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Ausgabe:

September/2021

Spalte:

797–799

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schowalter, Daniel, Ladstätter, Sabine, Friesen, Steven J., and Christine Thomas [Eds.]

Titel/Untertitel:

Religion in Ephesos Reconsider-ed. Archaeology of Spaces, Structures, and Objects.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. XXIV, 289 S. m. Abb. = New Testament Studies. Supplements, 177. Geb. EUR 129,00. ISBN 9789004401129.

Rezensent:

Klaus-Michael Bull

Der von ausgewiesenen Expertinnen und Experten der Ephesos-Forschung herausgegebene Sammelband ist aus der Wiener SBL-Tagung von 2014 erwachsen. Die 13 Beiträge wenden sich ausdrücklich auch an Nicht-Spezialisten und wollen die Möglichkeiten und Grenzen archäologischer Forschung für das Verstehen der religiösen Welt einer antiken Metropole ausloten (1 f.).
Der 1. Teil, Structures, wird von Sabine Ladstätter mit einem Beitrag über die jüngsten Forschungen am sogenannten Kaisertempel für Domitian (The So-Called Imperial Cult Temple for Domitian in Ephesos) eröffnet. Sie betont, dass die gesicherte Existenz von mehr als einer Kultstatue und die epigraphische Evidenz die Weihung des Tempels für das flavische Kaiserhaus mit Vespasian als zentraler Figur belegen (21). Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Bauwerke auf der Plattform des Heiligtums (Tempel, Altar und Kolonnaden) im frühen 5. Jh. zerstört worden sind. Die Gründlichkeit, mit der dabei vorgegangen wurde, legt ein geplantes Vorgehen nahe (36).
Thekla Schulz (The So-called Serapeion in Ephesos: First Results of the Building Research) stellt die Ergebnisse der Baugliederaufnahme des sogenannten Serapeions vor. Insbesondere die Wasserinstallationen im Tempelgebäude und die in die Umfassungsmauern integrierten schmalen Treppen, die offenbar bewusst mit dem Wechsel von Licht und Dunkelheit spielen, stützen die Interpretation des Bauwerks als Tempel der ägyptischen Götter (58).
Renate Johanna Pillinger (Thekla in the Cave of St. Paul at Ephesos) präsentiert die Untersuchungen in der frühchristlichen Höhlenkirche am Nordhang des Bülbüldağ. Deren Ausmalung ist im Laufe der Jahrhunderte viermal mit ganz unterschiedlichen Motiven erneuert worden. Besonders interessant ist das auf das Ende des 5. Jh.s. zu datierende Fresko mit der Predigtszene aus APTh 7, das Paulus, Thekla und deren Mutter Theokleia zeigt. Für die Vfn. ist mit der Entdeckung des Freskos die Abfassung der APTh in Ephesos denkbar (69).
Andreas Pülz (Selected Evidence of Christian Residents in Late Antique Ephesos) zeigt anhand von Untersuchungen in einer Reihe von spätantiken Wohngebäuden, dass in der Spätantike christliche Symbole nicht nur im öffentlichen Raum, sondern zunehmend auch im privaten Bereich präsent waren.
Im 2. Teil, Spaces, stellt Dirk Steuernagel (The Upper Agora at Ephesos: an Imperial Forum?) die Ergebnisse der jüngsten Ausgrabungskampagnen auf dem sogenannten Staatsmarkt dar. Es hat sich gezeigt, dass die opinio communis, der Bebauung des Areals liege ein Masterplan aus augusteiischer Zeit zugrunde, der die römische Herrschaft symbolisieren solle, obsolet ist. Vielmehr ist die scheinbar einem geschlossenen Konzept folgende Bebauung als Ergebnis einer bis in das 4. Jh. reichenden vielgestaltigen Baugeschichte zu betrachten.
Alexander Sokolicek (The Magnesian Gate of Ephesos) knüpft in seinem Beitrag an die allgemeine These an, dass Stadttore liminale Zonen seien, »visualizing the border zone between ›civilized‹ urban area and the less organized and diversely used ›wild‹ countryside« (113). Auf der Basis der bekannten Salutaris-Inschrift spezifiziert er diese These im Hinblick auf das Magnesische Stadttor und seine Funktion in religiöser, rechtlicher, politischer und kultureller Hinsicht (ebd.). In der Stiftungsinschrift wird festgelegt, dass während der Prozession vom Artemision zum Theater die mitgeführten Statuetten und heiligen Gegenstände im Magnesischen Stadttor von den Priestern an die Epheben zu übergeben seien. Daraus und aus dem liminalen Alter der Epheben zieht der Vf. weitgehende Schlüsse. Den Priestern sei es nicht erlaubt gewesen, die Stadt mit den Insignien ihrer geistlichen Macht zu betreten. Das erinnere an das Verbot, das Pomerium Roms mit Waffen zu betreten, und sei als »a means of Romanization, or perhaps as a negotiation of Greek and Roman traditions in the Eastern Mediterranean« zu interpretieren. Der Rezensent fragt sich, ob hier nicht bei aller Faszination, die eine solche Hypothese ausstrahlt, die sprichwörtliche argumentative Pyramide auf die Spitze zu stellen versucht wird.
