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Ausgabe:

Oktober/2021

Spalte:

909–912

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller II, Robert D.

Titel/Untertitel:

Yahweh: Origin of a Desert God.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 02021. 253 S. m. 2 Abb. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 284. Geb. EUR 110,00. ISBN 9783525540862.

Rezensent:

Martin Leuenberger

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Pfitzmann, Fabian: Un YHWH venant du Sud? De la réception vétérotestamentaire des traditions méridionales et du lien entre Madian, le Néguev et l’exode (Ex–Nb; Jg 5; Ps 68; Ha 3; Dt 33). Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIV, 536 S. = Orientalische Religionen in der Antike, 39. Lw. EUR 149,00. ISBN 9783161591228.


Dass Jhwh, der Gott der Bibel, ein sich vielfältig wandelnder Gott ist und insofern eine eigene Geschichte besitzt, hat inzwischen über die im engeren Sinne exegetisch-religionsgeschichtliche Forschung hinaus breite Anerkennung erlangt; die damit verbundenen kulturellen, religiösen und theologischen Implikationen werden entsprechend intensiv diskutiert.
Exemplarisch lässt sich die Forschungsdiskussion namentlich für die besonders faszinierenden, aber auch strittigen Anfänge und Ursprünge Jhwhs konkretisieren: Wo liegen sie, welche Profile geben sie zu erkennen und wie weit bzw. wie genau und zuverlässig sind diese und weitere Fragen anhand der uns zur Verfügung stehenden biblischen und außerbiblischen Quellen beantwortbar? Vorab die europäische Debatte etwa seit den 1990er Jahren ist in einem von J. van Oorschot und M. Witte edierten Sammelband (J. van Oorschot/M. Witte [Eds.], The Origins of Yahwism (BZAW 484), Berlin et al. 2017) auf dem Stand von 2017 gut dokumentiert. Daneben und darüber hinaus läuft die internationale Forschung insbes ondere zu den Anfängen, den Eigenarten und der Geschichte Jhwhs weiter und hat sich jüngst in einigen monographischen Darstellungen niedergeschlagen, welche die Forschungslage prägnant repräsentieren (vgl. neben den beiden hier besprochenen Monographien und zahlreichen einschlägigen Aufsätzen besonders die folgenden Arbeiten, die – mit unterschiedlichen Zugängen, Schwerpunkten und Positionen – die angesprochenen Fragen um Jhwhs Anfänge, Eigenart und Transformationen ausführlich be­handeln: Daniel E. Fleming, Yahweh Before Israel: Glimpses of History in a Divine Name, Cambridge 2021; Shawn W. Flynn, A Story of YHWH: Cultural Translation and Subversive Reception in Israelite History. Studies in the History of the Ancient Near East, New York 2020; Theodore J. Lewis, The Origin and Character of God: Ancient Israelite Religion Through the Lens of Divinity, New York 2020). Aus diesem Spektrum werden hier zwei gewichtige Arbeiten herausgegriffen und näher vorgestellt, die sich den Anfängen Jhwhs in unterschiedlicher Weise zuwenden.
Die von T. Römer betreute Lausanner Dissertation Fabian Pfitzmanns konzentriert sich auf die klassische Frage, ob Jhwh aus dem Süden stammt, tut dies jedoch methodisch auf innovative Weise, indem der Vf. den Fokus auf die biblischen Erinnerungstraditionen und deren unterschiedliche Jhwh-Vorstellungen legt (s. Kapitel 1): »Plutôt qu’une histoire des origines, c’est une histoire de la mémoire à laquelle les textes bibliques nous donneront accès« (27). Er verfolgt also einen traditionsgeschichtlichen Zugang, der hierzulande in jüngerer Zeit häufig vernachlässigt wurde, und rekonstruiert einen pluralen, vielschichtigen Diskurs zwischen diesen Positionen (bzw. deren Trägergruppen); so erhellt er »comment les différents discours sur les origines de YHWH interagissent les uns par rapport aux autres« (38).
