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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

546–549

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schott, Martin

Titel/Untertitel:

Sacharja 9–14. Eine kompositionsgeschichtliche Analyse.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2019. X, 315 S. m. 10 Tab. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 521. Geb. EUR 102,95. ISBN 9783110665840.

Rezensent:

Judith Gärtner

Dass mit Sach 9–14 im Kontext des Sacharjabuches ein neuer Buchabschnitt beginnt, gehört zu den grundlegenden Einsichten der Erforschung des Sacharjabuches. Wie aber diese sechs Kapitel am Ende des Sacharjabuches in ihrer literarischen Genese als redaktionelle Fortschreibung des ersten Buchteils des Sacharjabuches zu verstehen sind, gehört hingegen zu den kontrovers diskutierten Fragen in der Sacharjaforschung. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Sach 9–14 in den letzten Jahren vor allem im Zu­sammenhang der redaktionsgeschichtlichen Erforschung eines sich formierenden Zwölfprophetenbuches in den Blick genommen worden ist, so dass die Fokussierung auf die literarhistorische Ge­nese von Sach 9–14 als Fortschreibung von Sach 1–8 einerseits sowie ihr literarischer Ort zwischen Protosacharja und dem Maleachibuch andererseits bisher nicht eigens monographisch untersucht worden ist.
Die kompositionsgeschichtlich angelegte Studie von Martin Schott, die 2018 als Dissertation an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen und von Henrik Pfeiffer betreut wurde, setzt an diesem Forschungsdesiderat an. Die Studie hat sich eine »eingehende literarische Analyse der Texte unter Berücksichtigung ihres kompositionsgeschichtlichen Ortes zwischen Protosacharja und Ma­leachi« (16) zur Aufgabe gemacht.
Nach einem stringenten Forschungsüberblick (1–17) folgen zunächst fünf Kapitel (Kapitel 2–6), in denen die einzelnen Unterabschnitte exegetisch ausführlich untersucht und literarkritisch ausgewertet werden: Kapitel 2 (19–51) widmet sich der Vorgeschichte von Sach 9–14 in Sach 7–8 als theologischer Summe von Sach 1–6. Es schließen sich jeweils ein Abschnitt zu Sach 9,1–11,3 (3. Kapitel; 53–121), ein Abschnitt zu Sach 11,4–17 (4. Kapitel; 123–151), ein Abschnitt zu Sach 12–13 (5. Kapitel; 153–198) sowie ein Abschnitt zu Sach 14 (6. Kapitel; 199–242) an. Diese exegetischen Kapitel stellen den Hauptteil der Untersuchung dar.
Dabei folgen Kapitel 3–6 jeweils demselben Aufbau von Gliederung, forschungsgeschichtlicher Orientierung, kommentierter Übersetzung sowie Analyse und enden mit einem Zwischenfazit, in dem die exegetischen Befunde redaktionsgeschichtlich, kompositionsgeschichtlich sowie im Hinblick auf den historischen Ort zu­sammenfassend dargelegt werden. Ausgewertet werden die literarhistorischen Beobachtungen dann insgesamt in Kapitel 7 (243–253), das als Synthese überschrieben ist und Sach 9–14 als redaktionsgeschichtliche Fortschreibung von Sach 1–9 profiliert, sowie in Kapitel 8 (255–270), in dem die buchübergreifenden Aspekte von Sach 9–14 im Hin blick auf die beiden Prophetenbücher Haggai-Protosacharja, im Hinblick auf das Maleachibuch sowie im Hinblick auf das Ende des Zwölfprophetenbuches als Ausblick thematisiert werden.
Ein Anhang mit der Übersetzung von Sach 9–14, ein Literaturverzeichnis, ein Stellenregister sowie ein Sach- und Personenregister beschließen die äußerst klar und leserfreundlich strukturierte Arbeit.