Martin Steskal (Mortuary Landscape and Group Identity in Roman Ephesos) präsentiert Beobachtungen aus den Untersuchungen der römerzeitlichen Nekropolen von Ephesos. Er widmet sich zunächst den möglichen kulturellen Hintergründen von Einäscherung der Verstorbenen bzw. Körperbestattung und schließt sich der These an, dass die Entscheidung für eine der beiden Bestattungspraktiken primär eine Sache von persönlichen Traditionen und Vorlieben gewesen sei (125). Anderseits zeigen die Inschriften der ostothekai, die zu über 50 % römische Bürger und Freigelassene belegen, dass der Ritus wohl doch (zumindest auch) dazu diente, eine Gruppenidentität zu manifestieren (126). Auffällig ist die Uniformität der erhaltenen Grabhäuser in den Nekropolen, die äußerlich so gut wie keine repräsentativen Elemente zeigen. Das und den signifikanten Rückgang der Ehrengräber innerhalb der Stadt deutet der Vf. als »indicator of a stable society in which the top stratum did not have to justify its rank within the community« (131).
Hilke Thür (Sacred Space for Dionysos in Ephesos and the House of C. Fl. Furius Aptus) stellt Orte der Verehrung des Dionysos in Ephesos vor. Die Porticus in Summa Cavea des Theaters wurde für Versammlungen von Dionysos-Verehrern genutzt. Außerdem identifiziert sie im Gebiet oberhalb des Theaters einen heiligen Bezirk aus Tempel, Banketthalle und luxuriösem Peristylhaus. Die im Fundament des Tempels gefundenen Säulenkapitelle sprechen laut Vfn. dafür, die Ursprünge dieses Temenos bereits auf die Zeit vor der Gründung der lysimachischen Stadt zu datieren. Es dürfe sich um das Heiligtum des in IvE 4.1267 erwähnten DIONUSOS OREIOS BAKCIOS PRO POLEWS handeln.
Im Zentrum der Stadt stellt das prachtvoll ausgebaute Haus des Dionysospriesters C. Fl. Furius Aptus (Wohneinheit 6 im Hanghaus 2) einen Ort dar, das ausweislich seiner architektonischen Ausgestaltung und der gemachten Funde sowohl für Versammlungen als auch für Mysterienfeiern und die Einweihung von Initianden diente (153).
Lilli Zabrana (The Artemision in the Roman Era: New Results of Research within the Sanctuary of Artemis) zeigt auf der Grundlage der Grabungsdokumentation von John Turtle Wood und neueren Untersuchungen an einem Odeion eindrücklich, dass der Temenos des Artemisions in römischer Zeit dicht bebaut war. Inschriften nennen u. a. ein Sebasteion, ein Gymnasium und einen Tempel der Hestia (160).
Christine M. Thomas (Invisible ›Christians‹ in the Ephesian Landscape: Using Geophysical Surveys to De-Center Paul) plädiert dafür, die Lebenswelt der frühen Christen in Ephesos weniger in den spektakulären Bauten des Stadtzentrums als vielmehr in den Handwerkerbezirken am Hafen zu sehen.
Im 3. Teil, Objects, stellt François Kirbihler (Ruler Cults and Imperial at Ephesos: First Century BCE to Third Century CE) die Geschichte des Kaiserkults in der Stadt vor. Er geht mit guten Gründen davon aus, dass bereits 40/39 v. Chr. ein Kult der Roma und des Divus Julius etabliert worden ist (196), dessen Heiligtum sich im Artemision befunden haben dürfte.
Abschließend präsentieren Norbert Zimmermann (Archaeological Evidence for Private Worship and Domestic Religion in Terrace House 2 at Ephesos) und Elisabeth Rathmayr (The Meaning and Use of Terracotta Figurines in the Terrace Houses in Ephesos) vielfältige Beispiele für die private Religiosität der ephesinischen Elite.
Dem reich bebilderten Band, dessen Lektüre allen, die sich für die religiöse (Um-)Welt der frühen Christinnen und Christen in Ephesos interessieren, nachdrücklich empfohlen sei, sind vier Pläne beigefügt. Die Literaturverzeichnisse der einzelnen Beiträge werden am Ende des Bandes noch einmal zu einer allgemeinen Bibliographie zusammengefasst, deren Sinn sich dem Rezensenten nicht unmittelbar erschlossen hat. Indizes (Subjects, Places, Na­mes) helfen, sich in den Beiträgen zu orientieren.