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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

544–546

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Maskow, Lars

Titel/Untertitel:

Tora in der Chronik. Studien zur Rezeption des Pentateuchs in den Chronikbüchern.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 594 S. m. 15 Abb. u. 104 Tab. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 274. Geb. EUR 140,00. ISBN 9783525571378.

Rezensent:

Matthias Jendrek

Lars Maskow sucht sowohl nach den Funktionen und dem Inhalt des Begriffs »Tora« als auch nach Bezügen zwischen Texten des Pentateuchs und der Chronik. Die Hauptfrage ist, ob sich Veränderungen, die die Chronisten an ihren Vorlagen vornehmen, mit Texten aus dem Pentateuch in Verbindung bringen lassen. Damit bewegt sich M. an der hochinteressanten Schnittstelle von Pentateuch- und Chronikforschung. Die Dissertation wurde von Reinhard Achenbach betreut und 2017 in Münster angenommen.
M. versteht die Chronikbücher zunächst als »schriftgelehrten Diskurs«. In diesem Diskurs greifen die Chronisten auf bereits vorhandene Texte zurück. Insofern ist die Chronik »rewritten scripture«. Die Chronisten leisten, was M. im Anschluss an Rainer Albertz (»Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit«, Bd. 2., 2. Aufl. 1997) »Synthesen« nennt: Es ist den Chronisten ein Anliegen, eine Geschichte Israels »nach den Regeln der kanonischen Tora« (Albertz) zu schreiben. M.s Ausgangspunkt bei der Pentateuchforschung liegt in der Arbeit von Achenbach (vor allem »Die Vollendung der Tora«, 2003). Achenbach entwickelt das Pentateuchmodell von Eckhart Otto weiter. Er bestimmt im Buch Nu­meri drei Stadien der Fortschreibung, die er »theokratische Bearbeitungen« nennt. Die letzte dieser Bearbeitungen datiert Achenbach auf die Zeit vor 300 v. Chr. Die Ausgangsthese von M. ist hier, dass diese Bearbeitungen, vor allem deren Motive, sich in den Chronikbüchern nachweisen lassen müssten. Das gilt dann, wenn die Chronikbücher zeitnah zu den Bearbeitungen entstanden sind.
Wichtigste Methode von M. ist der synoptische Vergleich. In einer Vorüberlegung stellt M. das Begriffsschema der »Quadripartita Ratio« des Quintilian vor. Es soll vor allem dazu dienen, zwischen intentionalen und unabsichtlichen Änderungen im Vergleich zur Vorlage zu unterscheiden. Die beabsichtigten Differenzen ordnet M. zunächst diachron ein (meist redaktions- und motivkritisch). Anschließend fragt er synchron nach der Pragmatik der Änderungen: Welche Funktion erfüllen sie in ihrem jeweiligen Kontext, und welche Erzählstrategie der Chronisten lässt sich daraus ableiten?
Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in zwei Teile. Im ersten Hauptteil versucht M., Inhalt und Funktion des Wortes »Tora« näher zu bestimmen. Dazu untersucht er die 19 Belegstellen des Begriffs in den Chronikbüchern. Er kommt zu dem Schluss, dass eine genauere inhaltliche Bestimmung damit nicht möglich ist. Funktional zeigt sich der Begriff »Tora« als Argument für Autorität: Er bezeichnet Texte, die als als autoritativ anerkannt werden. Der Bezug auf solche Texte verleiht einem Gedanken seinerseits Autorität. Im zweiten Hauptteil geht M. thematisch vor. In Anlehnung an Julius Wellhausen unterscheidet er fünf Felder des »Kultischen«: Pe rsonal, Gegenstand, Ort, Kalender und Handlung. Dabei zeigt sich, dass die Chronikbücher Regelungen der Tora systematisch aufgreifen.
Das Buch ist recht umfangreich. Es enthält neun Exkurse, deren Gesamtlänge etwa einem der Gliederungspunkte entspricht. Der aufwendige Vierfarbdruck ist für ein wissenschaftliches Werk un­gewöhnlich.
