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Ausgabe:

Juni/2021

Spalte:

536–538

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Magness, Jodi

Titel/Untertitel:

Masada. Der Kampf der Juden gegen Rom. Aus d. Engl. übers. v. Th. Bertram.

Verlag:

Darmstadt: WBG Theiss 2020. 400 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 36,00. ISBN 9783806240771.

Rezensent:

Achim Lichtenberger

Die Wüstenfestung Masada an der Westseite des Toten Meers war nicht nur eine prachtvolle Palastanlage Herodes des Großen, sondern wenige Jahre nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n. Chr.) im Jüdischen Krieg Rückzugsort der letzten Aufständischen. Sie trotzten hier für einige Zeit der römischen Militärmaschinerie, bevor die Römer die Festung schließlich einnahmen. Laut Flavius Josephus hatten sich die rund 1000 Aufständischen am Vorabend der Eroberung selbst umgebracht, um Gefangenschaft und Versklavung zu entgehen. Diese Ereignisse fanden vielfältige Rezeption bis in die Identitätsfindung des modernen Staats Israel, weshalb die Bedeutung von Masada kaum überschätzt werden kann.
Jodi Magness ist eine der renommiertesten Kennerinnen der Archäologie Israels von hellenistischer bis frühislamische Zeit. Ihr nun in deutscher Übersetzung erschienenes Buch »Masada. Der Kampf der Juden gegen Rom« nimmt die Wüstenfestung Masada als Ausgangspunkt, um die Hintergründe und den Verlauf des Jüdischen Kriegs (66–70 n. Chr.) zu behandeln. Ihre Arbeit richtet sich an ein breiteres Publikum, weshalb keine neue These vorgelegt wird. Allerdings durchschreitet sie souverän die kontroversen For schungsfragen zu dem Thema, weshalb die Lektüre des Buches empfohlen sei, auch Studierenden und einer breiteren Öffentlichkeit, da hier vorbildlich wissenschaftliches Arbeiten und wissenschaftlicher Diskurs ausgebreitet werden. M. hat vor einigen Jahren ein vergleichbares Thema ebenfalls monographisch behandelt (The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls [Grand Rapids 2002]). Ausgehend von archäologischen Befunden wurde von Teilen der Forschung zu Qumran die Zugehörigkeit der Schriftrollen zu der archäologischen Stätte in Frage gestellt. Doch hat M. nüchtern herausgestellt, dass solche spektakulären Deutungen nicht zu halten sind und ein Zusammenhang des Ortes Qumran mit den Schriftrollen und den Essenern höchst plausibel ist. Auch im Zusammenhang mit Masada wurde in den letzten Jahren die Glaubwürdigkeit des Berichts des Josephus zu dem Massenselbstmord bezweifelt. Allerdings stellt M. in ihrem hier anzuzeigenden Buch heraus, dass für eine solche Infragestellung zu­ mindest die archäologischen Zeugnisse nicht eindeutig genug sind. Die Glaubwürdigkeit des Josephus muss mit philologischen und nicht mit archäologischen Argumenten untersucht werden. Im weiten Feld der Biblischen Archäologie, in dem archäologische Zeugnisse mit methodisch fragwürdigen Interpretationen immer wieder für weitreichende spektakuläre und dubiose Thesen verwendet werden, sind die im besten Sinne aufklärerischen Arbeiten von M. wohltuend nüchtern, wobei M. trotzdem sehr lebendig und anschaulich schreibt und argumentiert.
Die Monographie beginnt mit dem Bericht des Josephus von dem Massenselbstmord (11–16) und zeichnet dann im ersten Kapitel ausführlich die Belagerung 72/73 oder 73/74 n. Chr. nach (17–49). M. nimmt dabei die Perspektive der römischen Armee ein und behandelt auch die außergewöhnlich gut erhaltenen Belagerungsanlagen der Römer. Zudem diskutiert sie die Person und das Werk des Josephus und beleuchtet seine Darstellungsintentionen. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Forschungsgeschichte zu Masada (51–68). Darin behandelt M. die ersten Reisenden der Neuzeit, die das Tote Meer und Masada besuchten. Da das Buch ursprünglich für ein angelsächsisches Publikum geschrieben wurde, fokussiert sie auf Reisende aus diesem Sprachgebiet. Der Pionier der Tote Meer-Forschung, der Deutsche Ulrich Jasper Seetzen, der bereits 1806/1807 in diesem Gebiet ausgiebig unterwegs war, findet leider keine Erwähnung. In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass das Buch von M. insgesamt faktisch keine nicht-englischsprachige Literatur zur Kenntnis nimmt. Dennoch ist das Kapitel zur Forschungsgeschichte anschaulich und informativ und gibt einen guten Überblick bis in die Gegenwart.
