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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

821–824

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lerdon, Saskia

Titel/Untertitel:

Ecce Agnus Dei. Rezeptionsästhetische Untersuchung zum neutestamentlichen Gotteslamm in der bildenden Kunst.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020 XV, 273 S. m. Abb. = Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 120. Geb. EUR 90,00. ISBN 9783525570821.

Rezensent:

Michael Bachmann

Die im Sommersemester 2017 von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommene Dissertation hat es mit einer umfassenden Thematik zu tun: mit den Vorstellungen vom »Lamm Gottes«, einem gerade auch im Neuen Testament begegnenden Motiv, das zudem in zahlreichen Texten und Artefakten der nachfolgenden Kirchen- und Kunstgeschichte aufgegriffen wird.
Diesem weiten Terrain widmet sich die Autorin, Saskia Lerdon, nicht zuletzt in den Kapiteln 3 und 4: »Das Lamm Gottes im Neuen Testament und seiner Umwelt« (41–119) und »in der bildenden Kunst« (121–229). Der umfangreiche Passus 4.2, »Bildtypen und ausgewählte Beispiele«, unterscheidet nicht weniger als 26 solcher »Typen«, die ihrerseits in drei Gruppen präsentiert werden ([s. besonders:] 122 f.): »Das Gotteslamm mit Attributen und Motiven einer siegenden Macht« (I.1–13, z. B. I.11: »auf dem Stromberg«), »als Begleiter« (II.1–9, z. B. II.1: »mit Johannes dem Täufer«), »mit Todesmerkmalen« (III.1–4, z. B. III.2: »gebunden an den Läufen«). Wenn auch die Zahl der dabei knapp vorgestellten Beispiele nicht sonderlich groß ist, gehören doch zu diesen Exempeln nicht weniger als 48 der 53 (weithin farbigen) Abbildungen (s. 271 f.) – zeitlich einsetzend mit einem auch das Lamm- bzw. Lämmermotiv aufweisenden Wannensarkophag des »späten dritten Jahrhundert[s]« der Kirche Santa Maria Antiqua (170) und sich erstreckend bis hin etwa zu einem »titellosen Ölbild [von Josef Enigmater], auf dem ein ausblutendes Lamm zu erkennen ist« (187 [2001 entstanden]; vgl. noch 149 [2006]). Der sich anschließende »Beispielkatalog« (203–223) präsentiert eine bemerkenswerte Auflistung (die freilich, wie L. ja anspricht, nicht alle in Frage kommenden Belege umfasst). Dieser »Katalog« wird dann durch drei »Übersichtsgrafiken« (224[–229]; vgl. ferner 237) und durch deren »Auswertung« (228) ergänzt. Um­schlossen werden die beiden zentralen Kapitel außer von den knappen rahmenden Ausführungen in »Einleitung« (1 f.) und »Schluss« (245 f.) noch durch deutlich umfangreichere Ausführungen, die sich eben angesichts des neutestamentlichen Motivs vom »Lamm Gottes« mit »Textlichkeit versus Bildlichkeit« (3[–39]) sowie mit dem »Wechselspiel von Text und Bild« befassen (231[–244]) und die eingangs auch verschiedene hermeneutische Ansätze und Bildtheorien (z. B. von Hans-Georg Gadamer und von Emmanuel Lévinas) zur Sprache bringen. Den Schluss des Buchs bilden das Litera tur- (247–269), das Abbildungs- (271 f.) und das Bibelstellenverzeichnis (273–278), welches sich eben auf den Bereich der biblischen Bücher (ohne die sogenannten apokryphen Schriften des Alten Testaments) beschränkt.
Die Dissertation wartet also mit viel Material und zahlreichen Informationen zum Stichwort »Lamm Gottes« auf. Sie benennt natürlich nicht zuletzt die dafür wichtigsten (biblischen und) neutestamentlichen Zusammenhänge (s. lediglich 1 f. [samt Anm. 5]), insbesondere die beiden ἀμνός-Stellen des Johannesevangeliums, nach denen (Johannes) der Täufer eben mit der Formulierung »Siehe, das Lamm Gottes« auf Jesus verweist (Joh 1,29.36 [V. 29: »…, welches die Sünden der Welt trägt«]; vgl. Act 8,32 [Jes 53,7]; 1Petr 1,19, ferner 1Kor 5,7) und die 28 auf Jesus (Christus) bezogenen ἀρνίον-Belege der Johannesoffenbarung (von Apk 5,6 an [vgl. V. 8.12.13; 6,1] bis hin zu 22,3 [vgl. auch: 14,1; 21,9.14.22.23; 22,1]; vgl. ferner 13,11 [in Bezug auf eine negativ einzuschätzende Gestalt], überdies Joh 21,15) – denen das Genitivattribut (τοῦ) θεοῦ sozusagen vorenthalten bleibt. Schon wegen dieser reichen Zusammenstellung ist das Buch hilfreich.
