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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

983–985

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Knop, Julia, u. Benedikt Kranemann [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Segensfeiern in der offenen Kirche. Neue Gottesdienstformen in theologischer Reflexion.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 360 S. = Quaestiones disputatae, 305. Kart. EUR 50,00. ISBN 9783451023057.

Rezensent:

Jochen Arnold

Hinter dem einladenden Buchtitel, herausgegeben von den beiden Lehrstuhlinhabern der Erfurter katholisch-theologischen Fakultät, Julia Knop (Dogmatik) und Benedikt Kranemann (Liturgiewissenschaft), verbirgt sich eine Sammlung exegetischer, liturgiewissenschaftlicher und ekklesiologischer Aufsätze von vorwiegend katholischen, aber auch evangelischen Autoren und Autorinnen. Der gemeinsame Nenner ist dabei der Segen als theologisches Thema und liturgischer Vollzug besonders in neueren gottesdienstlichen Formaten. Gegliedert ist das Buch in drei Teile: Segen erkunden – Grundlagen; Segen feiern – Praxismodelle; Segen weiterdenken – Perspektiven.
T. Hieke eröffnet den Band mit zehn Thesen zum Segen in der Bibel, den er als »sinnenfälligen Ausdruck der Zuwendung Gottes« bzw. als »Vermittlung lebensfördernder und heilschaffender Kraft im Namen Gottes« (35) bestimmt. Hieke unterscheidet also nicht wie ältere Arbeiten (Westermann u. a.) zwischen Segen und Rettung. Das Verbum brk (eulogein, benedicere) bezeichne ein »wechselseitiges Kommunikationsgeschehen«, könne also auch für einen preisenden Sprechakt des Menschen an Gott verwendet werden. Hieke betont im Anschluss an Gen 1 den kosmologischen und den inklusiven Charakter des göttlichen Segens: »Alle Menschen sind von Gott gesegnet – damit ist niemand von Gottes Segen ausgeschlossen, und es gibt keine Bedingungen für diesen Segen.« (19) Außerdem werden Fragen von Wirkmacht versus Magie, Segen versus Fluch und das Ineinander von göttlichem und menschlichem Handeln beim segnenden Vollzug diskutiert. Ethische Implikationen kommen ebenfalls zur Sprache: Wer selbst Segen erfahre, spüre die Motivation, sich gegenüber anderen Menschen solidarisch zu verhalten (vgl. 26). Segen sei nach christlichem Verständnis an das Christusereignis und die Ausgießung des Heiligen Geistes gebunden (vgl. auch Winter, 43) und habe in Taufe und Eucharistiefeier die prominentesten Orte im Leben der Kirche (vgl. Winter, 54). Dabei klingt ein scharfer kirchenkritischer Satz an: »Die Verweigerung des Segenszeichens ist eine subtile und daher umso gravierendere Entwürdigung der Ausgeschlossenen. Die eigentliche missionarische Aufgabe der an Christus Glaubenden ist somit nicht, andere fernzuhalten, sondern so zu leben und zu wirken, dass sich andere dem Bereich des Heils im Glauben an Christus öffnen.« (34)
S. Winter differenziert fünf Typen von Segenshandlungen (u. a. Personal- und Sachbenediktionen) und knüpft in seinem Beitrag an die Unterscheidung von Sakramenten und Sakramentalien (»heilige Zeichen«) an, die das Vaticanum II vorgenommen hat. Beide verwiesen jedoch letztlich auf »Christus als das große Mysterium/Sakrament Gottes« (54). Im Anschluss an Hans Joas hält Winter die dem Segnen innewohnende anthropologische Qualität der »Selbstentgrenzung« fest, die sich u. a. in »affektiver Gewissheit« äußert und »Hoffnungspotential« freisetze, das »auch in modernisierten Kontexten wieder vermehrt Möglichkeiten zum gemeinsamen bewussten Bewohnen von Lebenswelten« eröffne (55).
