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Ausgabe: | Juli/August/2021 |
Spalte: | 666-668 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | Arnhold, Oliver |
Titel/Untertitel: | »Entjudung« von Theologie und Kirche. Das Eisenacher »Institut zur Erforschung und Beseitigung des jü-dischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« 1939–1945. |
Verlag: | Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 248 S. m. Abb. = Christentum und Zeitgeschichte, 6. Kart. EUR 20,00. ISBN 9783374066223. |
Rezensent: | Michael Tilly |
Der Inhalt des vorliegenden Bandes fasst wesentliche Inhalte der ausführlichen Studien Oliver Arholds zur Geschichte der Thüringer Kirchenbewegung »Deutsche Christen« seit 1928 und des Eise-nacher »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« bis 1945 (2 Bde., Berlin 2010) in konziser Weise zusammen.
In seinem ersten Hauptteil (15–115) geht es zunächst um Julius Leithäuser und Siegfried Leffler als Gründer der von Anfang an mit nationalsozialistischen Parteistellen in Thüringen kooperierenden »Deutschen Christen« (DC), deren weitreichende Geistesverwandtschaft mit den politischen Machthabern in der Parole »Ein Führer! Ein Volk! Ein Gott! Ein Reich! Eine Kirche!« (23) von Anfang an deutlich zum Ausdruck kommt. Dargestellt werden sodann die sukzessive Übernahme kirchenpolitischer Machtpositionen durch Vertreter der DC und deren Auseinandersetzung mit Protagonisten der »Bekennenden Kirche«. Aus heutiger Perspektive verwundert hierbei die Blindheit der DC-Kirchenführer im Hinblick auf das rein taktische Verhalten der NS-Führung gegenüber den Religionsgemeinschaften bzw. dem bereits zu dieser Zeit erkennbaren Ziel, den »Störfaktor Evangelische Kirche« (49) auszuschalten. Zur Sprache kommt sodann die Übernahme des Rassenantisemitismus als eines »Grundpfeilers der nationalsozialistischen Ideologie« (56) durch die seit 1937 als »Nationalkirchliche Bewegung« auftreten den DC. Ein eigener Abschnitt ist der Person und Theologie des Neutestamentlers Walter Grundmann gewidmet, der mit theologischen Argumenten eine christliche Legitimation für den Rassenantisemitismus konstruierte und dessen vorbehaltloses Bekenntnis zur nationalkirchlichen Idee der Thüringer DC in einer geradezu religiösen Verehrung des Nationalsozialismus als »Ausdruck des göttlichen Willens am deutschen Volke zur Wiederherstellung der gottgegebenen Ordnung« gipfelte (77). Grundmanns spätere Wirkungsstätte, die Theologische Fakultät in Jena, habe sich bereits kurz nach der »Machtergreifung« zu einer Hochburg der NS-Ideologie umgestalten lassen, was sich während der Folgejahre sowohl in den Lehrstuhlbesetzungen als auch in der Vergabe von Lehrauf trägen zeige. Als programmatischer Schritt hervorzuheben sei die Abschaffung der Sprachvoraussetzung Hebräisch im Jahre 1939 (93 f.). Ein weiterer Abschnitt lenkt den Blick auf die im gleichen Jahr verabschiedete »Godesberger Erklärung«, welche eine Übereinstimmung von evangelischem Glauben und dem totalitären Anspruch des Staates darstellte, obwohl ihre Unterzeichner sichtlich bemüht waren, den religiösen und den politischen Bereich voneinander zu trennen (110).
Der zweite Hauptteil (116–218) fokussiert die Entstehung, die Organisation und die Aktivitäten des Eisenacher »Entjudungsinstituts«. Thematisiert werden zunächst Grundmanns Eröffnungsvortrag und die darin skizzierte Programmatik (119). Aus heutiger Perspektive ist es überraschend, dass die Institutsgründer vom beißenden Spott, der ihnen bald seitens völkisch-deutschgläubiger und neopaganer Strömungen innerhalb der NS-Partei entgegenschlug, überrascht waren (125). Eine gründliche Darstellung erfahren die Satzungen des Instituts, seine wissenschaftlichen und praktischen Aufgabengebiete, sein Personal (bis 1941 ca. 180 Mitarbeiter, darunter 24 Universitätsprofessoren von 14 evangelisch-theologischen Fakultäten sowie kirchliche Würdenträger und akademischer »Nachwuchs«), sein wissenschaftlicher Beirat sowie seine en-gen Kontakte zu landeskirchlichen Nachrichtendiensten. Erwähnung findet auch das Problem der anfänglichen Zurückhaltung einiger am Institut beteiligter Landeskirchen an seiner finanziellen Unterstützung (134). Sein Sitz lasse sich als Ausdruck der hybriden Wahrnehmung seiner Gründung als »Akt von reformatorischer Bedeutung« verstehen (146). Festzuhalten sei auch, dass sich der maligne Namensbestandteil »zur Beseitigung« entgegen den Beteuerungen Grundmanns nach 1945 bereits in den Konzeptionsplänen des Eisenacher Instituts findet (148).
