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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

747-749

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brügger, Tobias

Titel/Untertitel:

The Christian Body at Work. Spirituality, Embodiment, and Christian Living.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft (Pano Verlag) 2021. 375 S. = Religion – Wirtschaft – Politik, 21. Kart. EUR 59,00. ISBN 9783848778539.

Rezensent:

Gerhard Wegner

Der Titel des Buches von Tobias Brügger irritiert zunächst einmal: »Der christliche Körper bei der Arbeit.« Was mag das bedeuten? Es dauert ein wenig, bis man der Sache auf die Spur kommt, denn zu Beginn geht es ganz simpel um die Tatsache, dass es nun einmal viele Christen gibt, die arbeiten. Entscheidend ist dann der »Re-­search approach«: Dieses Arbeiten wird als »Christian embodiment« begriffen, wobei wesentlich ist, dass alle Prozesse und Phänomene stets als in körperliche Kontexte eingebettet wahrgenommen werden. Das ermöglicht den Anschluss an eine spezifische »Theo-logie der Inkarnation« (nach 1Kor 6 und 12), in der die Körper der Christen als Teile des Leibes Christi erfahren werden. Viele Seiten später wird es dann auch ganz klar: Mit »christian body« ist die Identität der arbeitenden einzelnen Christen mit dem Leib Christi gemeint. Sie verkörpern Christus. In diesem Sinne als Teil Christi ein Christ zu sein, ist die »key category« der Untersuchung. Die These wäre, dass sich Christen als im Leib Christi Geschaffene wahrnehmen. Entsprechend findet die Studie ihren Abschluss im 6. Kapitel: »The Formation of the Christian body at work«.
Sofort stellen sich Fragen nach dem erkenntnistheoretischen Status des Leibes Christi. Wie ist er mit den ja doch wohl empirisch erfassbaren Körpern auf der Arbeit verknüpft? Real? Virtuell? Allein in einer Deutung? Da bleiben Fragen offen. Aber auf jeden Fall macht sich B. hier an eine spannungsreiche Verknüpfung eines zutiefst religiös-theologischen Symbols mit soziologischen Kategorien, wie sie meines Wissens bisher noch nicht gewagt wurde. Eine »Soziologie des Leibes Christi« als Voraussetzung für eine Analyse des Verhältnisses von Christen zur Arbeit. Weit vor klassischen arbeits- und wirtschaftssoziologischen Parametern soll geklärt werden, was es bedeutet, ein Christ zu sein. Das stellt viele bekannte Sichtweisen vom Kopf auf die Füße. Die herkömmliche öffentliche Theologie befriedigt ihn im Blick auf die Arbeitswelt nicht. Das Feld sei fast komplett säkularen Deutungen überlassen.
Die Arbeit ist in sieben Teile gegliedert und unternimmt nach einleitenden Überlegungen in den Abschnitten 2 und 3 zunächst den ambitionierten Versuch, sämtliche peer-reviewten Veröffentlichungen zwischen 1995 und 2015 zum Thema Glaube, Spiritualität und Religion am Arbeitsplatz inhaltlich und methodisch zu erfassen. Die Vielfalt der Aspekte ist erstaunlich (N. B. auch der verschwindend kleine Anteil deutscher Analysen in diesem Zusammenhang) – aber es bleiben große Probleme in der Zuordnung von Aspekten zu einer Theorie, da schon die verwendeten Begriffe oft sehr unterschiedlich ausgewiesen sind. Auch deswegen wendet sich B. im Weiteren der Klärung des Begriffs »christlich« zu, um wenigstens so festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ab­schnitt 4 widmet sich so näher dem Problem christlicher Spiritualität auf der Arbeit. Dabei weist B. einen Zugang zum Christlichen über Tradition weitgehend zurück. Sie sei es nicht als solche, sondern »it is the christian location of individuals that functions as a mediating factor for the inclusion or exclusion of traditional elements in the formation of Christian lifestyles« (143) – oder anders gesagt: Entscheidend ist die Funktion im Leib Christi, d. h. »the embodied intersection of worldly and other-worldly realities« (173). Konkretisiert wird dies durch die Auseinandersetzung mit den Positionen von Vivian Ligo, Inese Radzins, Andre Delbecq und Christopher Mabey. Stets findet sich der Bezug auf »existential turning points«, d. h. es geht bei allen Arbeitsaspekten genau um solche, die »are displayed by those who are located and locate themselves in relation to the reality of Jesus Christ in a particular way« (174).
