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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

849–851

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Käfer, Anne, Frey, Jörg, u. Jens Herzer [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage. Der erste und der dritte Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik. Hgg. unter Mitarb. v. E. Ch. Herzig.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. X, 632 S. = utb S 5268. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783825252687.

Rezensent:

Lukas Ohly

Es hat allein praktische Gründe, warum dieses Buch der utb-Reihe nur zum ersten und dritten Artikel des Apostolikums erschienen ist: Die Herausgeber hatten bereits 2018 die Beiträge einer Tagung zum zweiten Glaubensartikel auf den Markt gebracht. Das Buch unterstellt also nicht etwa eine Handlungstheorie Gottes, bei der Gottes Geist die Bedingung seiner Allmacht und Schöpfertätigkeit wäre. Die Fäden zwischen Schöpfung und Neuschöpfung, zwischen Vater und Geist werden allenfalls lose geknüpft (etwa bei Martin Laube, der den Geist als »Triebkraft« beschreibt, 336, oder bei Christina Hoegen-Rohls, die das Lehrstück der Auferstehung der Toten, das dem dritten Glaubensartikel zugeordnet ist, auf Gottes Schöpfermacht bezieht, 498).
Die vorliegenden Beiträge von 26 Autoren aus 14 Universitäten sind das Ergebnis einer interdisziplinären Tagung, die exegetische und dogmatische Denkversuche miteinander konfrontiert hat. Für jede Sinneinheit der genannten Artikel des Apostolikums wird ein bibelwissenschaftlicher und dogmatischer Beitrag gesetzt, bevor von Mitgliedern der beteiligten Institute nach dem Tagungsvorbild »Anwalt des Publikums« kritische Rückfragen an die Autoren gestellt werden und mit weiterführenden Fragen der Diskurs an die Rezipienten verlagert wird. Insbesondere in diesen Kommentierungen sehe ich den eigentlichen Gesprächsimpuls zwischen Bibelwissenschaften und Dogmatik. Denn ansonsten treten an die Stelle eines Gesprächs eher parallele Gedankenreihen beider Disziplinen zum jeweiligen Thema, die sich kaum schneiden. Für ein Gespräch wäre spannend gewesen, welche bibelwissenschaftlichen Voraussetzungen systematisch-theologisches Denken hat (wie et­wa Jan Quenstedt bei Malte Dominik Krüger, 146, oder Christine Nagel bei Christopher Zarnow, 277, anfragen) oder welche dogmatischen Anleihen die Exegese aufnimmt.
Nun rekonstruiert immerhin die Exegese das Realitätsverständnis biblischer Texte und ist insofern der Dogmatik eo ipso näher als diese der Bibelwissenschaft. So löst Markus Witte das Problem der Allmacht Gottes mit einem alttestamentlich dynamischen und partizipatorischen Gottesverständnis (173 f.), findet Lutz Doering die Vorstellung einer creatio ex nihilo eher nicht in biblischen Texten (219), ist die Kirche bei Paulus für Markus Öhler weder Glaubensgegenstand noch Institution (361.371), entdeckt Hoegen-Rohls physische und metaphorische Bedeutungen von Tod und Auferstehung bei Paulus und Johannes (502.505 f.514.521) und macht bei Paulus »so etwas wie ›diversity‹ von Realitäten« aus (511). Solche Klärungen lassen die Systematische Theologie bescheiden werden, weil sie eben nicht einfach von festen Glaubensbeständen ausgehen kann (Zarnow, 239; ferner Moxter, 177), sondern die Glaubensinhalte in einem hermeneutischen Zirkel erschließen muss. Allein, diese hermeneutische Arbeit hätte in den dogmatischen Beiträgen noch stärker ausfallen können. Das Buch vermittelt insofern ein beeindruckendes Indiz für die methodische disziplinäre Vielstimmigkeit der Systematischen Theologie, sich selbst eine Basis zu geben, freilich ohne dabei die hermeneutische Abhängigkeit von den Bibelwissenschaften anzuerkennen.
