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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

933–935

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dinger, Angelica

Titel/Untertitel:

Basileia bei Origenes. Historisch-semantische Untersuchungen im Matthäuskommentar.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. IX, 337 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 194. Lw. EUR 94,00. ISBN 9783161591266.

Rezensent:

Julia Beier

Bei der hier besprochenen Arbeit handelt es sich um die bei dem Doktorvater Markus Wriedt entstandene Dissertationsschrift von Angelica Dinger, die 2018 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main angenommen wurde und 2020 in der Reihe »Beiträge zur historischen Theologie« bei Mohr Siebeck als 194. Band er­schien.
Die Untersuchung hat den Umgang des Origenes mit biblischen Schriften am Beispiel des Begriffs βασιλεία im Matthäuskommentar zum Gegenstand. Anhand dieses Begriffs zeige sich die origenistische Theologie in verdichteter Form und veranschauliche, was er als »christlich« verstehe. Um auszuschließen, dass eine Bedeutungsveränderung durch eine theologische Entwicklung bei Origenes in Bezug auf βασιλεία zu einer Verfälschung der Ergebnisse führt, untersucht D. seine Verwendung lediglich innerhalb eines einzigen Werkes (24 f.). Hier wählt sie wegen der ausgeprägten βασιλεία-Theologie den Matthäuskommentar aus, ein Spätwerk des Origenes als sein gewissermaßen theologisch »letztes Wort« (259), zieht aber noch das systematisch-theologische und etwa zeitgleich entstandene Werk contra Celsum partiell hinzu (25 f.). In ihrer Methodik grenzt sich D. von Forschungsliteratur ab, die den origenistischen Ansatz entweder einer biblisch-kirchlichen, oder einer philosophisch-nichtchristlichen Tradition zurechnet, während ihr Ansatz auf einer historisch-semantischen Analyse frei von dieser Kategorisierung fuße (27–33). D. sieht bei Origenes keinen Widerspruch zwischen christlichem und philosophischem Denken, da es sich hier um spätere Kategorien handle (5), und fragt daher auch unabhängig von solchen Festlegungen, »wie Origenes zu seinen Deutungen des Matthäusevangeliums kommt und inwiefern er damit christliche Identität konstruiert« (10). Als Desiderat sieht D. die Beschäftigung mit einem solchen Begriff als Grundlage für die Herausarbeitung seiner Theologie, das sie mit ihrer Arbeit füllen möchte.
D. nähert sich der origenistischen Verwendung des Begriffs, indem sie seinen Gebrauch zunächst außerhalb der Schriften des Origenes im paganen sowie christlichen Umfeld beleuchtet und überblicksartig im Matthäuskommentar analysiert (Kapitel 1 des Hauptteils, »Der Βασιλεία-Begriff«, 45–65), bevor sie sich dann den verschiedenen Bedeutungsebenen und Kontextualisierungen zu­wendet (Kapitel 2–6 des Hauptteils, 66–284). Bei ihrer Analyse identifiziert D. Themenkreise, die mit dem βασιλεία-Begriff zu­sammenhängen, namentlich »Βασιλεία und die Beschreibungen« (66–120), »Teilhabe an der Βασιλεία« (121–171), »Βασιλεία und die Jünger« (172–195) und »Βασιλεία und ›die Juden‹« (196–224).
Resümierend (116–120) stellt D. im zweiten Kapitel fest, dass Origenes von der göttlichen Inspiration der biblischen Schriften, aber auch von der Bildhaftigkeit ihrer Sprache ausgehe. Diese Beurteilung sei für ihn ein Unterscheidungsmerkmal zu »den Juden«, die diese Symbolik nach seiner Ansicht nicht erkennen würden. Entsprechend könnten sie ohne Abweichung vom reinen Literalsinn die Schriften, die Origenes mit dem Reich Gottes gleichsetze, nicht in ihrer Tiefe erkennen.
