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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

912–913

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schart, Aaron

Titel/Untertitel:

Maleachi.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2019. 169 S. = Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. EUR 69,00. ISBN 9783170288485.

Rezensent:

Rainer Kessler

Wer sich an eine Auslegung des Propheten Maleachi macht, muss etliche Grundentscheidungen treffen, die in jüngerer Zeit allesamt umstritten sind. Meist hängen sie aber untereinander eng zusammen. Gegen andere hält Aaron Schart die Sprache der Maleachi-schrift nicht für gehobene Prosa, sondern unterscheidet zwei Ebenen. Er findet eine Grundschicht, die »poetisch geformt« gewesen sei, während ein Redaktor »die poetische Formung […] missachtet« habe (16). Damit ist gegeben, dass S. gegen eine neuere Tendenz – er selbst nennt Willi-Plein, Kessler und Snyman (20, Anm. 18) – die Schift nicht für literarisch einheitlich hält. Neben der Grundschicht stößt man im Lauf der Lektüre des Kommentars auf eine Priester-Schicht, eine Völker-Schicht, eine Levi-Schicht und meh-rere Einzelzusätze von verschiedenen Händen, wobei sich S. oft, aber nie sklavisch, an Jakob Wöhrle (BZAW 389, 2008) anschließt.
Die Maleachischrift setzt sich leicht erkennbar aus einer Abfolge von sechs Disputationsworten zusammen. Deren formale Be­schreibung gehört zu den wenigen Konsenspunkten der neueren Forschung. Mit dem Schichtenmodell ist für S. der Weg für seine Auffassung frei, dass es sich bei den Disputationsworten um Aufzeichnungen tatsächlich stattgehabter Disputationen handelt. Diese seien freilich keine Wortprotokolle, sondern bereits stark stilisiert. Zwar stellt nach S. jedes Disputationswort eine in sich geschlossene Einheit dar, zugleich aber beobachtet er zu Recht immer wieder auch Verknüpfungen zwischen den Worten. Die Vorstellung einiger Neuerer, Maleachi sei von vorneherein schriftlich verfasst worden, sei also von Anfang an »Schriftprophetie« im wahrsten Sinne des Wortes, ist damit zurückgewiesen. Auch hinter Maleachi stehe noch mündliche Prophetie.
Gegen die gelegentlich vorgetragene Auffassung, Maleachi sei als Anhang an das Zwölfprophetenbuch oder an das Haggai-Sacharja-Korpus verfasst worden, hält S. unmissverständlich fest: »Bevor die Maleachischrift in das Zwölfprophetenbuch aufgenommen wurde, war sie eine unabhängige, selbstständige Schrift« (20). In der wiederum umstrittenen Frage, ob Maleachi zunächst direkt an Sach 1–8 anschloss und Sach 9–14 erst später dazwischengestellt wurden, verteidigt S. seine schon früher vertretene Auffassung, dass Maleachi an das bereits bestehende Korpus aus Haggai und Sach 1–14 angefügt wurde.
S.s Grundentscheidungen werden von ihm umsichtig begründet. Die Einzelauslegung setzt diese selbstverständlich voraus, wird von ihnen aber nicht determiniert. Für die Fülle der einzelnen Beobachtungen kann in einer kurzen Besprechung nur auf den Kommentar selbst verwiesen werden.
Eine Anfrage, die sich nicht nur an S. richtet, ist von den Grundentscheidungen relativ unabhängig. S. übersetzt die häufigen Einleitungsformeln göttlicher Rede durchgängig präterital (»hat JHWH gesagt«). Auch bei den Gegnern in der Disputation übersetzt er meist »Ihr habt gesagt …«. Er spricht sogar vom »Tempus qatal«, das einen »in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang« be­zeichne (17). Seit Septuaginta und Vulgata, Luther und King James Bible wurde immer präsentisch übersetzt (τάδε λέγει κύριος, haec dicit Dominus, so spricht der Herr, thus saith the Lord). Erst in neueren wissenschaftlichen Kommentaren (Hill, Meinhold, Willi-Plein) kam das Präteritum auf, was S. übernimmt. Doch daran sind Zweifel angebracht. Nach der Untersuchung von Andreas Wag-ner zu den »so spricht Jahwe-Formeln« (FRLANT 207, 2004) zitieren diese gerade keine vergangene Rede, sondern stellen den aktuell Redenden in die Autorität einer hinter ihm stehenden Macht. Der Botschafter erklärt auf einer Konferenz nicht, was seine Regierung einst gesagt hat, sondern welchen Standpunkt sie jetzt vertritt, da der Botschafter spricht. Der Prophet zitiert kein Wort Gottes, sondern spricht jetzt in der Autorität seines Gottes. Wagner zieht deshalb dem geläufigen (auch von S. gebrauchten) Begriff »Botenformel« den der »Ermächtigungsformel« vor. So gesehen ist das Disputationswort dann doch mehr als »die Aufzeichnung der Dis­putation«, die »auf die eigentliche Disputation zurück[blickt]« (17); die Maleachischrift ist selbst lebendige Auseinandersetzung und blickt nicht bloß auf eine solche zurück.
Zu erwähnen sind abschließend die bei S. in jeder Auslegung vorkommenden Abschnitte »Der Kontext des Zwölfprophetenbuchs«. Dass ein Pionier der Erforschung der Zwölf als Buch, der S. seit seiner Arbeit zur »Entstehung des Zwölfprophetenbuchs« (BZAW 260, 1998) ist, nicht der Versuchung erliegt, jede Anspielung auf auktoriale Absichten und redaktionelle Hände zurückzuführen, ist besonders hervorzuheben. Natürlich notiert er alle Anspielungen, Aufnahmen und Zitate, die sich bei einer so späten Schrift wie Maleachi in großer Zahl nachweisen lassen. Aber er lässt nicht unberücksichtigt, dass vieles auch erst aus der Zusammenstellung auf einer einzigen Schriftrolle und der Lektüre durch die Rezipierenden entsteht. S.s Formulierung, dass der Text »im Kontext des Zwölfprophetenbuchs weiteres Sinnpotenzial« entfalte (46), bringt dies schön auf den Begriff.
Man kann hoffen, dass die entstehende IEKAT/IECOT-Reihe in zügiger Abfolge durch weitere Kommentare deutsch- und englischsprachiger Autorinnen und Autoren auf diesem Niveau bereichert wird.