Die zahlreichen liturgischen Praxismodelle bieten einen guten Einblick in die Vielfalt aktueller Segenspraktiken. Die verbreitete Segnung von Neugeborenen (S. Wahle) vor oder anstelle der Taufe zeige, wie einem eher allgemeinmenschlichen Bedürfnis der Begegnung mit Gott entsprochen werde. Solche ritendiakonischen Angebote hätten biographische und lebensgeschichtliche Relevanz (vgl. 92). Sie seien Ausdruck einer kirchlich verantworteten Feier- und Glaubenskultur gerade jenseits klassischer kirchlicher Angebote: »Menschen ohne den Glauben der Kirche« werden darin »handelnde Subjekte« und »bleiben nicht nur Zuschauer« (vgl. 93). N. Stockhoff und E. Handke führen diesen Gedanken im Blick auf Segnungen zur Einschulung und »Jugendrituale für Konfessionslose« weiter aus. Dabei wird auch empirisches Quellenmaterial diskutiert. Handke setzt sich allerdings von einer bloß »ritendiakonischen« Beschreibung der Jugendrituale ab. Mit Verweis auf Tillichs Korrelationsmethode geht es ihr um die »radikale Kontextualisierung der Kommunikation des Evangeliums«. Es brauche »zielgruppengerechte religiöse Formen für Anfangende« (131).
Neben den bereits an vielen Orten praktizierten Segnungsgottesdiensten für Liebende (z. B. am Valentinstag, Beitrag von B. Jeggle-Merz) kommen auch »heiße Eisen« in den Blick. Die Analyse von »Segensfeiern für Wiederverheiratet-Geschiedene« führt A. Odenthal zu der Einsicht, dass bei der herkömmlichen katholischen Eheschließung »einseitig ›die Leistung‹ der Eheleute betont« sei und ein gnadentheologisches Korrektiv fehle, das dagegen in der gen. Segensfeier kräftig zum Leuchten komme. Zugleich ist Odenthal wichtig, dass die »neue Feierform« den Segen »mehr integrativ auf die Grundlage des gemeinsamen Taufpriestertums« stelle (193).
Noch heikler ist im römisch-katholischen Kontext die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. D. Bodenstein und A. Krebs greifen deshalb nur auf Formulare zurück, die von Einzelpersonen (teilweise unter Zusicherung von Anonymität, vgl. 197) zur Verfügung gestellt worden sind. Es gebe diverse Formen des Zuspruchs (oft in Anlehnung an Num 6,24 ff.) und des zwischenmenschlichen Versprechens, wobei die Formel »bis der Tod euch scheidet« nicht vorkomme. Eine Segnungsfeier mit Eucharistie (vgl. 206 f.) enthält immerhin das Gebet: »Dein Segen erhalte ihre Liebe lebendig und phantasievoll bis ins Alter und über den Tod hinaus.« (207) Am Ende steht das Desiderat, die »lehramtlich-moraltheologische Position zu gleichgeschlechtlich gelebter Sexualität und Partnerschaft« zu überprüfen. Die umfangreichen Recherchen brächten einmal mehr ans Licht, »dass der lehramtliche Status quo und die gelebte Wirklichkeit immer weiter auseinanderdriften« (210).
Im letzten Teil des Buches (Perspektiven) finden sich weiterführende Beiträge zur kirchlichen Entwicklung. C. Bauer erzählt in berührender Weise, wie ein Segen am Valentinstag Lebensgeschichte geschrieben hat (214–217), und knüpft an die aufschlussreiche Unterscheidung von »heilig« und »sakral« an: »Im Segen bringt Gottes universaler Heilswille etwas Heiliges zur Darstellung, das beide Sphären [sc. das Sakrale und das Profane] zugleich umfasst, durchdringt und verwandelt – und zwar in Richtung auf heilvolle Ganzheit.