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Ausgabe: | Dezember/1998 |
Spalte: | 1200 f |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Fricke, Michael |
Titel/Untertitel: | Bibelauslegung in Nicaragua. Jorge Pixley im Spannungsfeld von Befreiungstheologie, historisch-kritischer Exegese und baptistischer Tradition. |
Verlag: | Münster: LIT 1997. XII, 379 S. 8 = Exegese in unserer Zeit, 2. Kart. DM 58,80. ISBN 3-8258-3140-X. |
Rezensent: | Dorothea Erbele |
Die vorliegende Dissertation führt in Leben und Werk des lateinamerikanischen Alttestamentlers Jorge Pixley ein. Pixley, ein baptistischer Theologe, der hierzulande im Schatten katholischer Befreiungstheologen geblieben ist, hat in Lateinamerika eine große Breitenwirkung erzielt. Der Verfasser spürt der Wirkungsgeschichte Pixleys in dessen Heimatland Nicaragua nach, um ihn auf diesem Umweg dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.
Einleitend (13-65) wird Jorge Pixleys biographischer und kirchlicher Hintergrund erhellt. Als Sohn eines amerikanischen Missionarsehepaars in Nicaragua aufgewachsen, kehrte Pixley nach dem Studium an baptistischen Seminaren in Nordamerika und Dozententätigkeiten an verschiedenen lateinamerikanischen Seminaren 1986 schließlich in das sandinistische Nicaragua zurück, wo er bis heute Altes Testament in Managua lehrt.
Der zweite Teil der Arbeit (66-265) widmet sich Pixleys Bibelauslegungen. F. porträtiert seinen Protagonisten dabei in mehrfacher Hinsicht als einen Grenzgänger, der, wie bereits der Untertitel der Arbeit besagt, im Spannungsfeld zwischen Befreiungstheologie, historisch-kritischer Exegese und baptistischer Tradition agiert. Obwohl Pixley sich zu Beginn der siebziger Jahre den Anliegen der Befreiungstheologie verschrieb, einer Bewegung, die vor allem in katholischen Basisgemeinden ihren Ursprung nahm, ist er bis heute aktives Mitglied einer baptistischen Gemeinde geblieben. Mit seinem dezidiert politischen Anliegen, die Option für die Armen exegetisch zu untermauern, weiß Pixley sich doch zugleich in Einklang mit seinem baptistischen Erbe, der Bindung an die Schrift.
Im Schlußteil (266-338) stellt F. die Ergebnisse einer Reihe von Interviews vor, die er im Rahmen einer Feldforschung 1994/95 geführt hat. Die Stimmen der Befragten (Dozenten, Seminaristen, Pfarrer, Laienprediger und Sonntagsschullehrer, Männer und Frauen) lassen Pixley als Pionier der historisch-kritischen Exegese in Nicaragua erscheinen. Dies ist gerade angesichts des Biblizismus, von dem breite Teile der baptistischen Kirchen und der Pfingstkirchen in Lateinamerika geprägt sind, bemerkenswert. F. fragt allerdings zu Recht kritisch (159 ff. 168f.), ob Pixley mit seiner Prämisse, daß der Exodus das Schlüsselthema des Kanons sei, nicht die biblischen Traditionen unzulässig engführt. So appliziert er vor allem in den Jahren der revolutionären Bewegungen in Lateinamerika - in Nicaragua haben bereits 1979 die Sandinisten die Regierung erlangt - den Kontext des biblischen Textes vorschnell auf die drängenden Fragen der gegenwärtigen Situation. Der protestantische Befreiungstheologe Severino Croatto, von Haus aus ebenfalls Alttestamentler, spricht in diesem Zusammenhang von Konkordismus und bezeichnet damit die Identifikation des Kontextes des Auslegers mit demjenigen des Textes. Anders als Pixley hat sein argentinischer Kollege Croatto eine hermeneutische Theorie aus befreiungstheologischer Perspektive entwickelt. Der Text erschöpft sich nicht in einem einmal fixierbaren Sinn. Die Polysemie des Textes ermöglicht den Lesern vielmehr, den Text in ihrer jeweiligen Situation immer wieder neu auszulegen. Pixley, der selbst in seinem Exoduskommentar den verschiedenen Relektüren des Exodusereignisses innerhalb des biblischen Kanons nachgeht, scheint dieses kritische Potential des Sinnüberschusses des Textes bei seiner Lektüre nicht genügend wahrzunehmen.
Im Sinne der von Erhard Gerstenberger, einem der Herausgeber der neugegründeten Reihe, in seinem programmatischen Vorwort eingeforderten Überwindung der "Provinzialität herkömmlicher Bibelauslegung" (V) wäre es wünschenswert gewesen, daß der Vf. die Bibelauslegungen Pixleys und die Ergebnisse der nordatlantischen Exegese an einigen Stellen intensiver miteinander ins Gespräch gebracht hätte.
F.s Verdienst ist es, Jorge Pixley dem deutschsprachigen Publikum nahegebracht zu haben. Dank seiner Vertrautheit mit der Lage in Nicaragua liefert die Studie unentbehrliche Hintergrundsinformationen zur dortigen politischen, gesellschaftlichen, kirchlichen und bildungspolitischen Situation. Von Symphatie getragene teilnehmende Beobachtung und kritische Distanz gegenüber dem uvre dieses Befreiungstheologen baptistischer Provenienz halten sich dabei die Waage.