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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

697-699

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Panov, Lida Leonie

Titel/Untertitel:

Hiskijas Geschick und Jesajas Beistand. Heilstheologische Verarbeitungen der Jesajaüberlieferung in den Hiskija-Jesaja-Erzählungen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2019. 282 S. = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 110. Geb. EUR 61,00. ISBN 9783290182175.

Rezensent:

Kristin Weingart

Die assyrische Belagerung Jerusalems und deren Abbruch im Jahr 701 v. Chr. ist ein Datum von kaum zu unterschätzender Bedeutung für die Geschichte Israels und die Literaturgeschichte des Alten Testaments. Zunächst als Gerichtswirken und dann als Rettungstat JHWHs verstanden hat das Ereignis nicht nur prägende theologiegeschichtliche Entwicklungen angestoßen, sondern auch vielfältige Spuren in den alttestamentlichen Texten hinterlassen. Zu deren prominentesten zählen die Hiskija-Jesaja-Erzählungen in Jes 36–39 bzw. 2Kön 18–20. In ihrer in Zürich bei Konrad Schmid entstandenen und im Jahr 2018 von der dortigen Theologischen Fakultät angenommenen Dissertation untersucht Lida Leonie Pa­nov die Literaturgeschichte und den theologischen Gehalt der Er­zählungen. Beides geschieht in einer doppelten Perspektive, neben der Kompositionsgeschichte der Erzählungen selbst stehen ihre literarischen Horizonte innerhalb des Alten Testaments zur Debatte. Dieser Fokus, der selbstverständlich zu jedem Bemühen um ein historisches Verständnis der alttestamentlichen Texte gehört, verbindet sich in dieser Studie allerdings mit einer be­stimmten me­thodischen Vorentscheidung: P. liest die Hiskija-Jesaja-Erzählungen als »schriftgelehrte ›Schreibtischliteratur‹«, als eine Auslegung der älteren Jesaja-Überlieferung, geschaffen durch und für einen »kleinen intellektuellen Kreis[.]« (17) – mithin für ein Exempel dessen, was sie als »innerbiblische Auslegung« (14) be­zeichnet.
Mit dem Stichwort »innerbiblische Auslegung« nimmt P. einen schillernden Begriff auf, der ob seiner divergierenden Verwendung inzwischen nicht unproblematisch ist, zumal wenn er – wie hier – nicht zur Beschreibung von Rezeptions-, sondern für die Produktionsprozesse biblischer Literatur in Anschlag gebracht wird. Der in diesem Zusammenhang häufig und auch bei P. zu findende (14) Verweis auf Isac Leo Seligmann ist irreführend. Seligmann verstand keineswegs die »biblische Literatur« insgesamt (14) als Vorläuferin der Midraschexegese, sondern die Chronikbücher, die auf einen bereits autoritativen Text Bezug nehmen, wie es zwar später für die gesamte rabbinische Auslegungsliteratur grundlegend, aber nicht für die Formationsprozesse der Hebräischen Bibel selbst einfach vorauszusetzen ist. Für die Interpretation der Texte erhöht die Charakterisierung als zugleich Schreibtisch- und Auslegungsliteratur jedoch die Gefahr von Engführungen, nicht zuletzt für die Plausibilität von angenommenen Text-Text-Bezügen – eine Gefahr, der auch P. nicht immer entgeht (etwa bei dem Vorschlag, dass das Gebet Hiskijas über die Gottestitel mit den Vorderen Propheten vernetzt sei [228 f.]).
Die Untersuchung folgt einem klassischen und luziden Argumentationsgang. Die Einleitung A (9–58) führt in die Problemstellung und in Leitlinien der einschlägigen Forschungsgeschichte ein und liefert verschiedenartige Annäherungen. Eine ausführliche Gliederung erhellt die Strukturen und den Erzählverlauf der Texte, wobei auch die Unterschiede zwischen den Fassungen der Erzählungen in Jes und Kön transparent werden. Als Leitworte der Er-zählungen werden die Wurzeln חטב und לצנ identifiziert, deren Verwendung für P. auf einen Zusammenhang weist, der für ihr Verständnis der Erzählungen insgesamt leitend sein wird: Dem Vertrauen Hiskijas auf JHWH korrespondiert das rettende Handeln JHWHs an Hiskija – freilich nicht als Automatismus, sondern als freie Wahl JHWHs.
