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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

852–853

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stepanow, Kathrin

Titel/Untertitel:

Analysis dubii. Die theologische Legitimität iterativen Zweifelns.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2020. 240 S. = ratio fidei, 71. Kart. EUR 29,95. ISBN 9783791731483.

Rezensent:

Michael Roth

Kathrin Stepanow macht es sich in ihrer von Ralf Miggelbrink betreuten und von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen 2019 angenommenen Dissertation zur Aufgabe, dem iterativen Zweifel sein gebührendes Recht einzuräumen. Ausgehend von der Beobachtung, dass der gesellschaftliche Kontext der Gegenwart durch eine »Hochschätzung des Zweifels« (11) geprägt ist, sieht die Vfn. den Glauben vor eine schwierige Situation gestellt. Einerseits sei es für den religiösen Glauben konstitutiv, Zustimmung zu Inhalten zu fordern, andererseits sei die Vermeidung des Zweifels in der modernen Gesellschaft nicht legitimierbar. Von hier aus gewinnt die Vfn. ihre Fragestellung: »Wie also kann mit dem unvermeidlichen Zweifel religiös umgegangen werden? Muss die christliche Religion vor dieser Situation kapitulieren oder sich fundamentalistisch mit Überzeugungsaffirmationen hochrüsten, um bestehen zu können? Sind Zweifel als Widerspruch zum Glauben zu begreifen und deshalb verwerflich? Oder sind Glaube und Zweifel vielmehr als ›Geschwisterpaar‹ zu begreifen?« (11) Bei der Beantwortung dieser Fragen sei es gleichgültig, ob der Glaube eher als Vertrauen oder als Zustimmung zu Überzeugungen verstanden werde. Im ersten Fall stelle Zweifel einen Vertrauensmangel dar, im zweiten Fall eine Negation. Demgegenüber sei es das Anliegen der Arbeit, den Zweifel als legitimes Mo­ment des Glaubens zu verstehen (12).
Nachdem die Vfn. in Kapitel 1 (11–22) ihre Fragestellung konturiert und das Vorgehen der Arbeit dargestellt und begründet hat, werden in Kapitel 2 (Der Akt des Zweifels [23–98]) verschiedene Denker aus Theologie und Philosophie vorgestellt, um unterschied-liche Redeweisen von Zweifel in den Blick zu bekommen. Nach einer Begriffsbestimmung des Zweifels und einer Abgrenzung von der Skepsis (24–28) geht die Vfn. auf die Pyrrhonische Skepsis (28–35), Zweifel bei Augustin (35–38), Descartes (38–40), Hume (40–45), Hegel (45–48), Wittgenstein (48–52), Hermes (52–61), Kleutgen (61–67), Kierkegaard (67–76) und Tillich (76–87) ein. In einem weiteren Schritt wird eine Typologie des Zweifels entwickelt (87–98).
Die Vfn. kommt zu einigen bekannten Distinktionen. So wird zunächst die Unterscheidung zwischen Zweifel und Skepsis bedacht: »Wer zweifelt, bekundet sein Interesse an der Wahrheit durch die noch offene Suche nach ihr. Wer dagegen skeptisch ist, bringt die Bedeutsamkeit der Wahrheit zum Ausdruck, indem er oder sie immer wieder verkündet, dass das Einlassen auf die Wahrheit nicht zielführend und daher nicht lohnenswert sei« (89). Hinsichtlich des Zweifels unterscheidet die Vfn. zwischen tatsächlichem und hypothetischem Zweifel. Mit tatsächlichem Zweifel be­zeichnet die Vfn. die »Situation der Unentschiedenheit hinsichtlich verschiedener Wahrheitsansprüche«, mit dem hypothetischen Zweifel die »fiktiv angenommene […] Situation der Unentschiedenheit« (89). Die Vfn. kündigt dabei an, sich auf den tatsächlichen Zweifel fokussieren zu wollen, da die Legitimität des hypothetischen Zweifels weniger kontrovers sei: Werde nämlich mit dem hypothetischen Zweifel die Absicht verfolgt, den religiösen Glauben zu bestätigen, gerate er von vornherein nicht in Konflikt mit dem Glauben, werde er umgekehrt benutzt, um den Glauben zu widerlegen, so sei er mit der Position des Glaubens sowieso nicht zu vereinbaren. Im Anschluss werden verschiedene Aspekte des Zweifels differenziert, wie der Aspekt der Voraussetzung (91–92), der Aspekt