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Ausgabe:

November/2021

Spalte:

1031–1033

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Grabbe, Lester L.

Titel/Untertitel:

A History of the Jews and Judaism in the Second Temple Period. Vol. 3: The Maccabaean Revolt, Hasmonaean Rule, and Herod the Great (175–4 BCE).

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. XXV, 609 S. = The Library of Second Temple Studies, 95. Geb. £ 150,00. ISBN 9780567692948.

Rezensent:

Michael Tilly

Im dritten Teilband seiner umfangreichen historischen Darstellung des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels behandelt Lester L. Grabbe den Zeitraum von der Krise unter Antiochos IV. bis zur Herrschaft Herodes d. Gr. Der einleitende erste Hauptteil bzw. Kapitel 1 (3–37) thematisiert zunächst die generellen hermeneutischen Rahmenbedingungen einer derartigen Rekonstruktion der Geschichte des antiken Judentums und befasst sich mit der Frage nach dessen Selbstwahrnehmung, welche er nicht als »religious«, sondern als »ethnic« bezeichnet (12). Diskutiert werden sodann chronologische Fragen, insbesondere das komplizierte Problem der Harmonisierung der in den Quellen begegnenden unterschiedlichen Zeitrechnungen, sowie die Institution des Sabbatjahres.
Der zweite Hauptteil des Buches widmet sich den archäologischen und literarischen Quellen. Kapitel 2 (41–78) bietet einen umfassenden Überblick der aktuellen Grabungsbefunde hinsichtlich sämtlicher (insgesamt 41) relevanter Ortslagen, des regionalen epigraphischen Befundes sowie der beachtenswerten Münzprägungen und Siegel. Kapitel 3 (79–110) stellt die für eine Rekonstruktion der geschichtlichen Vorgänge und Entwicklungen auszuwertenden zeitgenössischen jüdischen Schriften vor (1.2Makk, Dan, Josephus und Philon, äthHen 83–108, Jub, Jdt, Bar, TestMos, Arist, Pseudo-Hecataeus, PsSal, Weish), Kapitel 4 (111–119) die bedeutsamen griechischen und lateinischen Texte.
Aspekte der religiösen, politischen und sozialen Verhältnisse im Mutterland und in der Diaspora thematisiert der dritte Hauptteil. In Kapitel 5 (123–133) skizziert G. knapp die wirtschaftlichen Verhältnisse. Dabei teilt er Sylvie Honigmans (2014) Einschätzung der seleukidischen Steuer- und Tributforderungen als maßgeblicher Impulse für die Entstehung der makkabäischen Erhebung (124). Um jüdische religiöse Strömungen und Gruppierungen (Ḥasidim, Sadduzäer, Boethusianer, Pharisäer, »Schriftgelehrte«, Essener) geht es in Kapitel 6 (134–175). Beachtenswert erscheint mir G.s begründete Skepsis gegenüber einer vorschnellen direkten Verbindung der Entstehung dieser Gruppierungen mit bestimmten politischen, sozialen oder religiösen Krisensituationen (173). Zu betonen wäre meines Erachtens aber auch, dass weder die jeweiligen gesellschaftlichen Funktionen der einzelnen jüdischen Gruppen ohne Weiteres miteinander vergleichbar waren, noch die »Mitgliedschaft« eines Individuums alle (bzw. die gleichen) Bereiche seines Lebens umfasste. Kapitel 7 (176–193) fokussiert das Verhältnis zwischen den Essenern, den Trägerkreisen der Schriftrollen vom Toten Meer und den Bewohnern der antiken Siedlung von Chirbet Qumran, wobei G. hier keinen minimalistischen Standpunkt einnimmt: »The balance of the evidence still favours some sort of relat ionship between a group of ›sectarian‹ documents among the Scrolls and the Essenes« (192). Kapitel 8 (194–219) beschäftigt sich mit der samaritanischen Religionsgemeinschaft. Aufgrund der einesteils mageren, andernteils polemisch motivierten Quellen ließen sich weder die Entstehung des eigenständigen Jahwekultes auf dem Garizim noch das ethnische Profil der »Samaritaner« hinreichend rekonstruieren. Hervorzuheben sei indes, dass die Hellenisierung Syrien-Palästinas sowohl Jerusalem als auch Sichem gleichermaßen betraf: »Both the Jews and Samaritans were affected by it the same as other Near Eastern peoples« (219). In Kapitel 9 (220–230) wendet sich G. den Idumäern, den Nabatäern, den Ituräern und den Parthern zu. Unterstrichen wird dabei die andauernde Rivalität zwischen dem Partherreich und dem römischen Impe- rium im Kampf um die militärische und wirtschaftliche Vor-herrschaft in der Levante. Kapitel 10 (231–247) beleuchtet die Geschichte der Siedlungsgebiete und -zentren des Diasporajudentums (Ägypten, Syrien, Kleinasien, Griechenland, Rom, Babylonien). Während Kapitel 11 (248–261) in Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Positionen