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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

804–805

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grüninger, Ann-Christin

Titel/Untertitel:

Die Engel und der Krieg. Ein angelologisches Motiv bei Daniel und im 2. Makkabäerbuch und seine traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 296 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 60. Geb. EUR 68,00. ISBN 9783374053742.

Rezensent:

Michaela Geiger

In ihrer Dissertation »Die Engel und der Krieg« (Ruhr-Universität Bochum 2016) wendet sich Ann-Christin Grüninger einem Motiv zu, das in der »neuen Engelreligion« (Thomas Ruster, 2010) ebenso wie in der Forschung bisher vernachlässigt wurde. Das Material zum Thema »Engel in der Bibel« ist inzwischen so umfangreich, dass eine Gesamtdarstellung alt-, zwischen-, neutestamentlicher und frühjüdischer Gottesboten kaum noch zu leisten ist, wie sie Michael Mach in seinem Werk »Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit« (TSAJ 34, 1992) mit bis heute wirksamen Akzenten vorgelegt hat (zum Thema vgl. Mach, 241–255: »Das ›Heer des Himmels‹ und die kriegerische Gemeinschaft«). Einen breit angelegten Überblick über »Angels as Warriors in Late Second Temple Jewish Literature« veröffentlichte zuletzt Aleksander R. Michalak (WUNT II 330, 2012). An beide knüpft die vorliegende Arbeit an. G. definiert ihren Untersuchungsgegenstand so: »Kämpferisch dargestellte Engelwesen, die in einer entsprechenden kriegerischen Situation auftreten« (17). Ihre Analyse geht in zweifacher Hinsicht über das Bisherige hinaus: Sie profiliert das Motiv in zwei biblischen Schriften (Dan und 2Makk) und rekonstruiert ausgehend von genauen Textbeobachtungen den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Vorstellung.
Nach einer kurzen Einführung in das Thema (15–19) widmet G. »Engeln und Krieg« in Dan 10–12 und 2Makk je einen Hauptteil. Beide beginnen mit einem kurzen Forschungsüberblick zu »kriegerischen Engeln« in der jeweiligen Schrift, auf den eine literar-historische Einordnung folgt. Die Textanalysen werden mit »›close reading‹ – Aufbau und Struktur« überschrieben. Besondere Aufmerksamkeit gilt den im Zusammenhang mit den »kriegerischen Engeln« verwendeten Begriffen, ihrer Semantik und den durch sie aufgerufenen Intertexten.
In umfangreichen traditionsgeschichtlichen Analysen, die vom Alten Testament über den Alten Orient, über äthHen, Jub und Qumran bis in das hellenistische Umfeld reichen, wird der Rückraum der »kriegerischen Engel« in Dan und 2Makk ausgeleuchtet. Als Vorläufer für Dan 10,13.20–11,1; 12,1 bestimmt G. die Motivkomplexe Götterkämpfe im Alten Orient (Baals-Zyklus und Enuma Elisch), Volks- und Kriegsgötter (Assur, Kemosch, JHWH), Völker-engel und Michael-Traditionen. Innerbiblisch behandelt G. ins-besondere den Exodusengel (dessen warnende, so Ex 23,21, und ahnende Funktion, so Ri 2,1–5, etwas zu kurz kommen) sowie Jos 5,13–15; Ri 5,20 (Ri 4,8LXX fehlt) und 2Kön 19,35. Als Ergebnis für Dan 10–12 formuliert G. eine plausible traditionsgeschichtliche Entwicklung: »Die altorientalischen Basismotive des Götterkampfes und der kriegerischen Volksgötter spiegeln sich in der Hebräischen Bibel – beide Traditionen wurden auf JHWH übertragen. Er ist der Volksgott Israels und tritt den Feinden seines Volkes kriegerisch entgegen.« (144) Im Danielbuch liegen demgegenüber zwei Transformationen vor: 1. wird »die Bedeutsamkeit der Offenbarung un­terstrichen« und 2. stellt »die Darstellung der überirdischen Kämpfe die Rolle Israels im Ringen der Großmächte um Herrschaft« in ein neues, zentrales Licht (145 f.).