Das dritte Kapitel (69–101) betrachtet sodann die Umgebung von Masada und stellt zum einen den Naturraum mitsamt dem Toten Meer vor, zum anderen werden wichtige Siedlungen in der Gegend knapp vorgestellt. Auch hier hat M. die Geschichte des Raumes in der longue durée im Blick und beginnt mit der Prähistorie und endet mit aktuellen Plänen zu einer Wasserleitung vom Roten Meer, die das Tote Meer vor dem Austrocknen retten soll. Im An­schluss daran präsentiert M. in Kapitel 4 (103–160) die Baugeschichte Masadas und weiterer herodianischer Bauprojekte. Dieses Kapitel ist sehr additiv und reißt eine architektonische Kontextualisierung bestenfalls an. So vermisst man etwa eine Diskussion der typisch herodianischen Bauform der »Wüstenfestungen«, zu der ja auch Masada als einer der prächtigsten Vertreter gehört. Stattdessen werden sehr knapp verschiedene Orte wie Jerusalem, Caesarea, Sebaste oder Jericho vorgestellt, ohne dass die Bautätigkeit des Herodes einer stringenten Analyse unterzogen wird.
Im fünften Kapitel (161–198) präsentiert M. die Geschichte Judäas vor Herodes dem Großen, stellt die religiösen Eigenheiten des Judentums in historischer Entwicklung dar. Sie liefert einen prägnanten Überblick über die Zeit und die Verwobenheit von Religion und Politik. Auch das sechste Kapitel behandelt in erster Linie literarische Quellen, indem es die Geschichte des Landes von Herodes bis zum Ausbruch des Jüdischen Kriegs darstellt (199–229). Auch dieses Kapitel ist recht knapp gehalten, doch gelingt es M., die von der aktuellen Forschung kontrovers diskutierten verschiedenen Erklärungsmodelle für den Ausbruch des Krieges herauszuarbeiten und quellennah vorzustellen.
Mit dem eigentlichen Kriegsverlauf befasst sich das siebte Kapitel (231–282). Hier gelingt es M., anschaulich die innerjüdischen Dynamiken und wichtigsten Etappen des Krieges aufzuzeigen. Souverän flechtet sie immer wieder die Person des Josephus in die Darstellung ein und versäumt es auch nicht, die aktuelle Forschung zur Bedeutung des Jüdischen Kriegs in der römischen Öffentlichkeit und der Inszenierung der flavischen Dynastie herauszustellen.
Gelungen ist auch das achte Kapitel, in dem die Belagerung Masadas diskutiert wird (263–298). M. stellt heraus, wie zu Beginn des Krieges, ab 66 n. Chr., Masada als Stützpunkt für Terrorangriffe von Aufständischen auch gegen jüdische Siedlungen wie En Gedi genutzt wurde. Nach dem Fall Jerusalems gelangten dann Flüchtlingsgruppen nach Masada, darunter mutmaßlich auch Essener. M. beschreibt das Leben auf Masada und nutzt dies zu Exkursen zu jüdischen Reinheitsgeboten und damit in Verbindung stehenden archäologischen Artefakten. So betont sie etwa, dass Ritualbäder (Mikwen) erstmals auf Masada archäologisch identifiziert wurden, stellt die aktuelle Forschung zu Mikwen dar und unterstreicht auch hier die große forschungsgeschichtliche Bedeutung von Ma­sada.
Das neunte und letzte Kapitel des Buchs behandelt den Mythos Masada (»Masada darf nie wieder fallen«) (299–321). M. zeichnet nach, wie Masada und der Massenselbstmord (der streng genommen nur ein Einzelselbstmord war, weil laut Josephus nur der letzte Überlebende selbst Hand an sich gelegt hat) zu einem nationalen Mythos wurde. Sie zeigt dies an dem Wirken des legendären Ausgräbers Yigael Yadin (1917–1984) und sie verdeutlicht, wie die Geschichte der Interpretation von Masada mit der Geschichte Israels im 20. Jh. unauflöslich verknüpft ist. Es ist ein Musterbeispiel dafür, wie sehr archäologische und historische Interpretationen von der Zeitgenossenschaft der Wissenschaft abhängig sind. Auch wenn manches anekdotenhaft erscheint, so ist es doch ungemein lehrreich, sich die Zeitgebundenheit wissenschaftlicher Erkenntnis zu verdeutlichen. Das Buch sei zur Lektüre empfohlen, sei es um einen soliden Überblick über Masada und den Jüdischen Krieg zu bekommen, sei es um wissenschaftliche Selbstreflektion zu be­treiben.