Die Fülle der zu berücksichtigenden Sachverhalte ist indes wohl auch ein Grund für manche Züge der Darstellung, die nicht einfach, nicht durchweg überzeugen. Das zumal die betreffenden Zu­sammenhänge des vierten Evangeliums und der Johannesoffenbarung betreffende Kapitel bezieht, fraglos zu Recht, auch die terminologische und »zoologische Begriffsbildung« bei »Schaf, Lamm, Widder« ein (44[–58]), ferner Beobachtungen zur »religionsgeschichtliche[n] Herkunft des Gotteslammes« (58[–83]). Wenn die Passagen, die es dann mit der »Charakterisierung des Christuslammes« (83[–98]) und »des johanneischen Gotteslammes« (98[–119]) zu tun haben, recht häufig auch Diachrones betreffen (s. z. B. 84.86. 91.94–99.109.111–119), ist das indes nicht ganz unproblematisch (sofern man methodisch doch eine gewisse Priorität der Synchronie vor der Diachronie für angemessen zu erachten pflegt). So wird bei den Beobachtungen zu Apk 14,1–5 auf Joel 2,27; 3,5 und Ez 9,4 verwiesen, während die angesichts von Apk 14,1 (»das Lamm« und »144.000« »auf dem Berg Zion«) kaum zu leugnenden Querverbindungen (u. a.) hin zu Apk 7,4(–17) und zu Apk 21 f. (s. 21,10.12.14; vgl. 22,1) nicht zur Sprache gebracht werden; insofern wird natürlich auch die Abweichung nicht erwähnt, dass ein »Strom des Wassers des Lebens« zwar in 22,1 vorkommt, in 14,1 hingegen nicht (vgl. indes immerhin V. 2).
Was, umgekehrt, die exegetisch deutlich stärker akzentuierte und den Passus »[d]ie religionsgeschichtliche Herkunft des Gotteslammes« (58–83) natürlich weithin bestimmende Diachronie angeht, wird da Wichtiges thematisiert, beispielsweise: »[d]as kultisch sühnende Opferlamm« (66–69) oder »[d]as Lamm des Bokchoris« (77 f. [vgl. 60.86.97]) – ein weissagendes Schaf, das im Blick auf das »Öffnen des Siebensiegelbuches (Apk 6,1.3.5.7.9.12; 8,1)« (78) zu berücksichtigen sein dürfte. In Anbetracht des Akzents auf Traditionsgeschichtlichem verwundert freilich etwa, dass für die kunstgeschichtliche Rezeption der ἀμνός-Aussagen des vierten Evangeliums und der einigermaßen analogen ἀρνίον-Formulierungen der Johannesoffenbarung zwar recht treffend von »zwei ›Polen‹« gesprochen wird, »die das Lamm einerseits als Opfer – sterbend oder tot – zeigen oder andererseits als Sieger über den Tod« (121 f.), dass dabei (122) aber lediglich auf die »sehr alten [neutestamentlichen] ›Kontrastformeln‹ über Jesus Christus« (wie Act 4,10b) zurückgegriffen wird, nicht indes auf das noch ältere (und fraglos zentra-lere) Christusevangelium zumal von 1Kor 15,3b–5. Bei der Vokabel ἀμνός verblüfft der Verweis auf OdSal 14,17 (43), und hinsichtlich des Terminus ἀρνίον ist man erstaunt, dass L. (s. besonders 42 [samt Anm. 9]) den Zusammenhang von (äth)Hen 89,44 f., nach welchem ja ein Lamm schließlich die Position eines Widders einnimmt (vgl. RAC XXII [2008], 856 [M. Frenschkowski]), nicht wirklich berücksichtigt, auch nicht die gewisse Parallelisierung von ἀρνία und κριοί in Ps 113(114),4.6. Mit dieser »Unaufmerksamkeit« wird man vermutlich auch das merkwürdige Oszillieren zwischen der Auffassung, es sei bei ἀρνίον »eine Übersetzung mit ›Widder‹ semantisch und philologisch nicht plausibel« (45), und der Aussage, dass dieses Wort »sowohl mit ›Lamm‹ als auch mit ›Widder‹ übersetzt werden könnte« (85), zu verknüpfen haben.
Was die zu bedenkenden und die bedachten kunstgeschichtlichen Zeugnisse anbetrifft, wird trotz der ohne jede Frage notwendigen Beschränkung auf »ausgewählte Beispiele« das von L. verfochtene Verständnis verschiedentlich nicht ausführlich genug, nicht in gut nachvollziehbarer Weise vorgetragen – etwa, wenn (170 f.) hinsichtlich der beiden neben einem Schafträger postierten Lämmer auf dem Wannensarkophag von Santa Maria Antiqua einfach »von den Märtyrerfürsten der Stadt Rom, Petrus und Paulus,« gesprochen wird (deutlich vorsichtiger: R. Sörries, Spätantike und frühchristliche Kunst, Köln 2013, 74.83–85) und dafür lediglich deren »Intercessionsrolle« bei »zahlreichen Anrufungen der beiden Apostel in der Petrus-Paulus-Memoria von San Sebastiano« geltend gemacht wird. Nicht sonderlich einleuchtend ist zudem, dass die zahlreichen Apokalypse-Illustrationen in mittelalterlichen Handschriften und in (wirkungsmächtigen) Bibelausgaben nahezu ausschließlich (Ausnahme: 161 f.) im »Beispielkatalog« vorkommen (s. nur: 207) und insofern schwerlich angemessen gewürdigt werden. Das wird man auch wegen der dort begegnenden Beispiele für den »Bildtypus« des Lammes »[m]it dem Siebensiegelbuch« (s. 139[–142]) zu bedauern haben, überdies z. B. mit Blick auf den »Bildtyp I.11« (s. 150[–153]), der es nämlich, genau besehen, – sozusagen gemäß Apk 14,1 – nicht durchweg mit einem » Stromberg« (vgl. 150) zu tun hat, so nicht auf fol. 92v des Beatuskommentars von Burgo de Osma (s. G. Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 5/Bildteil, Gütersloh 1991, 194.333; bei L. wird dieser [Apokalypse-]Bd. 5, anders als Bd. 1, im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt [s. 264; vgl. jedoch 36 samt Anm. 152]).
Insgesamt liegt ein interessantes Buch vor, das indes nicht ohne gewisse Schwächen daherkommt (und dem im Übrigen ein gründliches Korrekturlesen gut getan hätte [vgl. lediglich 50.51: »Klientenkönige«]).