Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2021

Spalte:

790–793

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Achenbach, Reinhard [Hg.]

Titel/Untertitel:

Persische Reichspolitik und lokale Heiligtümer. Beiträge einer Tagung des Exzellenzclusters »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne« vom 24.–26. Februar 2016 in Münster.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2019. VIII, 294 S. m. 71 Abb. u. 3 Tab. = Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, 25. Geb. EUR 68,00. ISBN 9783447113199.

Rezensent:

Benedikt Hensel

Der von Reinhard Achenbach (Münster) herausgegebene Band do­kumentiert in zwölf Beiträgen eine 2016 abgehaltene internatio-nale Tagung des Münsteraner Exzellenzclusters »Religion und Politik« und des Centrums für Geschichte und Kultur des östlichen Mittelmeerraums im Rahmen des Forschungsprojekts »Religionspolitik im antiken Perserreich. Kulturvergleichende und rechtsgeschichtliche Studien zur Situation der Juden in der multireligiösen Gesellschaft der Achaimenidenzeit«. Es kann vorab schon gesagt werden, dass der vorliegende Band nicht nur eine äußerst willkommene und im gegenwärtigen alttestamentlichen Diskurs auch notwendige Forschungsdokumentation darstellt, sondern dass diese auch als ausgesprochen gelungen gewertet werden kann. Die herausragende Stärke besteht darin, dass ein multi-disziplinärer Ansatz gewählt wurde, um die Rolle der Lokalheiligtümer im Achämenidenreich in ökonomischer, politischer und religiöser Hinsicht zu entschlüsseln. Im Band vereinen sich Perspektiven und Expertisen aus den Fächern Alte Geschichte, Klassische Archäologie, Altorientalistik, Iranistik, Ägyptologie und Altes Testament. Diese kenntnisreiche Vielseitigkeit tut gerade in der alttestamentlichen Disziplin not, in der persische Reichspolitik vielfach und vornehmlich im isolierten und verzerrten Wahrnehmungshorizont von »persischer Reichsautorisation«, »persischer Toleranzpolitik« und im dominanten Spiegel biblischer Traditionsstoffe (Sach, Hag, Esr, Neh etc.) verhandelt wird. Die aus dem biblischen (aber gerade deshalb ja theologisierenden) Geschichtsbild abgeleitete Bedeutsamkeit des perserzeitlichen Jerusalem, die Theorie einer r eligiösen Eigenadministration in Juda als Bürger-Tempel-Ge­meinde (J. Weinberg), die Entwicklung einer mutmaßlichen Münzgießerei am Jerusalemer Tempel (J. Schaper) oder eine zunehmende Autonomie der Tempelverwaltung unter Einfluss der Leviten sind zu Recht in den letzten Jahren vermehrt kritisiert, relativiert, modifiziert oder gar gleich destruiert worden. Der vorliegende Band hilft in diesem Kontext, eine lang erwartete frische Perspektive auf persische Reichs- und Religionspolitik werfen zu können. Dem Genre der Rezension entsprechend kann im Folgenden nur selektiv auf die Einzelbeiträge eingegangen werden:
Josef Wiesehöfer (Kiel) (»Heiligtümer und Kultplätze in der achaimenidischen Persis«, 11–21) widerlegt die vielfach verbreitete Annahme eines persischen Ahuramazda-Monotheismus und weist Theorien einer möglichen zoroastrischen Ausrichtung der Religion der Achämeniden in der Persis zurück. Der Befund (bisher gibt es zwar keinen archäologischen Befund von Schreinen in der Persis, aber die Renovation von Kultstätten ist zumindest in der bekannten Behistun-Inschrift erwähnt; Verehrung von Götterstatuen ist in Persepolis ausdrücklich belegt) deutet darauf hin, dass in der Persis mehrere Gottheiten verehrt wurden.
Christopher Tulpin (Liverpool) (»Heartland and Periphery: Re­flections on the Interaction Between Power and Religion in the Achaemenid Empire«, 23–43) fokussiert ebenfalls auf die Religion im Kernland, aber unter dem Blickwinkel der Interaktionen zwischen politischen Machthabern und der Religion ebendort wie auch in der Peripherie des Reiches. Hieran wird insbesondere die komplexe Verquickung reichs- und religionspolitischer Anliegen sichtbar. So kann Tulpin zeigen, wie subalterne Herrscher regelmäßig versuchten, am achämenidischen Legitimationssystem (nämlich als Artikulation von Königsrecht und göttlichem Recht) für ihre eigenen lokalen Interessen zu partizipieren, hierbei aber div. griechisch-hellenistische Religionsoptionen aktivierten.
Bruno Jacobs (Basel) (»Kleinasiatische Lokalheiligtümer. Überlegungen zu den administrativen Rahmenbedingungen«, 45–61) diskutiert und rekonstruiert die administrative Strukturierung der Heiligtumsverwaltung mit ihren klaren Hierarchien und strikt geregelten Kompetenzzuweisungen. Sein Ergebnis: Gerade die kleinasiatischen Heiligtümer befanden sich »in einem von Kontinuität geprägten Umfeld […], das ihnen gut kalkulierbare Bedingungen bot« (61).