Abschnitt 5 seziert dann theologische Analysen, wobei auch deutsche sozialethische Ansätze in den Blick geraten, denen allerdings weitgehend ein »thin account« der christlichen Existenz bescheinigt wird (außer Rich). Es werde in der Regel ein eher humanistischer Zugang zur Arbeitswelt vorgestellt – eine spezifische christliche Existenz würde vernachlässigt. Bei Jähnichen und Oermann bliebe völlig offen, welchen Unterschied eine existenzielle christliche Perspektive denn überhaupt ausmachen könnte. Entsprechend sucht B. »thicker accounts of Christians at work« anderswo, z. B. bei C. S. Lewis, und dann in den Werken von Jeremy Posadas, Denise Daniels und Michael Black. Das Problem bleibt aber, was denn eine theologische Erörterung christlichen Engagements auf der Arbeit ausrichten soll, »if it does not account for the mode of existence by which it is nourished and sustainend« (238). B. redet dementsprechend von der Blindheit (= man redet von einer christlichen Perspektive, ohne sie sichtbar zu machen) und der Lahmheit (= es werden Normen entwickelt, ohne sie anwenden zu können) herkömmlicher theologischer Ethik. Beides seien Folgen einer mangelnden Lokalisierung des Leibes Christi. Vorgeschlagen werden demgegenüber eine Theologie der Arbeit, in der das konkrete Verhältnis von Gottes Arbeit und menschlichem Handeln zum Thema wird; eine Theologie des Unternehmens, die die korporative Existenzform als Einladung zum Christsein begreift; und eine Theologie des Managements, in der erforscht wird, wie der Leib Christi einem ongoing »putting to death of one’s passions and de-sires« (234) ausgesetzt ist. B.s Leidenschaften werden deutlich.
Im 6. Abschnitt (dem noch ein Fazit folgt) geht es dann endgültig um den eigenen Ansatz des Christseins in Auswertung von Gesprächen mit christlichen Managern in der Schweiz. Thema ist zunächst die Differenz eines nur nominellen von einem existenziellen Christsein. Nur die zweite Auffassung bilde ein »system of distinctive signs« aus, wie B. mit Bourdieus Habitus-Begriff herausarbeitet, und sei so allein in der Lage, überhaupt noch irgendetwas Christliches deutlich machen zu können. Und fragt man schließlich, wie solche christliche Existenz funktioniere, so bietet B. einen empirisch belegten Dreischritt an: distancing (= Unterbrechung der jeweiligen Einbindung), connecting (= Herstellung einer Verbindung mit Gott) und investing (= Einsetzen der eigenen Ressourcen). Realisiert werde so »God’s own self giving«. Unterstützt wird die Analyse dann noch durch Verbindungslinien zur Theorie Pierre Bourdieus und Victor Frankls.
B. nimmt den Leser mit auf eine faszinierende, aber auch anstrengende Reise. Endlich wird der Christ auf der Arbeit als handelndes Subjekt und nicht von vornherein als abhängiger Faktor in den Blick genommen. Gleichwohl stellen sich am Ende Fragen ein. So gebe es für ein Christsein auf der Arbeit auch andere Zugänge als über das Symbol des Leibes Christi mit seinen historisch nicht unbelas-teten Assoziationen. Es könnte zudem breiter entfaltet werden. Schmerzlich vermisst man den jahrhundertelangen Berufungs-/ Berufsdiskurs, nicht nur in der deutschen Theologie, mit seiner Kerndifferenz Beruf/Job. Seine Einarbeitung könnte den Ansatz beträchtlich anreichern. Aber: Die Verknüpfung gerade empirischer Studien mit dem Leib Christi ist mutig und aufregend. Damit könnte eine neue Art soziotheologischer Forschung beginnen, die das Christsein auf der Arbeit neu beschreibt. Das wäre mehr als nötig.