in der jüngeren und jüngsten Forschungsgeschichte die Frage nach den eigentlichen Beweggründen der makkabäischen Erhebung diskutiert und dabei zu dem Schluss gelangt, dass die angebliche »Religionsverfolgung« unter Antiochos IV. allenfalls als lokal begrenzte Aktion zur Sicherung politischer Macht in der Provinz (»money and power«) zu bewerten sei (261), nimmt Kapitel 12 (262–291) wichtige Bestandteile des religiösen Lebens (Tempel und Tempelkult, »heilige« Schriften, Beschneid ung, kultische Reinheit, Engelglaube, eschatologische Vorstellungen, Messiasgestalten, Märtyrerfiguren sowie prophetische und »apokalyptische« Geschichts- und Gegenwartsdeutungen) in den Blick. Hinsichtlich der Idee einer individuellen postmortalen Existenz hält G. fest, dass sowohl die differenten perspektivischen Weltwahrnehmungen als auch die unterschiedlichen anthropologischen Konzeptionen gegen die Annahme einer stringenten und systematischen Eschatologie und der leiblichen Auferweckung der Gerechten als »characteristic Jewish belief« sprechen (290).
Eine detaillierte Rekonstruktion der historischen Ereignisse und Entwicklungen enthält der vierte Hauptteil des Buches. In Kapitel 13 (295–309) werden zunächst die Herrscherdynastien der Ptolemäer und der Seleukiden präsentiert und ein Abriss der Geschichte des Aufstiegs Rom zur Weltmacht geboten. Kapitel 14 (310–339) unternimmt den Versuch einer Rekonstruktion der Vorgänge zwischen dem Beginn der Herrschaft des Antiochos IV. über das Seleukidenreich und der gewaltsamen Erhebung der »gesetzestreuen« Judäer, wobei G. betont, dass die konträre Darstellung des Jason und des Menelaos die beiden prominenten Angehörigen des Tobiadenclans wohl bewusst kontrastierend verzeichne (337 f.). Als vertrauenswürdigste Quelle für den Geschehensverlauf in Jerusalem erscheine 2Makk 4,1–50. Von der eigentlichen »Religionsverfolgung« und der durch diese ausgelösten makkabäischen Revolte handelt Kapitel 15 (340–387). Im Hinblick auf die Geschichtlichkeit der Erzählgestalt des »eifernden« Mattathias ist auch G. sehr skeptisch (351 f.). Im Hinblick auf die Historizität eines reichsweiten Verbots der jüdischen Religion durch Antiochos IV. und ihrer gewaltsamen Durchsetzung zur Beseitigung des Unruheherdes in Judäa mahnt er hingegen an, hier nicht zu schnell von einem reinen »literary and ideological construct« zu sprechen (385). Kapitel 16 (388–428) traktiert die monarchische Herrschaft der Hasmonäerfamilie von Jonathan bis Salome Alexandra. Dass der im 1. Makkabäerbuch überlieferte Briefwechsel der judäischen Provinzfürsten mit Sparta und Rom in der dargestellten Weise wohl nicht stattgefunden hat, ist G. durchaus klar (399 f.415 f.), auch wenn er die Bedeutung der Abkommen mit Rom für die Hasmonäer weitaus höher veranschlagt als eine bloße strategisch motivierte Billigung ihrer Regentschaft durch das übermächtige Imperium. In Kapitel 17 (429–448) kommen der Niedergang des hasmonäischen Dynastie und die Umwandlung Judäas in einen abhängigen Klientelstaat zur Sprache. Dabei nimmt die Betrachtung des Aufstiegs Antipaters, des Strategos von Idumäa, und seiner Nachfahren breiten Raum ein. In Kapitel 18 (449–489) geht es schließlich um Herodes d. Gr., der seit 37 v. Chr. als abhängiger Rex socius et amicus populi romani über ein tributpflichtiges Königreich von Roms Gnaden regierte. Dabei stellt G. der Herrschaft des ebenso machthungrigen wie unberechenbaren Tetrarchen insgesamt ein weitaus positiveres Zeugnis aus als z. B. der Evangelist Matthäus: »Judaeans had little reason to complain« (488).
Der fünfte Hauptteil bzw. Kapitel 19 (493–508) enthält eine zu­sammenfassende konzise Betrachtung des Geschichtsverlaufs von Onias III. bis Herodes d. Gr. Beigegeben sind eine Gesamtbibliographie (509–563) sowie ausführliche Indizes der Stellen (564–580), modernen Autoren (581–588) und Sachen (589–609). Auch dieser in benutzerfreundlicher Weise filigran untergliederte Teilband der umfangreichen historisch-kritischen Darstellung der Geschichte des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels bietet nicht nur um-fassende Einzeldarstellungen des aktuellen internationalen Forschungsstandes zu nahezu allen relevanten Aspekten seiner Thematik, sondern enthält auch zahlreiche ausgewogene und plausible Deutungen der komplizierten – und mitunter auch widersprüchlichen – literarischen und archäologischen Quellenbefunde.