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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

701-703

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rickett, Dan

Titel/Untertitel:

Separating Abram and Lot. The Narrative Role and Early Reception of Genesis 13.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. XVI, 220 S. = Themes in Biblical Narrative, 26. Geb. EUR 149,00. ISBN 9789004399891.

Rezensent:

Benjamin Ziemer

Dan Rickett, derzeit als Dozent für Bibelwissenschaften an mehreren Hochschulen in Ohio tätig, untersucht in seinem Buch, das 2016 bei Cheryl Exum und Walter Moberly als Dissertation in Durham angenommen wurde, die narrative Funktion des 13. Kapitels der Genesis, in dem die Trennung von Abram und Lot berichtet wird, unter Einbeziehung der frühen jüdischen und christlichen Wirkungsgeschichte. R. plädiert dafür, die Beziehung von Abram und Lot als typische Bruder-Beziehung zu verstehen, die mit der Isaak-Ismael- und der Jakob-Esau-Geschichte in eine Reihe gehört. Auch dort müssen sich die Brüder trennen, da nur jeweils einer (Abraham, Isaak, Jakob) das Land in Besitz nehmen kann. Lot, der Neffe Abrams, gehört für R. als »nicht erwählter Bruder« (»unchosen brother«) in eine Reihe mit Ismael und Esau.
Auf eine Einleitung, in der R. seine Arbeitsweise und seine These vorstellt, folgt zunächst in zwei Kapiteln (12–68) eine narrative Analyse der Funktion Lots in der Genesis, wobei R. sich stark auf Gen 13 konzentriert und nur relativ kurz auf Gen 11–12, 14 und 19 eingeht. Daran schließen sich drei ausführliche Kapitel zur antiken Wirkungsgeschichte an, zunächst in Septuaginta, Jubiläenbuch und Genesis-Apokryphon (69–89), dann bei Philo und Josephus sowie in Targum und Midrasch (90–122), und schließlich in der Alten Kirche – bei Julius Africanus, Ephraem, Hieronymus, Ambrosius, Chrysostomos und Augustinus, mit einem Ausblick auf frühchristliche Kunst sowie die Rezeptionsgeschichte in Spätmittel-alter und Renaissance (123–157). Das letzte Kapitel (158–182) stellt »Lot als Bruder« in den Kontext anderer Brudererzählungen in der Genesis, bevor in einer »Conclusion« die wichtigsten Beobachtungen noch einmal zusammengefasst werden (183–188). Ein Stellen- und ein Autorenregister beschließen den Band.
Wie schon dieser Überblick zeigt, liegt das Hauptgewicht der Studie auf der Analyse der Wirkungsgeschichte – das ist zugleich ihre große Stärke. R. zeigt, welch vielfältige Interpretationen die Geschichte Lots und sein Verhältnis nach sich gezogen hat. Dabei stellt er fest, dass in der Deutung immer wieder zwei Motive begegnen, die der Erzählung von der Trennung Abrams und Lots in Gen 13 an sich fremd sind: Lot wird als potentieller Erbe Abrams angesehen, der sich aber durch sein ethisch unter Abram stehendes Verhalten disqualifiziert habe. So wird der Streit der Hirten (Gen 13,7) in der antiken Rezeption meist allein Lot angelastet, und dessen Wahl des Landes um Sodom als moralische Verfehlung dargestellt. Dieselbe Tendenz findet R. auch in der modernen Auslegung von Gen 13.
Demgegenüber will er mit seiner narrativen Analyse zeigen, »what the text really does or does not say« (188). Hierin offenbart sich allerdings ein methodisches Problem der Studie. Was genau soll »the text« sein? Hinter Gen 13 könnte – diachron – eine Einzelüberlieferung vermutet werden, die Abram und Lot als gleichberechtigte »Brüder« verstanden hätte, die sich nach dem Streit ihrer Hirten einvernehmlich trennen. Doch R. möchte den Text in seinem synchronen Kontext analysieren. Dann ist die Charakteri-sierung Lots in Gen 13 aber im Licht der in Gen 11 beginnenden »Toledot Terachs« zu betrachten. Das war für die vormoderne Aus-legungsgeschichte