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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

991–994

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wrogemann, Henning

Titel/Untertitel:

Intercultural Theology. Vol. 2: Theol-ogies of Mission.

Verlag:

Downers Grove: InterVarsity Press 2018. XX, 454 S. = Missiological Engagements. Geb. US$ 45,00. ISBN 9780830850983.

Rezensent:

Stefan S. Jäger

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Wrogemann, Henning: Intercultural Theology. Vol. 1: Intercultural Hermeneutics. Transl. by K. E. Böhmer. Downers Grove: InterVarsity Press 2016. XXII, 431 S. = Missiological Engagements. Geb. US$ 45,00. ISBN 9780830850976.
Wrogemann, Henning: Intercultural Theology. Vol. 3: A Theol-ogy of Interreligious Relations. Downers Grove: InterVarsity Press 2019. XXI, 502 S. = Missiological Engagements. Geb. US$ 45,00. ISBN 9780830850990.


Bei der hier anzuzeigenden Lehrbuchtrilogie handelt es sich um die nun vollständig vorliegende englische Übersetzung des dreibän-digen Lehrbuchs Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft (LIThM) von Henning Wrogemann (vgl. ThLZ 139 [2013], H. 4; 140 [2015], H. 11; 141 [2016], H. 10). W., Ordinarius für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, der zuletzt auch ein kompaktes Lehrbuch »Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie« (LETh Bd. 10, Leipzig 2020) vorgelegt hat, bringt mit der nun zur Verfügung stehenden Übersetzung seines Opus magnum einen wichtigen Beitrag in den internationalen Diskurs des Fachgebiets ein und füllt damit eine Lücke, wie die Endorsements namhafter Vertreter der Zunft aus dem anglophonen Raum zeigen. Die Übersetzung, die von dem Missionswissenschaftler und lutherischen Pastor Karl E. Boehmer (Südafrika) besorgt wurde, ist dabei eigens zu würdigen.
Der erste Band Intercultural Hermeneutics versteht Interkultu-relle Theologie als interkulturelle Hermeneutik der vielfältigen Formationen eines polyzentrischen Christentums im globalen Kontext und fragt nicht nur nach den Unterschieden, die wertzuschätzen sind, sondern auch nach der Einheit und dem Gemeinsamen in einer interkulturellen Ökumene. Die Hauptthese, dass die wechselseitige Verwiesenheit des jeweiligen Begriffs des Verstehens und des Kulturverständnisses durchschaut werden müsse, wenn anders (interkulturelles) Verstehen möglich sein soll (26), wird in vier Haupt-teilen entfaltet. Zunächst werden die begrifflichen Grundlagen (Se­miotics, Understanding, Foreignness, Culture, Religious Symbols) ge­legt. Teil 2 entfaltet exemplarisch anhand von Beispielen aus dem afrikanischen Kontext verschiedene Typen kontextueller Theologie, bevor drittens ein geschichtlicher Durchgang durch missionarische Grundmuster der Zuordnung von Kultur und Religion geboten wird. Der abschließende vierte Teil diskutiert zentrale Konzepte Interkultureller Theologie wie Inkulturation, Synkretismus, Postkoloniale Studien und Ökumene. Der Begriff der Oikumene, den W. in dieser Schreibweise zur Geltung bringt, will den globalen Horizont einer World Christianity aufzeigen, die weit über klassische Verständnisse einer konfessionellen und institutionellen Ökumene hinausreicht und auch Formationen des Christentums in den Blick nimmt, die jüngere Entwicklungen darstellen. So heißt es am Ende programmatisch: »Of the various theological disciplines, it falls to the subject of intercultural theology/mission studies to describe these processes of localization, globalization and diversification.« (Vol. I, 391)
Im zweiten Band Theologies of Mission entfaltet W. vor dem Hintergrund einer Darstellung der Geschichte der Weltmissionskonferenzen und verschiedener Missionstheologien des 19. und 20. Jh.s sein eigenes Verständnis von Mission als Oikoumenical Doxology, die an seine Veröffentlichung von 2009 (2. Aufl. 2012) »Den Glanz widerspiegeln« anschließt. Über zentrale Themen (Mission and the Kindom of God/Money/›Power‹/Dialogue/Reconciliation/Gender/ Conversion) hinaus finden sich viele hilfreiche Impulse, um missionarisches Handeln der Kirche unter einer Leitperspektive zu bündeln, die theologisch und insbesondere christologisch vom Neuen Testament her entwickelt wird.
Der oi­kumenische Aspekt wird dabei unter den Stichworten Solidarity (Ethics), Plurality (Culture), Cooperation (Partnership) und Creatureliness (Ecology) entfaltet. Anzumerken ist, dass Kapitel IV »Missiologische Wahrnehmung deutscher Kontexte« sowie der Schlussabschnitt V 4.1–4.3 in der Übersetzung vollständig gekürzt wurden, was einerseits nachvollziehbar ist, andererseits auch einen Verlust darstellt. So werden in Kapitel II u. a. nordamerikanische und britische Kontexte dargestellt. Da wäre es auch für englischspra-chige Kontexte durchaus interessant, was sich in Deutschland seit den 1980er Jahren auf diesem Feld getan hat. Auch die Bildtafeln (mit insgesamt 40 Fotos in den drei Bänden) wurden nicht übernommen.