Nacheinander behandelt werden die zahlreichen Werbe- und Vortragsveranstaltungen von Institutsmitgliedern in DC-Gemeinden, ihre Publikationen und ihr (letztendlich an kriegsbedingten Druckbeschränkungen scheiterndes) Bemühen um das Erscheinen einer Institutszeitschrift (154), die Gliederungsstruktur, die regelmäßigen Arbeitstagungen und auch die erfolgreiche internatio-nale Vernetzung der kirchlichen Forschungseinrichtung: »Die Institutsarbeit erschien durch die große Zahl von Akademikern und anerkannten Professoren theologisch seriös und durch die Mitarbeit der Kirchenleitungen auch offiziell kirchlich abgesichert« (172). Besonders interessant ist der Abschnitt über die vom Institut herausgegebenen »entjudeten« Basistexte des kirchlichen Lebens. Die (sprachlich an Luther angelehnte) Bibelübersetzung »Die Botschaft Gottes«, bestehend aus einer Evangelienharmonie der Synoptiker, einem umgearbeiteten Johannesevangelium, einem Teil der Briefliteratur und der Johannesoffenbarung sowie einer (aus der Apostelgeschichte und den Paulinen kompilierten) Darstellung von Leben und Lehre der ersten Christen, zeichne sich unter anderem durch die naiv historisierende Suche nach einem nichtjüdischen, vielleicht sogar arischen »heldischen Heiland« aus (188), der dem zeitgenössischen wissenschaftlichen Umgang mit der Jesusüberlieferung (z. B. bei Rudolf Bultmann) diametral entgegensteht. Als ein prägnantes Beispiel für die »entjudenden« Änderungen im Text evangelischer Kirchenlieder im Gesangbuch »Großer Gott, wir loben dich« wird Luthers »Ein feste Burg ist unser Gott« angeführt, in dessen zweiter Strophe der als unerträglich empfundene »Herr Zebaoth« durch »Retter in Not« ersetzt wurde (191). Auch der im Institut verfasste Katechismus »Deutsche mit Gott – Ein deutsches Glaubensbuch« erzielte eine hohe Druckauflage.
Spätestens seit 1942 scheint auch vielen Institutsmitarbeitern zunehmend klarer geworden zu sein, dass die NS-Führung mit den Kirchen nicht kooperieren, sondern sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden lassen wollte (201). Ihre Reaktion beschränkte sich freilich allein auf die weitere Radikalisierung der eigenen antisemitischen Ideologie als Bestandteil einer apologetischen Auseinandersetzung mit »germanisch-völkischen« Gruppen. Während die Landeskirchen das Eisenacher Institut nach Kriegsende wie eine heiße Kartoffel fallen ließen, behauptete Walter Grundmann, der nun nie dabei gewesen war und alles anders gemeint hatte (208 f.), man sei in Eisenach als »Anwalt der Theologie« stets mutig gegen die Angriffe des Nationalsozialismus vorgegangen (210). Seit 1952 wirkte Grundmann als Eisenacher Superintendent und Leiter der Evangelischen Akademie der thüringischen Landeskirche; ab 1956 war er Informant der Staatssicherheit.
In der Zusammenfassung seines – trotz der durchweg gründlichen Quellenarbeit recht flüssig zu lesenden – Buches (219–223) unterstreicht A. die auch gegenwärtig zur Wachheit mahnende »geistige Mitverantwortung« kirchlicher Stellen an den Verbrechen des Naziregimes gegenüber Juden und Nichtjuden (220). Durchweg wird die sachliche und präzise Argumentation durch den Abdruck von Quellentexten fundiert und durch zahlreiche Porträt-fotographien der agierenden Personen illustriert. Einer angehängten Rekonstruktion der Arbeitsgliederung des »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« (224–235) folgen ein Verzeichnis der Abbildungen (236 f.), eine Auswahlbibliographie (238–240) und Endnoten (241–245). Register der Namen und Institutionen hätten den Gebrauchswert der ebenso bedeutsamen wie lesenswerten Studie noch ge-steigert.