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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

877–878

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hoff, Gregor Maria, Knop, Julia, u. Benedikt Kranemann [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Amt – Macht – Liturgie. Theologische Zwischenrufe für eine Kirche auf dem Synodalen Weg.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 320 S. = Quaestiones disputatae, 308. Kart. EUR 48,00. ISBN 9783451023088.

Rezensent:

Benjamin Bartsch

Infolge des Missbrauchsskandals ist in der katholischen Kirche der Umgang mit Macht in das Zentrum der Diskussion gerückt. Auch der von der katholischen Kirche in Deutschland begonnene Synodale Weg hat sich den Umgang mit Macht als einen der drei von ihm zu bearbeitenden Themenkreise gesetzt. Die vorliegende Quaestio disputata nähert sich diesem Thema unter der Perspektive der Machtverhältnisse, wie sie sich in der Feier der Liturgie darstellen, aber auch herstellen.
Der erste Teil des Bandes behandelt unter dem Stichwort der »Ästhetik der Macht« verschiedene Elemente des Liturgischen und ihre jeweiligen Machtdynamiken. A. Gerhards zeigt an der Ge­schichte des Kirchenbaus als Spiegel von Kirchen- und Amts-verständnissen auf, dass die Binnengliederung des liturgischen Raums auch Folge der zunehmenden Professionalisierung und Sazerdotalisierung des Priestertums ist. Gerhards plädiert nicht für die Aufgabe der Strukturierung des liturgischen Raumes, sondern für »ein[en] reflektierte[n] Umgang mit Symbolen klerikaler Macht« (39). Ähnliche Beobachtungen macht B. Kranemann an liturgischen Gewändern, die als soziale Sprachen und Medien der Distinktion bis heute z. T. funktional und z. T. jedoch auch als Zeichen ontologisch begründeter Standesdistinktionen gedeutet werden. Eine heute angemessene Interpretation der Gewänder ist für Kranemann nur möglich, wenn diese vor dem Hintergrund des Paradigmas gemeinschaftlich gefeierter Liturgie verstanden werden. P. Ebenbauer und I. Bruckner fragen ritualtheoretisch nach der Konstitution neuer sozialer Verhältnisse unter den Gottesdienstfeiernden und Gefährdungen dieser Verhältnisse. J. Müller und N. Stockhoff beklagen die häufig geringe theologische Reflexion liturgischer Laiendienste und weisen auf die Notwendigkeit einer eigenen Begründung dieser Dienste in der Taufe hin. Damit zeigen sie eine Problematik insbesondere in Texten des kirchlichen Lehramts an, die in diesem Band immer wieder zur Sprache kommt. L. Lerch nimmt die Liturgische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh.s sozialgeschichtlich in den Blick und kann aufzeigen, dass das Anliegen einer stärkeren liturgischen Teilnahme der Laien zwar einen merklichen priesterlichen Rollenwandel bedingt, der aber keineswegs einen theoretischen oder praktischen Verzicht auf ein deutlich hierarchisiertes Priesterbild bedeutet hat. S. Knops’ Artikel zur Frage der Laienpredigt demonstriert, dass lehramtliche Bestrebungen, die das seit dem Mittelalter bestehende Verbot der Laienpredigt neu einschärfen, besonders im Hinblick auf klerikale Identitätssicherung geschehen. Dies hat dazu geführt, dass die Debatte derart blockiert ist, dass Änderungen nur in kleinen Schritten möglich sind.
Die Beiträge des zweiten Teils untersuchen unter dem Stichwort »Pragmatik der Macht – Anordnungen in liturgischen Räumen« schwerpunktmäßig die Position der Vorstehenden von Gottes-diensten in ihrem Verhältnis zur feiernden Gemeinde. M. Gielen und A. Zerfaß betten die Diskussion um die Rolle des Vorstehers in der liturgischen Feier biblisch und historisch ein: Gielen stellt dar, wie die Verantwortung für die Mahlfeier in den paulinischen Schriften der Gesamtgemeinde und nicht einzelnen Amtsträgern zugeschrieben wird, während Zerfaß an die Herkunft der Formel des in persona Christi handelnden Priesters aus spezifischen Problemen der scholastischen Sakramententheologie