Abschnitt B (59–94) ist der textkritischen Diskussion des Überlieferungsbefunds gewidmet. Auch wenn die Verhältnisse in Einzelfällen komplex sind, kann P. überzeugend zeigen, dass zwischen JesMT 36–39 und 1QJesa 36–39 die größte Nähe besteht. 2KönLXX 18–20 bietet eine relativ wortgetreue Übersetzung von 2KönMT 18–20. Während man diese vier Textgestalten zu einer Familie rechnen kann, weist JesLXX 36–39 ein eigenes Profil auf, das am ehesten als Aktualisierung sowie theologische Interpretation durch die LXX-Übersetzer zu erklären ist.
Abschnitt C (95–149) fragt nach der Position und Funktion der Hiskija-Jesaja-Erzählungen in ihren Kontexten. Hier entwickelt P. ein literargeschichtliches Modell: Am Anfang der Entwicklung steht eine älteste Fassung der ersten Erzählung (Jes 36 f./2Kön 18 f.), die zunächst unabhängig vom Jesaja- bzw. Königebuch bestand. Sie hat mehrfache Fortschreibungen erfahren, wie etwa den Bericht von der zweiten assyrischen Gesandtschaft (Jes 37,9b–14/2Kön 19, 9b–14), das Spottlied (Jes 37,22b–35/2Kön 19,19b–34) oder das Gebet Hiskijas (Jes 37,15–20/2Kön 19,15-19). Die dritte Erzählung (Jes 39,1–8/2Kön 20,12–19) stellt eine nachexilische Erweiterung der ersten dar; die zweite Erzählung (Jes 38,1–22/2Kön 20,1–11) ist ebenfalls eine Erweiterung der ersten, die jedoch zunächst in den Königebüchern überliefert und erst nachträglich in Jesaja integriert wurde. In sgesamt sieht P. die Erzählungen innerhalb des Jesajabuches deutlich stärker vernetzt, verbindende Linien in den Königebüchern zeigen sich vor allem im Prolog (18,1–12) und der Tributerzählung (18,13 f.), aber kaum in den Erzählungen selbst. Bei Jesaja hingegen finden sich die Erzählungen auch strukturell an einer bedeutsamen Stelle. Sie markieren den Übergang von Proto- zu Deuterojesaja und bereiten die dortige Hoffnungsperspektive für die Exilierten vor, sollen also in diesem Zusammenhang als Hilfe zur Krisenbewältigung gelesen werden.
Folgerichtig kommen in Abschnitt D (151–211) die literarischen Verbindungen zum übrigen Jesajabuch in den Blick. P. sieht derartige Verbindungen zu Jes 1,1–9; 10; 20; 22,15–25 und 29–30. Darüber hinaus ist das Gebet Hiskijas wegen seiner Aussagen zur Ausschließlichkeit JHWHs mit Deuterojesaja verknüpft.
Die diskutierten Bezüge liegen allerdings auf unterschiedlichen Ebenen; wörtliche Zitationen, Stichwortaufnahmen, gemeinsame literarische Gestaltungen, verwandte Themen u. a. P. vermutet daher auch nicht, dass den Schreibern ältere Jesajatexte materialiter vorlagen. Vielmehr haben diese aus ihrer Erinnerung geschöpft und zudem allgemein auf ein bestimmtes Verständnis der Ereignisse von 701 v. Chr. zurückgegriffen (210). Kann man dann noch in einem nicht weitgehend beliebigen Sinne von »innerbiblischer Auslegung« sprechen?
Abschnitt E (213–241) ist der Rezeption der Hiskija-Jesaja-Erzählungen innerhalb des Alten Testaments gewidmet. P. begründet hier ihre nachexilische Datierung des Hiskija-Gebets und setzt sich mit der Deutung der Erzählungen durch Chr. Hardmeier auseinander. Für die erste Erzählung übernimmt sie dessen Datierung in die Phase kurz vor 587 v. Chr. Das Verhältnis zu Jer 37 bestimmt sie allerdings anders: Jes 36 f. ist keine Gegenprophetie zu Jeremia, sondern Jer 37 eine literarische Verarbeitung der Jesaja-Erzählungen. Eine hilfreiche Ergebnissicherung (Abschnitt F, 243–259), Literaturverzeichnis und Stellenregister runden den Band ab.
P. hat eine für das Verständnis der Hiskija-Jesaja-Erzählungen zweifellos aufschlussreiche Untersuchung vorgelegt. Die Deutung, dass in den Erzählungen die ältere auf die assyrische Bedrohung bezogene jesajanische Gerichtsverkündigung in eine heilstheologische Perspektive rückt, überzeugt, ebenso das Augenmerk auf JHWH als Rettergott. Über Details der literargeschichtlichen Re­konstruktionen, einige der angenommenen intertextuellen Bezüge und vor allem die methodischen Voraussetzungen ließe sich diskutieren. Dafür, dass diese Diskussionen fruchtbar und weiterführend sein können, hat die Studie mit ihrer klaren, textorientierten und pointierten Argumentation eine hervorragende Grundlage gelegt.