der Situation des Zweifels (92–95) und der Aspekt der Reaktion auf die Situation des Zweifels (95–96), um dann zu dem iterativen Zweifel vorzudringen, der – wie die Einleitung bereits ankündigt – zentrales Thema der Arbeit ist. Dieser stellt für die Vfn. »eine Reaktion auf die Situation tatsächlichen Zweifels dar und bringt zum Ausdruck, dass das iterativ zweifelnde Subjekt sich nicht mit dem Zustand der Unentschiedenheit zufriedengibt, sondern danach strebt, ihn zu überwinden. Darüber hinaus ist iteratives Zweifeln charakterisiert durch eine Offenheit in Bezug auf das Ergebnis der Wahrheitssuche und einen Optimismus in Bezug auf ein entschiedenes Resultat – ansonsten wäre das Auf-sich-Nehmen dieser Anstrengung nicht vernünftig nachvollziehbar« (98).
Nachdem die Vfn. bei dem iterativen Zweifel angekommen ist, geht sie nun nicht der theologischen Legitimität desselben nach, sondern fragt zunächst nach einer alternativen Reaktionsweise auf die Situation des Zweifels und kommt so auf das »dezisionistische Verfahren« (99) zu sprechen, das dem Zweifel mittels willentlicher Setzung einer Entscheidung zu entfliehen sucht. Nachdem die Vfn. sich hier mit William James (102–108), Bernard Williams (108–114), Carl Ginet (114–127), William P. Alston (127–135), Franz Knappik ( 135–144) und Thomas von Aquin (144–158) auseinandersetzt, kommt sie zu dem Schluss, dass Glaubensüberzeugungen »nicht aufgrund einer willentlichen Kontrolle angenommen werden [können], weil sie intrinsisch auf Wahrheit ausgerichtet sind« (161), und dass ferner sich Glaubensüberzeugungen »nicht beliebig wählen [lassen], weil sie mit anderen Glaubensüberzeugungen in einem Begründungszusammenhang stehen« (164), aber »indirekt zu beeinflussen« (166) sind.
In einem vierten Kapitel (173–217) widmet sich die Vfn. dem Begriff des Glaubens, um sein Verhältnis zum iterativen Zweifel zu erkunden. Die Vfn. trägt hier die Unterscheidungen zwischen fiduziellem und kognitivem Glaubensbegriff vor (176–180), bedenkt das Verhältnis zwischen Vernunft und Glauben, indem sie mit Fideismus (180–183) und starkem Rationalismus (183–188) zunächst zwei ungangbare Wege skizziert, um dann selbst für einen Weg zu plädieren, der trotz aller Schwierigkeiten auf den Anspruch der Vernünftigkeit des Glaubens nicht verzichten will (188–191).
Die eigentliche Frage der Arbeit wird im letzten Unterkapitel des Kapitels 4 bedacht, das den Titel »Folgen des kritischen Rationalitätsbegriffs für das Verhältnis von Glauben und Zweifeln« (209–217) trägt. Hier kommt die Vfn. zu der Einsicht, dass, wenn der Glaube als biographischer Prozess begriffen wird, Zweifel »unausweichlich [sind], weil sowohl Erfahrungen als auch die Konfrontation mit alternativen Wahrheitsansprüchen Zweifel auslösen können« (215), dass aber auch dann, wenn der Glaube »als propositionale Einstellung verstanden wird, die nicht objektiv gerechtfertigt werden kann, […] Zweifel wiederum unausweichlich« (216) sind. Schließlich: »Wenn Glaube im Sinne des Kritischen Rationalismus vernünftig ist und sein soll, dann ist der Akt des Zweifelns nicht nur unausweichlich, sondern die Konfrontation mit Gegenthesen und dem ernsthaften Zweifel normativ geboten« (217).
Abgeschlossen wird die Arbeit durch eine Zusammenfassung des Gangs der Arbeit und ihre Thesen (219–229).
Die Vfn. stellt sich einem wichtigen Thema, allerdings wartet das Buch mit einer Reihe bereits sehr etablierter Unterscheidungen und Einsichten auf, auch die Ergebnisse der Arbeit sind teilweise nicht wirklich innovativ und herausfordernd. Bereits die Fülle der dargestellten Denker zwingt die Vfn. dazu, an der Oberfläche zu verweilen. Bei einigen Punkten wäre eine Vertiefung wünschenswert gewesen. So wird bspw. die Ausgangsthese des Buches, die Hochschätzung des Zweifels in der Gesellschaft, auf nur wenigen Zeilen dargestellt. Hier hätte der Leser gerne mehr erfahren.