Die im exegetischen Hauptteil (Kapitel 3–6) erarbeiteten literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Ergebnisse führen den Vf. zu einer differenzierten Wahrnehmung des traditionsgeschichtlich und literarisch komplexen Buchteils und ermöglichen auf diese Weise eine Schärfung der unterschiedlichen literarisch verarbeiteten Perspektiven. Dadurch gelingt es ihm, den literarhistorischen Minimalkonsens von einer älteren grundsätzlich von Optimismus ge­prägten Zukunftsschau in Sach 9,1–11,3 (»Deuterosacharja«) und einer jüngeren, wesentlich pessimistischeren Vision in Sach 12–14 (»Tritosacharja«) durch eine literarhistorisch differenzierte Einordnung des Hirtenkapitels in Sach 11,4–16) zu präziseren. Die vom Vf. herausgestellte Grundschicht (Sach 11,4.5aα.7a.8b.9.10a*) »blickt allegorisch auf die gescheiterte Karriere eines paradigmatischen Propheten zurück und revidiert die prophetisch verbürgten Hoffnungen in Sach 9,1–11,3« (247). Die erste Erweiterung (Sach 11,6.7b. 10a*b.14.15 f.) mit ihren Elementen einer Zeichenhandlung bereitet die Visionen aus Sach 12–14 vor. Die literarhistorische Verhältnisbestimmung dieser beiden Zukunftsszenarien wird methodisch mit einem durch ein Schichtenmodell ergänztem Blockmodell erfasst, so dass sich die einzelnen Teile als ein aufeinander bezogener Reflexionsprozess verstehen lassen, indem »die einzelnen Stimmen des Textes mit ihrem je eigenen Profil zu Wort kommen [JG: können], ohne zu früh in theologische Allgemeinplätze aufgelöst zu werden« (249). Dabei nimmt der Vf. sowohl für Sach 9,1–11,3 als auch für Sach 12–14 vier formative redaktionelle Phasen an, die in sich zum Teil noch ausdifferenziert werden. Als literarhistorische Keimzelle stellt der Vf. die Verheißung eines kommenden Herrschers in Sach 9,9 f. heraus.
1. Die erste Fortschreibung in Sach 9,1a.2–6a.7b.8b beschreibt das Gericht über die Nachbarvölker als Vorzeichen der beginnenden Heilszeit, die mit dem Kommen des Königs in Sach 9,9 f. beginnt.
2. Die zweite redaktionelle Bearbeitung widmet sich der Heimkehr der Diaspora und ist wiederum in drei Schichten zu differenzieren: a) die Befreiung und Rückkehr (Sach 9,8a.11a.12; 10,6a.8.10), b) Ausblick auf die Heilszeit (Sach 9,16 f.), c) die rechte Gottesbeziehung (Sach 10,1–2.6b.9.12)
3. Die dritte und letzte redaktionelle Phase in Sach 9,1–11,3 beschreibt den Krieg als Mittel der Realisierung des Friedensreichs. Sie weist in sich ebenfalls wiederum vier Bearbeitungen auf: a) die zu erkämpfende Rückkehr der Diaspora (Sach 10,3bα (ohne הדוהי תיב תא).5); b) ein Kurzkommentar zur militärischen Bedeutung Judas (Sach 10,3bα [nur הדוהי תיב תא].4); c) Juda und Ephraim als bloßes Kriegswerkzeug in den Händen des Wettergottes JHWH (Sach 9,13–15; 10,3bβ.7.11); d) das Ende der feindlichen Machthaber, die als dem wahren Hirten entgegengesetzte »Hirten« (251) gekennzeichnet werden (Sach 10,3a; 11,1.2aα.b.3).
4. In der vierten redaktionellen Phase vollzieht sich eine radikale Abkehr von der bisherigen Heilsbotschaft. Dies beinhaltet a) die Preisgabe von Gottesvolk und Gottesstadt (Sach 11,4.5aα.7a8b.9.10a*; 12,1a; 14,1.2a.bα) und b) die Zeichenhandlung der Hirtenstäbe (Sach 11,6.7b.10a*b.14.15 f.). Auf diese Weise wird die sichere Existenz Jerusalems inmitten der Völker, die Restitution des Großreichs sowie die Rückkehr des davidischen Herrschers aufgegeben (251).
5. Die fünfte redaktionelle Erweiterung setzt hier an und fügt die Niederlage Jerusalems in den göttlichen Plan des Völkergerichts ein, aus dem Zion als unbesiegbar hervorgeht. Dies geschieht in zwei redaktionellen Schritten: a) Niederlage der Völker (Sach 11,17; 12,2a.3.4a.6b; 14,2bβγ.3.13.14b.20a.21b); b) steigernde Ausmalung von Theophanie und Vernichtung der Völker (Sach 14,aα*.β.b.5aα.6.12.15).