Der dritte Band bietet A Theology of Interreligious Relations. Im Vorwort zur englischen Ausgabe von 2019 betont W. die christologische Basis einer dem neutestamentlichen Zeugnis verpflichteten Theologie Interreligiöser Beziehungen.
Die Grundthese des Bandes lautet, dass es sowohl einer Theorie als auch Theologie Interreligiöser Beziehungen bedarf, die Verengungen der Wahrnehmung bei einer rein intellektuellen Theologie der Religionen aufzeigen können. In den Teilen I und II werden die Facetten bisheriger religionstheologischer Arbeit sowie auch islamische und buddhistische Religionshermeneutiken einer kritischen Würdigung unterzogen. Teil III entwirft eine multiperspektivische Theory of Interreligious Relations, aus der sich auch Konsequenzen für den interreligiösen Dialog (Teil IV) ergeben. Teil V schreitet dann von einer Theory zu einer Theology of Interreligious Relations fort und setzt erstere voraus. W. entwirft sie bewusst als Alternative zu kognitivistisch verengten Religionstheologien, die oft eher Elitediskurse darstellen, ohne die zentrale Bedeutung nicht-theologischer Dimensionen realer Lebenswelten in Rechnung zu stellen. Dabei geht es auch darum, religiöse Letztbegründungsmuster zu respektieren und für ein konstruktives Miteinander der Religionen fruchtbar zu machen, wie anhand neutestamentlicher Fallbeispiele skizziert wird. Den Abschluss bildet eine enzyklopädische Reflexion zum Fach Intercultural Theology als eine »new form of mission studies« (Vol. III, 462).
Die sehr eng am Original bleibende und gut lesbare Übersetzung von Karl E. Böhmer stellt eine beachtliche Leistung dar und verdient eigene Beachtung. Die Literaturnachweise wurden gründlich überarbeitet, aktualisiert und soweit möglich auf englischsprachige Titel umgestellt (inklusive der im angelsächsischen Kontext üblichen Angabe des Verlags). Das ist, zumal bei dem Umfang, eine gehörige Fleißarbeit und erhöht den Nutzwert erheblich.
Lediglich auf wenige Details, der – im Übrigen durchweg sehr genauen – Übersetzung sei hier hingewiesen. Da Volkskirche bzw. die Struktur von Landeskirchen ein deutsches Sondermodell darstellen, gibt es dafür im Englischen keine wörtliche Entsprechung; allerdings ist die Wiedergabe mit state church (= Staatskirche) wie in Vol. II, 380 irreführend. Gewöhnlich wird Volkskirche bzw. Landeskirchen im Englischen umschrieben – je nach Kontext z. B. mit ›folk‹ church, majority churches, traditional oder nationwide churches. Zum anderen findet sich in Band II die zentrale Formulierung einer »Spiritualität der Namensnennung«, die bei W. christologisch durch die Nennung des Namens Jesu Christi bestimmt ist. Statt spiritual-ity of naming the name wird jedoch »spirituality of naming names« (Vol. II, 397) wiedergegeben, was die Pointe an dieser Stelle verfehlt. Gelegentlich finden sich Präzisierungen, die für den anglophonen Raum wichtig sind, wie z. B. Vol. I, 333 Wheaton College anstelle von »theologische Ausbildungsstätte in Wheaton«. Auch kleinere Korrekturen und Aktualisierungen wurden vorgenommen, wie z. B. die »ego psychology« (nicht »Individualpsychologie«) von Erik Erikson (Vol. I, 346) oder die Anzahl der Kirchen im ÖRK (Vol. I, 361).
Mit dieser als Lehrbuch konzipierten Trilogie, die auch in didaktischer Hinsicht überzeugt, bietet W. auf über 1300 Seiten eine fulminante Einführung in die wesentlichen Themen des umfangreichen Fachgebietes mit den auf die drei Bände aufgeteilten Schwerpunkthemen – jeweils in deskriptiver und normativer Perspektive. Die Fülle an Material, das weite Spektrum an Themen und Fragestellungen sowie die methodische Multiperspektivität machen das Opus zu einer wahren Fundgrube und es dürfte bis auf Weiteres den Rang eines Standardwerks einnehmen. Auch wer die deutsche Originalausgabe bereits kennt, wird diese Übersetzung mit Gewinn lesen und nutzen können, z. B. bei Lehrveranstaltungen auf Englisch oder in der Arbeit mit internationalen Studierenden. Aber auch über den akademischen Bereich hinaus werden diese magistralen Bände allen am globalen Christentum und den Fragestellungen Inter-kultureller Theologie Interessierten und in Mission und Ökumene Engagierten gute Dienste leisten, z. B. auch für die Arbeit in und mit Kirchen anderer Sprache und Herkunft. Sie machen sensibel für die Vielfalt kultureller, theologischer und spiritueller Ausdrucksformen des Christlichen in seinen vielfältigen Beziehungen und bieten wesentliche Reflexions- und Orientierungshilfen.