Detailliert analysiert er dann einerseits in Kapitel 2 die Traditionen in Ex–Num (Ex 2–4; 18,1 f.; Num 10,29–36), die Jhwh in Midian verorten, und andererseits die Theophanietexte in Ri 5,4 f. (Kapitel 3) und in Ps 68 f.; Hab 3,3; Dtn 33,2 (Kapitel 4), die »un YHWH attaché au Néguev« kennen (39, dort kursiv). Überzeugend arbeitet der Vf. somit ein poly-jhwhistisches Modell aus, das mit eigenständigen, aber langfristig koexistierenden und interagierenden Traditionen rechnet. Deren Profil und Diskurs zeichnet er vom (voromridischen) 9. Jh. über die Staatszeit (besonders Josia) und das Exil bis in die nachexilisch-hellenistische Epoche hinein nach (zusammenfassende Übersichten 176 f.298 ff.455 f.461).
Damit wertet er erstmals sämtliche biblischen Texte aus, die Jhwh als aus dem Süden kommend vorstellen, und argumentiert dabei im steten Gespräch mit gegenwärtigen Debatten und Modellen ebenso umsichtig wie sorgfältig abwägend. So erhellend und weiterführend diese Untersuchungen sind, so provozieren sie doch die grundsätzliche Nachfrage, ob und wie weit diese Erinnerungstraditionen auch historische bzw. religionsgeschichtliche Rückschlüsse erlauben oder gar nahelegen. Ob man es tatsächlich »[d]ès le départ« mit »une multiplicité de traditions du Sud« zu tun hat (64, s. a. 25 ff. und unter Ausklammerung der vorstaatlichen Zeit 457 ff.) oder ob man damit nicht die Perspektive stärker verkürzt, als es den Quellen entspricht, bedarf m. E. der weiteren Diskussion, zu der diese Arbeit wichtige Einsichten und weiterführende Impulse liefert.
Deutlich weitergehende Rückschlüsse wagt Robert D. Miller II, Alttestamentler an der Catholic University of America, in seiner kompakten Monographie zu Jhwhs Ursprung (im Titel singularisch formuliert) als Desert God, die im Ergebnis ein aktuelles Gesamtmodell zur südlichen Herkunft Jhwhs und zu dessen Überführung ins Land entwickelt.
Im Vorwort führt er zunächst kurz seinen konstruktiv-funktionalistischen Zugang ein (7 f.), der nicht nur hermeneutisch transparent ist, sondern sich m. E. auch als instruktiv und überaus praktikabel erweist, indem er auf »a reconstruction, […] that best accounts for the evidence at hand« abzielt (180).
Materialiter setzt Kapitel 1 mit den (nun pluralisch gefassten) südlichen Ursprüngen Jhwhs ein. Sie lassen sich in ihren raumzeitlichen Verortungen und ihren Profilen (»theolocigal notions« [7, s. a. 13]) weniger über die Bedeutung des Tetragramms erschließen (das der Vf. nach Ex 3 von hyh: »sein« und nicht von hwh: »wehen« ableitet) als über die zunächst biblischen Indizien für die sogenannte Midianiter-Hypothese (18 ff.30 ff.) und über die (alten und davon unabhängigen) poetischen Theophanietexte (Ri 5,4 f. usf.: 41 ff.). Wiewohl sich hier historischer und mythischer Süden überlagern, lässt sich aus den Befunden gemäß dem Vf. insgesamt »a historical reality« eruieren (60). Weiter erhärtet werden diese Verortungen nun einerseits durch die Nennung eines »Jhwh von Teman« neben »Jhwh von Samaria« in den außerbiblischen In­schriften aus Kuntillet ‘Ajrud (Kapitel 2), worin der Vf. nicht verschiedene Gottheiten oder eigene lokale Manifestationen im Sinne eines Poly-Jhwhismus, sondern »plural invocations« eines Gottes sieht (63). Eingehendere Diskussionen erforderte auch die angebliche Nennung Kains in KAjr 4.3, die schon rein epigraphisch höchst unsicher ist, was hier aber nur erwähnt werden kann. Andererseits erweitern einige weitere außerbiblische Jhwh-Belege (Kapitel 3) den Horizont in methodisch wichtiger Weise, tragen jedoch nichts zum Verständnis von »the origin of Yahweh« bei (69; s. 78). Die entscheidende Ausnahme bilden spätbronzezeitliche Listen aus Ägypten, die Shasu-Gruppen, darunter »Shasu Yahweh«, nennen (Kapitel 4). Der Vf. bezieht in dieser intensiv diskutierten Frage eine wohl abgewogene Mittelposition, die in der Tat Jhwh belegt sieht, diesen aber nur mittelbar zu den Shasu ins Verhältnis setzt, da es um »a people linked to a place linked to a god, not a people linked to a god« gehe (88). Wichtig ist so nur, dass sich hier zeigt, dass »the theology of ›Yahweh of the South‹ was widespread« (92), und zwar bereits seit früher Zeit.
Die weiteren Dimensionen dieses Südens werden nun in den Kapiteln 5 und 6 ausgelotet, indem die edomitische und midianitische Religion im Anschluss an eine hilfreiche Sichtung der neueren archäologischen Forschungen und die rezente Diskussion um die Entstehung staatlicher Strukturen überblickshaft dargestellt werden. Das negative Ergebnis für Edom lautet: Es sind die Befunde »too late to account for the southern elements in Yahwism« (113). Demgegenüber überrascht die angesichts der fehlenden positiven Evidenz für Jhwh überaus kühne Folgerung im Blick auf »Midian’s mountain and sky deity«: »All the evidence of the previous chapters suggests his name was Yahweh« (148)! In derselben Weise, aber wieder enger fokussierend stellt das abschließende Kapitel 7 zunächst die Metallverarbeitung in der Südlevante dar und diskutiert dann mögliche Verbindungen zu Jhwh-Verehrungen, wie sie in neueren Gestalten der Midianiter-Hypothese von hoher Bedeutung sind.
Gebündelt wird die Darstellung insgesamt mit einer Synthese, wie »Yahweh into Israel« eingeführt wurde (180): Der Vf. entwickelt hier aus den wichtigsten Befunden zu den »Midianitern« seine eigene Modellversion, deren Pointe darin besteht, dass »the social memory of Yahwism is an idea that accompanies a craft, spread north by Midianite Kenites« (191).
Die beiden knapp referierten Untersuchungen haben einige zentrale Fragestellungen und virulente Stoßrichtungen der jüngsten Forschung zu den Anfängen Jhwhs verdeutlicht. Gerade wo etwa dieselben poetischen Theophanietexte bearbeitet werden, zeigen sich die unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Positionen, die künftig – zusammen mit den in Anm. 2 aufgeführten Positionen und zahlreichen weiteren Arbeiten – noch intensiver miteinander ins Gespräch gebracht werden sollten. Dass die hier vorgestellten Arbeiten ihre hermeneutischen und methodischen Vorgehensweisen ebenso wie die Gesamthorizonte ihrer Fra gestellungen explizit ausweisen, ist dazu ein erster wichtiger Schritt und müsste im Rahmen der gegenwärtigen Forschungsdiskussion insgesamt umfassender erörtert werden, als es an dieser Stelle möglich ist. So darf man gespannt sein, wie im Forschungsdiskurs der nächsten Jahre mit den Anfängen und Ursprüngen Jhwhs umgegangen und wie das Gesamtbild dieser frühen Gottes-Geschichte rekonstruiert werden wird – die »Faszination des Be­ginns« wird die Forschung sicherlich weiterhin in ihren Bann ziehen und beschäftigen.