Studie, in der S. klassische Konzepte zum Verhältnis von Kirche und Staat aus baptistischer Perspektive darstellt. Er unterscheidet die Haupttypen Staatskirche, Theokratie und Trennung von Kirche und Staat. Laut Luthers Zwei-Regimente-Lehre geht es in Kirche um das ewige Leben und im Staat um irdische und zeitliche Gerechtigkeit. Dem stimmen nach S. täuferische Kirchen zu. Anders als die frühen Täufer wollen sich Baptisten nicht aus der Welt zurückziehen. S. sagt jedoch, dass ein Christ unterschiedlich zu handeln habe, je nachdem, ob er als Weltperson oder als Christ gefordert sei. Gleichzeitig stellt er fest, dass beide Rollen durch die Bindung an Gottes Gebot und durch die Liebe verbunden seien. Damit nährt er selbst die Frage, ob die Zwei-Regimente-Lehre in der Praxis anwendbar ist. Schließlich ist Gottes Reich zwar nicht mit der Welt gleichzusetzen, aber auch nicht klar von ihr zu scheiden und es ereignet sich nicht nur in der Kirche.
Insgesamt ist das Buch eine anregende und lehrreiche Lektüre, die auch für theologisch interessierte Laien verständlich ist. S. gibt Einblicke in Geschichte, Gegenwart und Theologie der Baptisten im Gegenüber zu theologischen Positionen anderer Kirchen, er beschreibt den angelsächsischen und den deutschen baptistischen Kontext und fordert die Lesenden mit klaren Aussagen zur eigenen Positionierung heraus. Sowohl die klare Gliederung als auch das ausführliche Register erleichtern die Arbeit mit dem Buch. Der zweite Band zum Thema Taufe und Abendmahl, den S. im Vorwort ankündigt, ist meines Erachtens nicht nur wünschenswert, sondern nötig. Denn im vorliegenden Band sind die Aussagen zum Tauf- und Sakramentsverständnis holzschnittartig. Da das Taufverständnis nicht unerheblich ist, wenn es um Rechtfertigung, Glaube und die Lehre der Kirche geht, braucht es diesen weiteren Baustein, um den Baptismus verstehen zu können und im ökumenischen Gespräch weiterzukommen.