Im dritten Kapitel befasst sich D. mit Origenes’ Verständnis von der »Teilhabe am Reich«, wobei sie hier zwischen seinen eigenen Kategorien und denen unterscheidet, die in der Bibel selbst verwendet werden (121–124). Diese Teilhabe wird unter verschiedenen Aspekten betrachtet, beispielsweise als Teilhabe am Reich durch die Erkenntnis der Lehre. Je tiefer diese Erkenntnis sei, desto tiefergehender sei die Teilhabe an der βασιλεία. Auch in diesem Kapitel kommt D. zu dem Schluss, dass die christliche Lehre für Origenes keinen Gegensatz zur philosophischen Lehre darstelle, sondern eine Ergänzung. Die Teilhabe am Reich könne sich bei Origenes aber auch durch Tugend zeigen, wobei die Tugend wieder an die Erkenntnis geknüpft sei (136–153). Auch der Reichtum verhindere nicht per se den Zugang zum Reich, sofern der Mensch dennoch Erkenntnis und Tugend anhäufe (153–169). Außerdem stellt D. fest, dass Origenes zwar Unterschiede zwischen seiner eigenen Lehre und derjenigen griechischer Philosophen wahrnehme, dass er aber im Hinblick auf Tugenden, wie beispielsweise den Verzicht auf weltliche Güter, zu demselben Ergebnis komme wie sie (170 f.).
Im vierten Kapitel wendet sich D. dem Themenfeld »Βασιλεία und die Jünger« zu (172–195). Aufgrund der zuvor schon ausgeführten Prämisse, dass Nähe zur βασιλεία die rechte Erkenntnis voraussetze, stellt sie bei Origenes auch eine Hierarchie zwischen den Jüngern fest, die sich nach dem Grad ihrer jeweiligen Erkenntnis bemesse. Das Verhältnis zwischen Jesus und den Jüngern entspreche weniger unserem heutigen Bild von Jüngerschaft, sondern sei sowohl mit einem Lehrer-Schüler-Verständnis nichtchristlicher Philosophenschulen als auch einem solchen im Bereich des Judentums vereinbar gewesen, ohne dabei die Göttlichkeit Christi aufzugeben.
Im fünften Kapitel »Βασιλεία und ›die Juden‹« stellt D. die schon im zweiten Kapitel anklingende origenistische Deutung heraus, dass die Teilhabe am Reich mit der Anerkennung Christi als Sohn Gottes sowie dem rechten, und damit christlichen Verständnis der Schriften verbunden sei, weshalb sie »den Juden« verwehrt sei (196–224).
Das sechste Kapitel, »Gegenprobe«, dient als Beweisführung, dass die bisherige Analyse der Bedeutung des Begriffs βασιλεία zutreffend sei (225–257). Denn hier untersucht D. Passagen, in denen Origenes das Wort selbst in eine Auslegung einbringt, in deren Bezugstext es gar nicht zu finden ist. D. sieht darin die Abbildung der origenistischen Theologie. Dabei handele es sich stets um eine eschatologische Perspektive, die sich in der Vorstellung von der Teilhabe eines Menschen am Reich in Form seiner Nähe zu Christus zeige (256). Durch die Erkenntnis der βασιλεία als christliche Lehre breche auch das Reich selbst schon im erkennenden Menschen an (262 f.).
Bei der Ergebnissicherung (259–284) stellt D. fest, dass Origenes bei seiner Deutung des Begriffs nicht nur biblische (und hier insbesondere matthäische), sondern auch pagane Texte, wie z. B. Werke von Homer, Platon oder Aristoteles, einbezieht (259 f.). Sie macht auch hier deutlich, dass Origenes christliche und nichtchristliche Lehren nicht als miteinander unvereinbare Lehren verstehe, sie jedoch als Wahrheit nur akzeptiere, wenn sie sich auf Jesus Christus gründeten (278). Mit diesen Formulierungen distanziert sich D. wieder von der Klarheit, mit der sie die Kategorisierung in christ-l iche und nichtchristliche Lehren, wie wir sie heute vielleicht manchmal holzschnittartig vornehmen, noch zu Beginn ihrer Untersuchung abgelehnt hatte (5). Denn dadurch, dass sie Origenes attestiert, keinen Widerspruch in der Kombination beider Lehren gesehen zu haben, impliziert sie gleichzeitig ihre Verschiedenheit und Trennbarkeit. Dies unternimmt sie, ohne diese Modifikation in ihrer eigenen Bewertung anzuzeigen. Insgesamt überzeugt die Arbeit aber durch ihre umfassende Begriffsanalyse und ihren mehrdimensionalen Ansatz. Für weiterführende Untersuchungen könnte es gewinnbringend sein, die Fragestellungen zur βασιλεία auch auf andere Werke des Origenes sowie auf theologische Schriften anderer Verfasser anzuwenden.
Trotz ihrer stark philologischen Ausrichtung ist die Arbeit flüssig lesbar und stilistisch sicher. Lediglich die Zahl der Tippfehler hätte noch stärker reduziert werden können.