« (219) »Das Heilige ist […] keine ›sakralistisch‹ exklusive, sondern eine missionarisch-inklusive Größe, welche die Welt im Zeichen des Heiligen aus sich selbst herauslockt in die Welt« (220). Pointiert: »Weihe schließt aus, Segen schließt ein. Während sich in der Weihe sakralisierende Teilungspraktiken bündeln, stellt der Segen den gesamten Alltag des Menschen unter eine Verheißung heilvoller Ganzheit.« (221) Diesen Zusammenhang sieht Bauer im Lehrschreiben »Amoris laetitia« des amtierenden Papstes verwirk licht, insofern er zu einer Kultur barmherziger Liebe einlade, die »immer geneigt ist zu verstehen, zu verzeihen, zu begleiten, zu hoffen und vor allem einzugliedern.« (AL 312, vgl. hier 225) Auf diese Schrift bezieht sich auch der Beitrag von H. J. Sander, der sich kritisch mit der Formel »von heute bis in Ewigkeit« auseinandersetzt. Provozierend schreibt er, »dass das Sakrament der Ehe nur ge­schlossen werden« könne, »wenn sie scheitert«. Er führt dazu aus: »Die eigentliche Machtfrage beim Ehesakrament verläuft nicht zwischen Recht und Leben, sondern zwischen Leben und Tod. […] Ihr Segen hält schlicht und ergreifend nicht ewig, auch wenn das sehr ersehnt wird und bereits jede Verliebtheit an der Ewigkeit kostet. Das Sakrament der Ehe ist sozusagen aus mit dem Tod …« (288 f.). Daraus folgert Sander scharf: »Wenn Ehe sakramental mit dem Tod leben kann, dann wird sie es auch mit dem Liebestod können.« (292) Was folgt daraus? Es gelte zu entdecken, wie Gott sich besonders in Brüchen zeige: »Gott ist in Trennungen präsent, um Opfer zu retten, die von Paarbeziehungen geschaffen wurden […]. Das Sakrament ist nicht länger an die Eheschließung gekettet.« Der Beitrag von Knop/ Kranemann arbeitet die implizite Ekklesiologie unterschiedlicher Segenshandlungen heraus. Zum einen komme Kirche als Volk Gottes in den Blick, »das aus der Kraft des Gebets und der Versammlung heraus lebt und Verantwortung für ihre Mitmenschen, ob kirchenaffin oder kirchenfern«, übernehme (253). Zum anderen sei die diakonale Dimension (255) zunehmend stärker ausgedrückt. Die Paarsegnungen am Valentinstag manifestierten eine »dynamische, lernende und offene Kirche« (259). Die Segnungen gleichgeschlecht- licher Paare werden zum Dritten interpretiert als »Akt der Umkehr von Kirche«, die sich »von ihrer bisherigen Einschätzung einer be­stimmten Ausprägung von Sexualität lossagt, […] den bisher Verfemten ihre Solidarität zusagt und darin Zeugnis von der Zusage Gottes gibt.« So zeige sich eine »liturgisch erneuerte Ekklesiologie« (262). Kirche präsentiere sich in den neuen Segensfeiern einladend, diakonisch, nicht definitorisch, sondern (ökumenisch) offen, kurz als dynamische Kirche der Getauften (vgl. 263 ff.).
Auf Schritt und Tritt spürt man in diesem Buch, wie sich die römisch-katholische Theologie zu ihrem Lehramt bzw. zur Institution »verhalten« muss. Es liegt auf der Hand, dass einiger Mut dazu gehört, ekklesiologische und liturgische Probleme tatsächlich »beim Namen zu nennen«. Das macht die Lektüre besonders spannend und aufschlussreich.
Man kann die Herausgeberin und den Herausgeber samt den zahlreichen Mitautoren und Mitautorinnen daher – trotz bisweilen weit auseinanderliegender Praktiken und Positionen – zu diesem Wurf nur beglückwünschen und mit ihnen hoffen, dass sich Theologie und Kirche aus der Liturgie heraus in dem beschriebenen Sinne weiter verändern: ehrlich und lebensnah, geistlich und menschlich, zum Segen für die Welt.