erinnert und sich gegen eine noch stärkere »Ontologisierung der spezifisch priesterlichen Repräsentanz Christi im Gottesdienst« (150) ausspricht. J. Knop fordert, den von Papst Franziskus beklagten Klerikalismus nicht als individuelles Problem, sondern als Problem der katholischen Amtstheologie zu behandeln und deshalb kirchliche Dokumente der Jahrtausendwende, die klerikale Profilbildungen neu verschärft haben, einer kritischen Relecture zu unterziehen. B. Jeggle-Merz zeigt problematische Inszenierungen von Machtverhältnissen an konkreten Elementen liturgischer Feiern auf und unterbreitet einige praktische Vorschläge, wie Verbesserungen erreicht werden können. Kehrseite der lehramtlich artikulierten Prärogative der Gottesdienstleitung durch Ordinierte ist die Reserve gegenüber der Leitung von Feiern durch Laien, die J. Hahn anhand terminologischer Beobachtungen diagnostiziert. Sie kritisiert den inzwischen in Deutschland eingebürgerten Begriff des »Gottesdienstbeauftragten«, weil er die entscheidende theologische Frage nach der Bedeutung der Taufwürde auch für die Leitung liturgischer Feiern offenlässt. Am Beispiel der Empfängnisverhütung erinnert R. Heyder an die traumatisierenden Folgen klerikaler Machtausübung gegenüber Frauen und an den daraus resultierenden dauerhaften Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche, der die Auseinandersetzung mit diesem Thema weiter nötig mache.
In seinem dritten Teil analysiert der Band historische, systematische und kirchenrechtliche Logiken der Macht. H. Lutterbach zeichnet Sakralisierungsprozesse des Priesteramtes seit dem Frühmittelalter nach und fordert dazu auf, der Relativierung dieser Strategien durch das Zweite Vatikanische Konzil auch liturgische und soziale Konsequenzen folgen zu lassen. K. Gabriel zeichnet diese Prozesse auf aufschlussreiche Weise aus sozialgeschichtli-cher Perspektive nach und deutet die gegenwärtige Situation als Transformationskrise der kirchlichen Sozialgestalt mit unentschiedenem Ausgang. M. Seewald greift noch einmal den schon von Zerfaß diskutierten Aspekt der liturgischen Repräsentanz Christi auf, die in der derzeitigen kirchlichen Rechtsgestalt stark auf die Person des Priesters fokussiert ist. Diese Verengung wäre da­durch zu überwinden, dass in einem neuen liturgischen Zueinander die je eigenen Formen der Christusrepräsentanz aller Getauften und der Ordinierten zur Geltung kommen. G. M. Hoff thematisiert die Rollenunsicherheit von Klerikern als Folge der sich weitenden Spannung von realem Autoritätsverlust und liturgisch inszeniertem Machtanspruch. In zeichentheoretischen Erwägungen zeigt er auf, wie Dynamiken systemischer Selbsterhaltung gerade in der Li­turgie aufzubrechen wären. Th. Schüller macht deutlich, wel-che systemstabilisierende Funktion das Kirchenrecht in der Liturgie hat, und erinnert damit daran, dass die Überwindung in-nerkirchlicher Machtgefälle rechtliche Veränderungen voraussetzt. T. Stubenrauch betrachtet abschließend Spannungen von lokaler und weltkirchlicher Normsetzung sowie von geweihten Amtsträgern und Laien, die ihn zu Vorschlägen für Weiterentwicklungen des Rechts führen, durch die diese Spannungen auszugleichen wären.
In der Vielfalt der Beiträge des Bandes stellt sich als ein immer wieder angesprochener Knotenpunkt die Frage nach der sakramentalen Repräsentanz in der Liturgie heraus, deren Verengung auf den in persona Christi handelnden Ordinierten zu problematisieren ist. Demgegenüber stehen Theologie und Kirche vor der Aufgabe, liturgisch inszenierte Machtgefälle auch durch ein Verständnis liturgischen Feierns zu relativieren und neu zu justieren, das unterschiedliche Formen der Christusrepräsentanz, die in Taufe und Ordo gründen, zur Geltung bringt. Hier gibt der Band nicht nur dem Synodalen Weg wichtige Denkanstöße und praktische Impulse, sondern öffnet auch Perspektiven für die weitere Forschung zu Macht und ihren Inszenierungen.