Andreas Schachners Beitrag (DAI Istanbul) (»Das Heiligtum auf dem Dülük Baba Tepesi in der Eisenzeit«, 63–89) wirft ein materialreiches, auf dem aktuellen Grabungsfund im Heiligtum auf dem Dülük Baba Tepesi fußenden Detailblick, dessen reichhaltiger ikonographischer Befund es besonders wertvoll macht für die Erforschung der Perserzeit (zahlreiche am Heiligtum deponierte Skarabäen, Skaraboide, Stempel- und Rollsiegel aus assyrischer, neu-babylonischer und achämenidischer Zeit: Abb.-Tabellen 3–10. 82– 89).
Christian Marek und Emanuel Zingg (Zürich) (»Gott oder Herrscherkult? Eine neue Versinschrift am Hekatomnidengrab in My­lasa«, 91–97) diskutieren eine am Stammsitz der karischen »Satrapen«-Familie der Hekatomniden in Milas gefundene 125 Zeilen umfassende Inschrift des sonst unbekannten Dichters Hyssaldomos (3./2. Jh. v. Chr.), welche die Bedeutung der Satrapenfamilie noch in hellenistischer Zeit belegt.
Die beiden Artikel von Kristin Kleber (Amsterdam) (»The Religious Policy of the Teispid and Achaemenid Kings in Babylonia«, 99–119) und Hilmar Klinkott (Kiel) (»Heiligtum und Herrschaft. Zum Verhältnis von Lokalheiligtümern und Rechtsverwaltung am Beispiel der Satrapieneinteilung Babyloniens«, 121–145) bieten eine material- wie kenntnisreiche und sehr erhellende Aufschlüsselung der Religionspolitik in Babylon und Ebirnari. Man lernt aus beiden Artikeln sehr viel, vor allem aber, dass die Tempel im Zuge der persischen Zeit an politischem und wirtschaftlichem Einfluss verloren haben, aber gleichwohl ihre religiöse und lokale Autonomie beibehalten haben und insofern auch stabilisierend in ihren regionalen Bezügen wirkten.
Die reichspolitischen Interessen im weiter entfernten Ägypten kommen in den beiden Beiträgen von Sandra Lippert (Montpellier) (»Zur Situation ägyptischer Heiligtümer in der 27. Dynastie [1. Perserherrschaft]«, 147–161; die Perser beginnen die wirtschaftliche Selbständigkeit nicht zuletzt wegen der erhofften Prosperität der ägyptischen Heiligtümer zu sichern) und Reinhard G. Kratz (Göttingen) (»Aramäer und Judäer. Zur Ethnographie Elephantines in achämenidischer Zeit«, 163–183) in den Blick. Ihm ist insbesondere dafür zu danken, nicht nur die multi-ethnischen und -religiösen Verhältnisse auf der Nilinsel im Detail einer Evaluation und lokalen wie reichspolitischen Verhältnisbestimmung unterzogen zu haben, sondern auch die teils verwirrend wechselnde Bezeichnung von Individuen vor Ort als »Judäer« und »Aramäer« zu evaluieren.
Oded Lipschits (Tel Aviv) wichtiger Beitrag »Materialkultur, Verwaltung und Wirtschaft in Juda während der Perserzeit und die Rolle des Jerusalemer Tempels« (185–207) dekonstruiert endgültig Theorien einer perserzeitlich angenommenen zentralen Stellung des Jerusalemer Tempels, indem er biblische und forschungsgeschichtliche Horiozonte mit aktuellen archäologischen Befunden konfrontiert. Dass Jerusalem nicht sonderlich bedeutsam und wirtschaftskräftig war, ist schon länger bekannt, Lipschits zeigt dies aber auch im Detail für die Zeit nach der Abtrennung von Transeuphratene als eigener Satrapie unter Xerxes. Sein Ergebnis passt sich sehr gut in den übrigen Befund des Bandes ein, dass nämlich die Perser an lokalen Heiligtümern vor allem an Stabilisierungen interessiert waren und die regionale (wirtschaftlich-agrarische) Selbstversorgung unterstützten – und eben keine administrative Autonomie der lokalen Zentren etablierten (in diesem Falle in Jerusalem), wie es die alttestamentliche Forschung ja immer wieder postuliert.
Christian Frevels (Bochum) Ergebnisse (»Reichsinteresse und Lokalpolitik in der Levante im Spiegel der materiellen Kultur«, 209–255) lassen sich hieran gut anknüpfen. Gewohnt kenntnisreich er-arbeitet Frevel exemplarisch im materiellen Detail die persische Reichspolitik, die für ihn keinerlei lokalpolitischen Einfluss (abgesehen von den üblichen Sanktionen) erkennen lässt. In der südlichen Levante sind keinerlei persische Einflüsse in Heiligtümern erkennbar.
Der Beitrag des Herausgebers (»Die Religionspolitik der Achaimeniden und die Tora. Anekdoten, Legenden, Geschichtsnarrative«, 257–278) beschließt den Band und kann noch einmal wichtige Erkenntnisse des Gesamtbandes durch seinen textlich breit angelegten Durchgang befestigen: interne Belange der lokalen Religionen durch die Perser wird man weitestgehend ausschließen können; Religionspolitik an Lokalheiligtümern dient vor allem der Stabilisierung achämenidischer Herrschaft im Rahmen lokaler Mus­ter der Herrschaftslegitimation; und auch die Gültigkeit so-wie inhaltliche Konturierung der judäischen Tora als Gesetzeswerk wurde weitestgehend selbst bestimmt (durch Priester, Schriftgelehrte etc.); ihre Ausformung und Finalisierung in persischer Zeit kommt in jedem Fall ohne Einflussnahme der Perser daher (268–278).
Der sehr zu empfehlende Band schließt mit ausführlichem Stellen- und Autorenregister.