Nur einige Beispiele: Krüger nimmt die hermeneutische Aufgabe an und entwickelt sie zu einem anspruchsvollen bildhermeneutischen Programm (125), in das er erkenntnistheoretische (134) und semiotisch interpretierte trinitätstheologische Impulse (137) integriert. Laube wiederum setzt bei der Lehrtradition an, um die »ausufernde Willkür der Rede vom Geist in die Schranken zu weisen« (334). Zarnow will dem Fehlen eines festen Glaubensbestandes dadurch entkommen, dass er phänomenologisch offenbar einen unmittelbaren Ausgangspunkt sucht und ihn in der menschlichen Leiblichkeit findet (248). Moxter bescheidet sich damit, »mögliche M issverständnisse zu identifizieren« (177), und leistet logische Begriffsarbeit mit dem Ausdruck göttlicher Allmacht, bei der er eine Veruneindeutigung durch endlose Steigerungsfähigkeit ausmacht (183 ff.).
Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Ansätze zeigen sich Konvergenzen kategorialer Erweiterungen dogmatischer Arbeit: Denn wenn das Apostolikum keinen festen Glaubensbestand zusammenfasst und wenn es selbst durch einen aufwändigen Prozess hindurchgegangen ist, wie Peter Gemeinhardt in seinem lesenswerten Intro illustriert, kann sich die Dogmatik nicht allein auf Inhalte oder Gegenstände stützen, sondern muss auch deren hermeneutische Perspektivierungen und Denkvollzüge mit in ihre Reflexion aufnehmen. Krüger deutet diese kategoriale Erweiterung mit der scheinbaren Paradoxie so an: »Der Vater selbst ist dann das bildlose Bild« (138), nämlich ein »Bildsujet« (137), das in Lacanscher Manier gerade das »schlechthin Ungegenständliche« meint (138). Hans-Peter Großhans zeigt an der Kirche, dass sie nicht nur als Inhalt des Glaubens zu denken ist, sondern auch als »Glaubens- bzw. Heilsvollzug« (406, Herv. H.-P. G.). Diese Beobachtung findet dann zu ihrer Pointe, wenn Vollzüge sich eben nicht auf die Kategorie der Gegenständlichkeit reduzieren lassen. Eike Christian Herzig verteidigt gegenüber Moxter die paradoxe Be­schreibung der Allmacht als Ohnmacht durch ihre Vollzugs-Perspektivierung in der Christus-Offenbarung: »Damit setzt das Denken nicht mehr bei der Welt und ihrer Überbietung oder der Fähigkeit des Denkens an, sondern orientiert sich an dem Anlass, den Gott ›selbst‹ ermöglicht.« (204)
Bei Henning Theißens Reflexion von Tod und Auferstehung deutet sich eine kategoriale Erweiterung in anderer Hinsicht an. Denn seine These, dass der Tod sich selbst vernichte und dazu Gott nicht brauche (»Sein Machtbereich ist aber, wie es dem Tode entspricht, unausweichlich zum Untergang bestimmt«, 534, vgl. 536), ist nur dann schlüssig, wenn der Tod als Untergangsphänomen seine Phänomenalität selbst durchstreicht, sprich: wenn er keine Faktizität besitzt. (Denn sonst würde sich der Untergang selbst bestätigen, wenn er untergeht.) Auf dasselbe (m. E. theologisch zu interpretierende) Phänomen der Faktizität bezieht sich Zarnow im Anschluss an Schleiermacher: »Die Vorstellung von Gott als Schöpfer korrespondiert inhaltlich mit dem Bewusstsein eines umfassenden, vollständigen und durchgängigen Zusammenhangs des innerweltlichen Geschehens« (257). Denn dieser Zusammenhang kann dann kein weltlicher sein, weil er gerade im Verbürgen des vollständigen innerweltlichen Geschehens besteht (Faktizität).
Kategoriale Erweiterungen erfordern kategoriale Differenzierungen. So darf rückgefragt werden, ob Laubes These der »Medialität des Geistes« (337) (»Präsenz ist nur als Repräsentation möglich«, 339) so zu verstehen ist, dass die Kategorie der Präsenz (dritte trinitarische Position) nur in der Kategorie der Gegenständlichkeit (zweite Position) auftritt (erste Position). Nach meinem Eindruck entfaltet neben Krüger vor allem Großhans solche trinitarischen Differenzierungen, für den die Kirche vollzugshermeneutisch »durchaus ein notwendiges Mittel für den in die Freiheit führenden individuellen Bildungsgang ist« (402, Herv. H.-P. G.). Zwar ist sie dann nicht »Rechtsinstitution« (387) im Sinne der Kategorie der Gegenständlichkeit, erfordert aber Anerkennung (»Akzeptanz«, 393) ihrer Notwendigkeit in der Kategorie der Präsenz (nötigt dazu »sich in Beziehung zu dem erkannten Sein der Kirche zu setzen«, 407).
Insgesamt lockt das interdisziplinäre Gespräch zu einer Fortsetzung: Könnte es sein, dass die kategorialen Erweiterungen bereits biblisch verbürgt sind, etwa im dynamischen und partizipatorischen Gottesverständnis, das Witte herausstellt, oder in der metaphorischen Brechung der diversity bei Hoegen-Rohls?