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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1072–1074

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ludwig, Ulrike

Titel/Untertitel:

Das landesherrliche Stipendienwesen an der Universität Wittenberg unter den ernestinischen Kurfürsten von Sachsen. Norm und Praxis.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 576 S. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 35. Geb. EUR 128,00. ISBN 9783374056040.

Rezensent:

Patrick Schiele

Ulrike Ludwig legt mit ihrer Studie zum landesherrlichen Stipendienwesen an der Universität Wittenberg in der ersten Hälfte des 16. Jh.s den Ertrag ihrer langjährigen Forschungsarbeit im Umfeld der Wittenberger Universitätsgeschichte vor. Diese fällt insbesondere in ihre Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem von 2009 bis 2018 an der Stiftung LEUCOREA in Wittenberg angesiedelten Forschungsprojekt »Das ernestinische Wittenberg. Universität und Stadt (1486–1547)«.
Die immense Bedeutung der Studienförderung für die Studienfinanzierung der Universitätsbesucher sowie für den Finanzhaushalt frühneuzeitlicher Universitäten wurde von der universitätsgeschichtlichen Forschung bereits vor geraumer Zeit erkannt. Dennoch beschränkt sich der Forschungsstand auf knappe Übersichtsdarstellungen sowie Einzelarbeiten, etwa zu einzelnen Stipendienstiftungen, -typen oder Universitäten. Für die Universität Wittenberg liegen bereits zwei Einzelstudien vor mit Schwerpunkt auf private und auswärtige Stiftungen, weniger auf die landesherrliche Studienförderung, in Wittenberg in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s beziehungsweise zur Stipendienordnung von 1544/45 mit Fo­kus auf die normativen Bestimmungen sowie der Haltung der Reformatoren zu Fragen der Studienförderung. Eine landesherr- liche Fördertätigkeit vor dieser ersten Stipendienordnung lag damit zuletzt noch weitgehend im Dunkeln und wurde sogar in Frage gestellt. L. tritt folglich an, um das von ihr beschriebene Forschungsdesiderat einer »systematischen Untersuchung des ernestinischen Stipendienwesens an der Wittenberger Landesuniversität bis zum Jahr 1547 unter modernen Fragestellungen« (16) einzulösen.
Die Studie stützt sich auf umfangreiche und teilweise erstmals systematisch ausgewertete Quellenbestände zur landesherrlichen Studienförderung im Bestand des Ernestinischen Gesamtarchivs in Weimar. Neben Korrespondenzen zur kurfürstlichen Stipendienvergabe, Bittschreiben, Gutachten, kurfürstlichen Bescheiden, Verschreibungsurkunden und Stipendiatenlisten sowie Zeugnissen wertet L. Hinweise in Kopial-, Rechnungs-, Dekanatsbüchern, Universitätsmatrikeln und weiteren Quellen aus. Sie identifiziert dabei nicht weniger als 192 namentlich genannte Personen, die vor 1547 eine landesherrliche Förderung für Studien in Wittenberg erhielten. Die erarbeiteten Personenskizzen zu den Stipendiaten stellen den größeren Teil des Bandes (309 von 579 Seiten) dar und enthalten im Idealfall neben festgestellten Namensvarianten, Herkunftsort sowie entsprechenden Normformen auch Angaben zu familiären Verhältnissen der Stipendiaten. Den Hauptteil bilden Angaben zum Stipendium: zur Herkunft der Stipendiengelder, der Stipendienstelle sowie gegebenenfalls zum jeweiligen Vorgänger, zur Höhe der gewährten Mittel sowie chronologisch geordnete Angaben zum Stipendienverlauf. Diese sind hauptsächlich aus den Bittschreiben erarbeitet, die als Regesten beigegeben sind. Aus ihnen geht regelmäßig auch die soziale Herkunft sowie gegebenenfalls die Beziehung zum Landesherrn hervor, auf die sich die Bittsteller berufen. Ergänzt werden biographische Angaben aus weiteren Quellen und ausgewählter Forschungsliteratur, die für jede Personenskizze abschließend ausgewiesen werden.