selbstverständlich, und auch die diachron in­teressierte Auslegung interpretiert Gen 13 meist im Kontext von Gen 12, 18 und 19. Im Vorwort erwähnt R., dass er ursprünglich die gesamte Lot-Überlieferung einbeziehen wollte, aber wegen der Überfülle an Literatur davon Abstand genommen und sich auf Gen 13 beschränkt habe. Seine Thesen formuliert er, als hätten sie für die Lot-Überlieferung als Ganze Gültigkeit. Außerhalb von Gen 13 wird Lot aber mehrfach als von Abra(ha)m abhängig dargestellt: Abram »nimmt« Lot mit nach Kanaan (Gen 12,5), er befreit ihn aus der Kriegsgefangenschaft (Gen 14,16), und schließlich wird Lot nur um Abraham willen (Gen 19,29) aus Sodom gerettet. Lot hat Abra(ha)m also, überblickt man die Abram-Lot-Geschichte im Ganzen, sehr viel zu verdanken, umgekehrt hat Abraham nichts von Lot bekommen. Das sieht z. B. im Verhältnis von Jakob zu Esau ganz anders aus.
Die Nachrangigkeit Lots, die sich auch in seiner Einordnung als Neffe Abrams manifestiert, steht in der Gesamterzählung außer Frage. Dass Abram und Lot in Gen 13 gleichrangig auftreten, als »Brüder«, dürfte damit zu tun haben, dass es bei der räumlichen Trennung von Abram und Lot um die Ätiologie von Beziehungen einander benachbarter, gleichzeitig existierender Völker geht. Zu­gleich wird durch die genealogische Einordnung Lots als Neffe Abrams (Gen 11,27) erreicht, dass seine Söhne »Moab« und »Ben-Ammi« am Ende genau derselben Generation angehören wie Jakob = »Israel« und Esau = »Edom«: Väterlicherseits sind sie Urenkel Te-rachs, mütterlicherseits Ururenkel. Die doppelte Einordnung als »Bruder« (z. B. Gen 3,11; 14,14) und »Neffe« (z. B. Gen 12,5; 14,12) versinnbildlicht damit Gleichzeitigkeit und Unterordnung, in enger Parallele zu der Erzählung von Noah und seinen Söhnen, Gen 9,18–29, die zudem durch das Motiv des betrunkenen Vaters mit Gen 19 verbunden ist. Wie von Noah werden auch von Terach drei Söhne aufgezählt, und von einem der drei gleich dessen Sohn, Kanaan resp. Lot (Gen 9,18; 11,27), eingeführt. So wie Kanaan, der Neffe von Sem und Japhet, nach Gen 9,25 zum »Knecht seiner Brüder« werden wird, ist das auch von Lot zu erwarten, dessen Nachkommen ge­genüber denen von Abram und Nahor geringer geschätzt werden.
Dass Lot, in der jüdischen noch stärker als in der christlichen Auslegung, als möglicher, aber dann disqualifizierter Erbe Abrams gesehen wurde, steht im Einklang mit der synchronen Gesamtperspektive: Genesis 13 wurde als Teil der Abrahamgeschichte verstanden. R. weist zu Recht darauf hin, dass Lots Beziehung zu Abram nicht die eines Sohnes, sondern eher die eines Bruders ist (188) und dass die Ansiedlung Lots außerhalb des Landes Kanaan in Gen 13 ebenso wenig wie in Gen 25 oder 36 die Ansiedlung Ismaels oder Esaus mit seiner moralischen Unterlegenheit begründet wird. Ein solches Urteil wird zwar den Leserinnen und Lesern der Genesis implizit nahegelegt, würde aber explizit ebenso wie die Anerkennung Lots als Sohn Abrams die Legitimität Israels als Erben des Landes in Frage stellen. Weil Lot eben nicht Abrams Sohn ist, und weil er sich selbst sein Land gewählt hat, können auch seine Nachkommen diese Wahl nicht in Frage stellen.
Während sich die jüdischen Ausleger in der Regel selbst als Nachkommen Abrams gesehen haben und Lot für sie vor allem der Stammvater von Moab und Ammon war, kommt, wie R.s Durchgang durch die frühe Auslegungsgeschichte zeigt, Lot in der christlichen Rezeption stärker als Identifikationsfigur in den Blick. Dabei geht es meist um seine Errettung als Gerechter aus Sodom, die in Gen 19 erzählt wird. R. steht insofern mit seinem Versuch einer stärkeren Rehabilitation Lots selbst in einer klassischen Linie christlicher Auslegungsgeschichte.