6. Die sechste Fortschreibung thematisiert den Tag der Reinigung Israels, indem a) Umkehr (Sach 12,9–13,1), Reinigung (Sach 13,2 f.) und Läuterung (Sach 13,7–9) des Gottesvolkes entfaltet werden.
7. Die letzte formative redaktionelle Bearbeitung entfaltet die Königsherrschaft JHWHs unter den Aspekten seiner Weltherrschaft und Neuschöpfung (Sach 12,1b; 14,4aα*5b.7*.8–10*11aβ.b.16–19.21a) und besiegelt damit die Ersetzung des irdischen Königs aus Sach 9,9 f. durch den göttlichen.
Die Fortschreibungen in Sach 9–14 »reformulieren in summa die perserzeitliche Hoffnung des Zweiprophetenbuches (Hag/Sach) unter den Bedingungen der hellenistischen Zeit« (121). Während sich die Fortschreibungen in Sach 9,1–11,3 mit den Voraussetzungen und Bedingungen der mit der Inthronisation der einsetzenden Heilszeit (249) auseinandersetzen, wird mit Sach 12–14 die Abkehr von der bisherigen Heilsbotschaft, das reinigende Gericht über Jerusalem und die Völker sowie die Königsherrschaft JHWHs er­gänzt. Als terminus a quo für die Kriegspassagen der letzten Fortschreibung in Sach 9,13–15; 10.3b–5.11 nimmt der Vf. aufgrund der Erwähnung der Söhne Griechenlands in Sach 9,13 sowie des Ge-genübers der beiden militärischen Mächte Assur und Ägypten als Chiffre für Seleukiden und Ptolemäer die Schlacht von Ipsos 301 v. Chr. an. Die älteste literarische Schicht, die Ankündigung eines neuen Herrschers in Sach 9,9 f., wird durch die bewusste Abgrenzung vom hellenistischen Herrscherideal mit dem Kriegszug Alexander des Großen um 320 v. Chr. in Verbindung gebracht. Als terminus ad quem gibt der Vf. für die Entstehung von Sach 12–14 die Bezeugung des Zwölfprophetenbuches bei Ben Sira um 180 v. Chr. sowie die Tatsache an, dass die mit Antiochus verbundenen Ereignisse keinen Niederschlag in Sach 12–14 gefunden haben.
Die konsequent literarhistorisch angelegte Studie belegt überzeugend, dass Sach 9–14 in erster Linie als Fortschreibung des eigenen Prophetenbuches Sach 1–8 zu verstehen ist, so dass sie den eigenen Buchkontext als primären Bezugsrahmen plausibilisieren kann. Dabei gelingt es ihr, die grundlegenden literarhistorischen Einsichten der Sacharjaforschung, den Einschnitt zwischen Sach 1–8 und Sach 9–14 sowie die Scharnierfunktion des Hirtenkapitels in Sach 11, durch die differenzierte literarkritische Analyse mit neuen Argumenten zu untermauern. Durch diese literarkritische Feinjustierung vermag der Vf. die Vielstimmigkeit in den Texten zu erfassen, wodurch ein komplexes Gesamtbild der inhaltlich zum Teil nicht leicht zugänglichen Textwelt des Sacharjabuches entsteht. An dieser Stelle sei aber zugleich kritisch angemerkt, ob nicht diese Feinjustierung eines traditions- bzw. religionsgeschichtlichen Abgleichs bedurft hätte, um den gewachsenen und bereits vorliegenden heterogenen Traditionsbestand (wie z. B. den in der Zionstradition verorteten Völkersturm in Sach 14 und Sach 12,1–8 oder die in Sach 13,2–6 verarbeiteten Prophetenbilder) in ihren Tiefendimensionen erfassen und entsprechend als literarisch kohärent erkennen zu können.
Insgesamt aber bietet die Studie einen weiterführenden Beitrag zur redaktionsgeschichtlichen Erforschung des Sacharjabuches, auf deren Grundlage die weiterführenden redaktionskritischen Fragen nach der Bedeutung von Sach 9–14 für die Entstehung eines Zwölfprophetenbuches erneut gestellt werden können.