Im Ergebnis deutet M. die Chronikbücher als »Komplement zu den spät-priesterlichen Texten des Pentateuchs«. Es geht darum, die im Pentateuch erzählte Geschichte »in einer späteren Erzählwelt für eine spätere Leser-Generation weiterzuschreiben … [und] … die Tora des Mose in die Geschichte der Könige Judas zu übersetzen« (539). Der Entwurf der Chronisten ist dabei keine alternative Darstellung zum gesamten deuteronomistischen Geschichtswerk. Er steht vielmehr gegen die Richterzeit als »tora-loser Zeit«. Die Chronisten beginnen ihre Erzählung an dem Punkt, an dem das Richterbuch endet. Der Verlauf der Geschichte Israels nach der Darstellung in der Vorlage deckt sich oft nicht mit den Regeln der Tora. Die Chronisten verändern ihre Vorlagen nun entsprechend ihren Erzählabsichten: Die Tora dient nicht nur als Maßstab, sondern die Darstellung der Geschichte wird so verändert, dass sie im Einklang mit der Tora steht – oder gerade nicht, was mitunter bei den Rezipienten Tora-Kenntnisse voraussetzt. Ein Beispiel sind Anpassungen in der Ladeerzählung, die mit dem Dienst der Priester und Leviten zusammenhängen. Die Geschichte vom ersten Versuch Davids, die Lade nach Jerusalem zu bringen (1Chr 15), setzt zwei Vorstellungen aus der Tora voraus: die Aufgabe der Leviten, die Lade zu tragen (Num 1) und das absolute Verbot für alle Nicht-Priester, sie auch nur zu berühren (Num 4). In der Vorlage (2Sam 6) ist die Trennung der Aufgaben nicht deutlich wahrnehmbar und das Element der bloßen Berührung spielt keine Rolle.
Die Chronikbücher bieten weiterhin eine ausdifferenzierte Theologie der Präsenz Gottes. M. bezeichnet sie als »māqôm-Theologie«. Sie führen dazu alle Vorstellungen davon, die es im Pentateuch gibt, im Jerusalemer Tempel zusammen. Wichtigstes Motiv dafür, das »den narrativen Transfer durch die erzählten Zeiten gewährleistet« (469), ist die Bundeslade. Die Chronisten ziehen diesen Gedanken so weit, dass die Tora selbst »zum Repräsentationsmittel JHWHs« (544 f.) wird und damit zu einer Möglichkeit der Gottesbegegnung. Die Chronisten schreiben damit letztlich das Konzept einer Hierokratie als Regierungsform für Israel fort, das nach Achenbach durch die »theokratischen Bearbeitungen« bereits in die späten Teile des Pentateuchs eingetragen wurde. Die Chronik ist dann »eine Generation« nach der letzten dieser Bearbeitungen entstanden, d. h. ab ca. 300 v. Chr.
Bedauerlicherweise leidet das Buch unter Schwächen in der Darstellung. Es wird oft nicht deutlich, auf welchen Vers Beobachtungen sich beziehen. Die Gliederung ist missverständlich: M. markiert nicht immer ausreichend die Übergänge zwischen Me­thodenschritten. Die Feingliederung des zweiten Hauptteils suggeriert das zwar, aber was »Textur« ist und was »Topos«, lässt sich im Text dann nicht so leicht wiederfinden. Darüber hinaus zeichnet sich die Sprache nicht durch Klarheit aus. Verschachtelter Satzbau, durch viele fachfremde Fremdwörter geprägter Stil und fehlende Orientierungspunkte hindern das Verstehen deutlich. Von seinem eigens eingeführten Vergleichsschema samt Vierfarbdruck macht M. zu wenig Gebrauch. Dadurch wird es bisweilen schwierig, den Argumentationen zu folgen. An sich sind diese stimmig.
Was die diachronen Ergebnisse betrifft, stehen und fallen sie mit dem Pentateuchmodell von Achenbach. Der Nachweis, dass sich Bearbeitungsprozesse des Pentateuchs in den Chronikbüchern wiederfinden, gelingt M. Wie es sich mit diesen Prozessen im Pentateuch verhält, ist nicht Gegenstand einer Untersuchung zu den Chronikbüchern. Ohnehin überwiegen die synchronen Ergebnisse die diachronen, und Erstere sind von den Annahmen zur Entstehung des Pentateuchs unabhängig. Gerade durch die Verbindung der Perspektiven ergeben sich weiterführende Einsichten: M. be­schreibt die Erzählstrategie der Chronik als »topologisch-assoziatives« Erzählen, im Gegensatz zu einem chronologischen Vorgehen. Das gilt vor allem für die kultischen Themen. Er kann bestätigen, dass die Chronisten für ihre Arbeit einen paradigmatischen An­spruch erheben und dazu auf die Autorität der Tora zurückgreifen. Dadurch schreiben sie diese fort und legen sie auch aus. Es weist über jede erzählte Zeit hinaus, wenn die Tora selbst eine Möglichkeit schafft zur Begegnung mit Gott.