Im Hintergrund der »kriegerischen Engel« aus 2Makk identi-fiziert G. insbesondere griechisch-hellenistische Traditionen: Für 2Makk 3 sind das griechische Göttererscheinungen, das Motiv des Tempelschatzraubes (vgl. die übersichtliche Tabelle auf S. 185) sowie Reiter und Pferd in Siegespose und schließlich die Dioskuren (178–202). Zur Vertiefung von 2Makk 5,2–4 beleuchtet G. astrale Motivik im Alten Testament, in Babylonien und Griechenland (210–219). Die in 2Makk 10,29 f. auftauchenden Kriegsengel als Schlachthelfer finden eine traditionsgeschichtliche Parallele in der Ilias (z. B. Il. E,436–450). Auf diese griechisch-hellenistischen Traditionen wie auch die alttestamentliche Tradition des himmlischen Heeres baut 2Makk auf, wenn die namenlosen Engelwesen 1. zu Pferde, 2. in besonderer Kleidung und 3. mit κεραυνοί (»Blitzen«) bewaffnet erscheinen (256) und so nonverbal die göttliche Unterstützung für die Makkabäer zum Ausdruck bringen (257).
In einem vierten Teil fasst G. die Ergebnisse der Studie zusammen (259–265). 1. zeigt sie überzeugend, »dass sich das spezielle Profil beider Schriften anhand der Angelologie greifen lässt«. Dan verortet »das Handeln von kriegerischen und kämpfenden Engelwesen in einer überirdischen Sphäre und lässt den eigentlichen Kampf gegen die aktuelle Bedrohung damit an einem anderen, für den Menschen unzugänglichen Ort austragen.« In 2Makk »kommen die himmlischen Reiter auf die Erde – der Kampf gegen die Seleukiden wird auf der Erde und unter Beteiligung der Makkabäer inszeniert. Der aktive makkabäische Widerstand wird hier als legitim und göttlich unterstützt beschrieben.« (260 f.) Dementsprechend werden 2. in beiden Schriften unterschiedliche Motive rezipiert (261–263). Obwohl beide auf die alttestamentlichen Motive des Exodusengels, des himmlischen Heers und der Sterne rekurrieren, geschieht das auf unterschiedliche Weise. Dan synthetisiert sie zur Figur des Völkerengels, während 2Makk einzelne Verse explizit aufgreift (2Makk 10,26: Exodusengel Ex 23,22 LXX; 2Makk 8,19; 15,22: Kriegsengel 2Kön 19,35LXX). Das Motiv der kriegerischen Engelwesen hat 3. Implikationen für das Gottesbild: Es ermöglicht, »die aggressive Seite Gottes« zurückzudrängen und eine anthropomorphe Darstellung Gottes zu vermeiden. Dennoch seien »kriegerische Engelwesen nicht als Abwesenheit Gottes aufzufassen […] Das Intervenieren der Engelwesen bei Daniel und im 2. Makkabäerbuch ist vielmehr literarisch veranschaulichtes Eingreifen Gottes.« (264 f.)
Die umfangreichen traditionsgeschichtlichen Untersuchungen hätten in den Textanalysen methodisch noch klarer vorbereitet werden können. G. argumentiert mit der Leserezeption (47; vgl. 53), ohne die Bedingungen des Lesens zu erörtern und explizite von impliziten Lesern zu unterscheiden (vgl. 29.50). Da die »kriegerischen Engel« meist im Zusammenhang mit Visionen auftreten, hätten die Besonderheiten der Gattung das Verständnis vertiefen können: Visionserzählungen beanspruchen keine Eindeutigkeit (anders 35.56 f.), sondern wollen »die Welt des Wirklichen durch Hinweise auf das Mögliche, zuweilen sogar auf das ganz und gar unmöglich Erscheinende« öffnen (vgl. Lux, FAT 65, 70). Zuletzt bleibt unklar, warum die biblischen Texte auf der Basis der Zürcher Bibel (Daniel) bzw. der LXX.D (2Makk) wiedergegeben werden, zumal G. durchaus eigenständig mit den Texten umgeht (37) und die Übersetzungen anpasst (204–206).
Bei Interesse am Thema »Engel und Krieg« empfehle ich, als Erstes den vorliegenden Band zur Hand zu nehmen. Darin werden die Relevanz des Themas, dessen Profil in Dan und 2Makk sowie die traditionsgeschichtlichen Wurzeln im Alten Orient, im Alten Testament und in der griechisch-hellenistischen Kultur übersichtlich präsentiert und mit Augenmaß gedeutet. Das ausführliche Literaturverzeichnis, das Stellenregister – das auch außerbiblische Belege enthält – sowie das Sachregister sind ideale Wegweiser für eine vertiefte Beschäftigung mit diesem bisher unterbelichteten Thema der Angelologie.