Den Personenskizzen der Stipendiaten im zweiten Teil des Bandes stellt L., nach einleitenden Ausführungen zu Begrifflichkeit, Forschungsstand und Quellenlage, eine Darstellung der Entwicklung des ernestinischen Stipendienwesens in Wittenberg von den Anfängen bis zum Verlust der Kurwürde an die albertinische Linie 1547 voran. Sie unterscheidet hierbei drei zeitliche Abschnitte: Für die vorreformatorische Zeit kann L. bereits wenige sporadische oder auch regelmäßige kurfürstliche Studienunterstützungen nachweisen, die eher den Charakter von »privaten Stiftungen« trugen und in der Regel aus landesherrlichen Kassen finanziert waren. Die Reformation schuf mit der Sequestration und Säkularisation von Kirchengütern völlig neue finanzielle Voraussetzungen für die Studienförderung und einen erhöhten Bedarf an bekenntnistreuen Nachwuchskräften für den Schul-, Kirchen- und Landesdienst. In den 1520er Jahren und bis zum Beginn der 1540er Jahre wurden die sächsischen Kurfürsten zunehmend in Fragen der Stipendienvergabe und -verwaltung involviert, da sie als oberste Kirchenherren in letzter Instanz über die Nutzung von Präbenden zur Studienförderung zu entscheiden hatten. Die Stipendienordnung von 1544/45 regelte schließlich die bis dahin unsystematische Praxis der Stipendienvergabe und klärte die unübersichtliche Fördersituation. Die Ausführungen zur Stipendienpraxis ergänzt L. noch um Exkurse zur Unterbringung der Stipendiaten sowie zur Bedeutung Melanchthons für das landesherrliche Stipendienwesen. L. stellt Vorbereitung, Bestimmungen und Ausführung der Stipendienordnung dar und leistet überdies noch einen Vergleich der Wittenberger Verhältnisse zu den Entwicklungen in Marburg, Tübingen, Leipzig und Jena.
Dass sich dieser aus arbeitsökonomischen Gründen hauptsächlich auf die Ebene der Stipendienordnungen beschränkt, ist nachvollziehbar. Als einziger Kritikpunkt kann höchstens angeführt werden, dass Ausführungen über die Vergleichbarkeit der in den Ordnungen genannten Fördersummen hinsichtlich ihrer Kaufkraft zu den unterschiedlichen Zeiten an den unterschiedlichen Universitätsstandorten fehlen, zumal L. ihre Ausführungen sonst stets durch einen ausführlichen Anmerkungsapparat unterlegt. Im Anhang liefert L. Übersichten der kurfürstlichen Stipendiaten für das Sommersemester 1564 sowie das Rechnungsjahr 1569/70. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personen- und Ortsregister komplettieren den Band.
Die Fülle der von L. zutage geförderten Quellennachweise für eine frühe Stipendientätigkeit der ernestinischen Kurfürsten be­reits lange vor der Stipendienordnung von 1544/45 weisen nicht nur L. als intime Kennerin der einschlägigen Archivbestände und Quellen aus und erweitern durch die Auswertung bislang unbeachteter zentraler Überlieferung den Forschungsstand beträchtlich. Die erarbeiteten Personenskizzen werden auch nachfolgenden universitäts-, sozial- und personengeschichtlichen Forschungen als wertvolle Grundlage dienen. Für weiterführende Informationen verweist L. auf die durch die Stiftung LEUCOREA in Wittenberg sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Personendatenbank »Corpus Inscriptorum Vitebergense (CIV)« (civ-online.org), welche sämtliche Einträge in die Wittenberger Universitätsmatrikel von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges erfasst. Hier sind bereits jetzt zahlreiche weitere Angaben zu den Wittenberger Universitätsbesuchern zusammengeführt, u. a. Biogramme der graduierten Absolventen der theologischen Fakultät als Ergebnis des bereits abgeschlossenen Teilprojekts »Theologiae Alumni Vitebergenses (TAV)«. Analoge Projekte zu den juristischen sowie medizinischen Fakultäten sind in Vorbereitung.