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Ausgabe:

Juli/August/2021

Spalte:

693-694

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kelly, William L.

Titel/Untertitel:

How Prophecy Works. A Study of the Semantic Field of איבנ and a Close Reading of Jeremiah 1:4–19, 23:9–40 and 27:1–28:17.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020. 332 S. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 272. Geb. EUR 80,00. ISBN 9783525540732.

Rezensent:

Heiko Wenzel

Dieses Buch ist eine von Hans M. Barstad betreute Doktorarbeit, die im Dezember 2016 an der Universität in Edinburgh verteidigt und für den Druck im Dezember 2017 abgeschlossen wurde. William L. Kelly geht dabei von drei grundlegenden Fragen aus: »How does prophecy work? What is the nature of this phenomenon? What did it mean to call someone a prophet?«, die er schließlich in der Suche nach dem bündelt, »what we talk about when we talk about prophets« (19). Seine Untersuchungen konzentrieren sich auf das Jeremiabuch, weil hier vieles zusammenkommt, was für diese Fragestellungen von besonderer Bedeutung ist. Das klassische Bild von Propheten als freien und inspirierten Individuen wurde nicht zu­letzt wegen der narrativen Abschnitte und Jeremias Bekenntnissen gerne von Jeremia als Paradebeispiel für Propheten beschrieben, auch wenn das Verhältnis von Propheten und Prophetie nicht so einfach zu beschreiben ist. Ausgehend von Deists Beitrag »The Prophets: Are We Heading for a Paradigm Switch?« geht es K. um die Funktion von Prophetie in einem kulturellen System (23). Mit einem Überblick zu Definitionen von Prophetie, ihrer Verortung im Verhältnis zu Divination, zum Lexem nb’ und zu Fragen von falscher Prophetie (23–52) geht er diese Frage systematisch, relevant und hilfreich an. Der Hauptteil der Arbeit ist von semantischen Untersuchungen zum entsprechenden Nomen und den Verbformen der Wurzel nb’ (67–107) und von »close readings« von Jer 1,4–19 (111–150), 23,9–40 (151–207) und 27,1–28,17 (209–250) geprägt, bevor er auf den Seiten 251–264 seine Ergebnisse zusammenfasst. Sowohl die semantischen Untersuchungen wie die Textuntersuchungen richten ihre Aufmerksamkeit auf die scheinbar erkenntnisleitende Frage nach der Funktion von Prophetie und sollen sich gegenseitig unterstützen. Auf diese Weise anerkennt K., dass das Eine nicht ohne das Andere kann, wenn man dem Phänomen »Prophetie« auf der Spur ist.
Das methodische Vorgehen, der Aufbau der Arbeit und die Beschäftigung mit dem Jeremiabuch sind gut begründet. Die Argumentationen sind fast durchgängig gut nachvollziehbar und haben wichtige Forschungsperspektiven im Blick. Nicht nur der Forschungsüberblick ist sehr hilfreich. Dasselbe gilt auch für die detaillierte Darstellung semantischer Aspekte. Wer sich mit dem Thema Prophetie noch nicht so ausführlich beschäftigt hat, kann hier einen guten Einstieg finden. Allerdings gewinnt man manchmal den Eindruck, dass eine Diskussion oder eine Auswertung dieser »Daten« nicht immer weitreichend genug erfolgen. Mit Blick auf die Verbalformen von nb’ in Jeremia heißt es beispielsweise auf S. 98 recht knapp und schlicht: »The sense of the denominative niphal verb, and the closely associated hithpael, is to act or behave like a איבִנָ.« Er zitiert zwar Jeremias Beitrag aus dem theologischen Wörterbuch (101, Fn. 71), ohne aber die dort angeführte Tendenz zu diskutieren und schlussfolgert: »There appears to be no semantic difference between the niphal and the hithpael which suggests a ›negative‹ connotation of the hithpael forms.« (101)
Es ist sehr zu begrüßen, dass K. die Aufmerksamkeit auf die Funktion von Prophetie lenkt. Allerdings wird nicht recht klar, wie er das Verhältnis von Funktion und Wesen von Prophetie beschreiben würde und wie er letztlich das Zueinander seiner drei Ausgangsfragen (19) methodisch und inhaltlich bestimmt. Beispielsweise betont er Funktion auf S. 63, spricht dann aber auf S. 64 davon, dass »my primary aim is to explain the nature and the function of prophecy«. Daran anschließend hält er fest, dass man mit einem Blick auf das Jeremiabuch viel über das Wesen lernen könne (64 f.) und dass Untersuchungen zum Wesen von Prophetie Semantik vernachlässigt hätten (65). In seiner Auswertung hält er dann fest, dass seine Untersuchungen einen Beitrag zu der Frage der »nature of prophecy in ancient Israel, and the critical interpretation of the Book of Jeremiah« (263) leisten. Es ist bedauerlich, dass das Verhältnis dieser wichtigen Fragestellungen nicht diskutiert wird. Zweifelsfrei hätte K. hier Interessantes und Anregendes zu sagen.
Mit einer weiteren Rückfrage verbleibe ich bei der Frage nach der Funktion von Prophetie. Es überrascht, dass die Unterscheidung von prophetischen Texten und Erzählungen über Propheten recht kurz kommt. Wie bei jeder Untersuchung lassen sich leicht Fragen und Perspektiven identifizieren, die noch zu bearbeiten gewesen wären. Die Möglichkeiten und Begrenzungen einer Dissertation bringen es immer mit sich, dass man bestimmte Wege sieht, die zu gehen wä­ren, sie aber aus verschiedenen Gründen nicht geht oder nicht gehen kann. Dennoch wäre es m. E. angemessen gewesen, dieser Frage we­nigstens einen Exkurs zu widmen. Schließlich legt die Frage nach der Funk-tion von Prophetie diese Unterscheidung nahe. Mit der zweiten Eingangsfrage rückt grundsätzlich eine religionsphänomenologische Perspektive in den Blickpunkt und mit der dritten konzentriert sich K. wohl auf die Person des Propheten (wenn auch wohl nicht in dem Sinne, wie die Prophetenforschung vom 19. Jh. her lange geprägt wurde). Die letzte Frage mag man noch recht gut von den prophetischen Texten her diskutieren und wertvolle Perspektiven er­warten. Für die anderen beiden Perspektiven erscheint es mir sinnvoll, auch Texte, die Propheten in einer sozialen Interaktion thematisieren, in den Blick zu nehmen. K. konzentriert sich auf das Jeremiabuch, was manche Aspekte davon einspielt. Somit berücksichtigt er manches davon. Eine Reflexion über diese drei Fragestellungen hätte die Arbeit aber auf jeden Fall wertvoller gemacht. Aber auch so kann man diese Studie mit Gewinn und vielen Anregungen zum Weiterarbeiten lesen.