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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1116–1117

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ruster, Thomas

Titel/Untertitel:

Balance of Powers. Für eine neue Gestalt des kirchlichen Amtes.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 232 S. Kart. EUR 22,00. ISBN 9783791730998.

Rezensent:

Michael Plathow

»In diesem Buch unterbreite ich einen Vorschlag für eine neue Gestalt des Amtes in der römisch-katholischen Kirche«; so leitet Thomas Ruster seine Studie ein (9). Im Hintergrund steht der Priestermangel; vor allem aber sei es Zeit für eine andere, theologisch verantwortete Gestalt des kirchlichen Amtes. Die Umsetzung des II. Vatikanums will R. vorantreiben, biblisch begründet und ökumenisch anschlussfähig.
Kapitel 1 skizziert das »neue Modell« (21.212.214): Aufgrund der Taufe haben alle Getauften Anteil an Christi Amt als Priester, König, Prophet und sind zur Wahrnehmung dieser drei Ämter in der Kirche berufen und berechtigt. Amt, munus, meint Gabe und Aufgabe. Das herkömmliche Priesteramt bedarf einer neuen Gestalt. Die »Leitidee« (15) dafür lautet: Gerufen und berufen durch die Gemeinde, ordiniert und eingesetzt durch den Bischof, der die »Einheit und gegenseitige Durchdringung der Ämter Christi« re­präsentiert (32), werden die drei Ämter »öffentlich«, zeit-, haupt-, nebenamtlich, in einer »balance of powers« (21.32.147.159) ausgeübt zum Wohl des Ganzen. Gegenüber dem durch »Konsekrationsvollmacht« gekennzeichneten herkömmlichen Priesteramt (74) handelt es sich um ein mehrgliedriges Amtsverständnis. Es verbindet Partizipation, Kommunikation und Lernfähigkeit.
Biblisch-theologisch und theologiegeschichtlich – mit Hinweisen auf M. J. Scheeben. Y. Congar (175 f.), auf den pastoralen Aspekt mit dem »Beispiel der Diözese Poitiers« (50 f.) und auf R. Guardinis »Berufungspastoral« (63 ff.) – stellt R. in Kapitel 4–7 mit L. Schick das Verständnis des dreifachen Amtes Christi in der römisch-katholischen Theologie dar. Eine Zuordnung der drei munera zu den zwei potestates (ordinis, iurisdictionis mit den Vorrechten der Kleriker vor den Laien) blieb bis zum II. Vatikanum noch unbeantwortet. Als »überraschendes Wirken des Heiligen Geistes« (177) versteht R. darum die Dogmatische Konstitution »Lumen gentium«, und zwar die Teilhabe des Volkes Gottes an den drei Ämtern Christ, wodurch »Wesen und Sendung« der Kirche bestimmt wird (LG 10–13). »Die Munera-Ekklesiologie des II. Vatikanums katapultiert die katholische Kirche in die Moderne.« (182) Offen blieb noch die Zuordnung von gemeinsamem Priestertum der Gläubigen und hierarchischem Priestertum: das Verständnis von »Wesen (essentia) nicht bloß dem Grade nach« (LG 10, 2) und »auf ihre Weise (suo modo)« (LG 31). Das »neue Modell« will »mit dem Konzil über das Konzil hinausgehen« (192.213), wofür es Ansätze in der II. vatikanischen »Propositio chiliensis« gibt, deren Einfluss aber ausfiel (192 ff.). Indem die Kirche, die am dreifachen Amt Christi teilhat, ihr »sakramentales Sein an die munera einzelner Menschen« vermittelt, sind diese Ämter von sakramentaler Qualität. Die Teilhabe an den Ämtern Christi gestaltet sich als »die Art, mit Christus eins zu sein« (Gal 2,20), als die Beziehung, aus der heraus »Christen und Christinnen handeln in der Person Christi« (220). Die Firmung als »Sakrament der Berufung« (216) erfährt, wie R. hervorhebt, besondere Bedeutung.
Mit der Drei-Ämter-Lehre begründet R. die neue Gestalt des kirchlichen Amtes. Er nimmt Bezug auf J. Calvins »Entdeckung« des biblischen Munera-Tenars (Institutio [1559] II, 16,1 ff.) und verweist auf weitere protestantische Einflüsse (etwa B. Wannenwetsch, 131 ff.). Zu ergänzen sind u. a.: J. Gerhard, Loci theologici (1610–1622) loc. IV, cap. 15; F. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 2, § 102–105; K. Barth, KD IV/1, 231 ff.; IV/2, 173 ff.; IV/3, 12 ff.52 ff.206 ff. (von R. aufgenommen, 164–168), M. Welker, Gottes Of­fenbarung. Christologie (2012), 198 ff. In kirchliche Erklärungen hat das Munera-Tenar Eingang gefunden – abgesehen von der Inte-gration der Drei-Ämter-Lehre in »Lumen gentium« – in die GEKE-Studie »Die Kirche Jesu Christi. Die reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit« (1994), 2.5.1.2; hier wird die Teilhabe an und Berufung des allgemeinen Priestertums zu den drei Ämtern Christi expliziert.
Es war E. Schlink, der in der »Ökumenischen Dogmatik« (1989) das dreifache Amt Jesu Christi entfaltet (411–419); gegenwärtig durch den Dienst der Kirche (509–571) beruft und sendet Christus alle Glieder des Gottesvolkes (600–614). Schlink zeigt die fundamentale Bedeutung des Munera-Tenars – bei einer noch viel weiter reichenden neutestamentlichen Bezeugung des Heilswerks Christi (415) – in den verschiedenen Kirchen. Mit Verweis nicht nur auf römisch-katholische Theologen, sondern auch auf orthodoxe wie P. Trempela, Dogmatik der orthodoxen katholischen Kirche Bd. II (1959), 143–203, und weiter auf D. Staniloae, Orthodoxe Dogmatik, Bd. II, 89 ff.178 ff., stellt Schlink auf S. 414 fest: »Bei der Ausbreitung der Lehre vom munus triplex Christi handelt es sich um ein öku menisch einmaliges Phänomen. Denn dieses Lehrstück hat nicht vor, sondern nach der Trennung der Kirchen seine dogmatische Gestalt gewonnen und hat sich mit seinen Aussagen über das Heilswerk Jesu Christi quer durch die Kirchentrennungen hindurch als gemeinsame Lehre durchgesetzt.
R.s in der Drei-Ämter-Lehre gründende »neue Gestalt des kirchlichen Amtes« gibt eine theologisch verantwortete Antwort auf den Priestermangel in der römisch-katholischen Kirche. Ökumenisch anschlussfähig ist sie – als »differenzierter Konsens« oder »begrenzter Dissens« – mit dem mehrgliedrig und synodal strukturierten evangelischen Amtsverständnis. Das Munera-Tenar erweist sich so als »factum oecumenicum« (34).
Möge die Studie wirkungskräftige Anregungen für die Neu-gestaltung des römisch-katholischen Amtes geben sowie für die Konvergenz im ökumenischen Amtsverständnis und damit für wechselseitige eucharistische Gastbereitschaft sich als Kirche Jesu Christi anerkennender Kirchen.