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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

484–486

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schon, Dietmar [Hg.]

Titel/Untertitel:

Identität und Authentizität von Kirchen im »globalen Dorf«. Annäherung von Ost und West durch gemeinsame Ziele?

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 224 S. = Schriften des Ostkircheninstituts der Diözese Regensburg, 4. Kart. EUR 26,95. ISBN 9783791731421.

Rezensent:

Christoph Wiesinger

Dieser Band versammelt die Beiträge des »2. Internationalen Symposiums zu Grundlagen ökumenischer Verständigung« (7), welches im Oktober 2018 in Regensburg stattfand: Eine Einladung, eine Begegnung zwischen Ost und West, zwischen je spezifischer lehrmäßiger, liturgischer, spiritueller und kirchenrechtlicher Ausprägung, die sich im Lauf der Jahrhunderte zu markanten kirchlichen Identitäten verselbständigten. Gegenüber der Idee strikter Abgrenzungstendenzen solle nach einer hoffnungsvollen Sicht auf kirchliche Identität und Authentizität gefragt werden.
Der erste Beitrag von Bischof Rudolf Voderholzer plädiert für ein sakramentales Kirchenverständnis als Garant für Identität und Authentizität. Er führt mit Ignatius von Antiochien aus: An einem Ort gibt es nur eine Kirche unter einem Bischof, der die Gültigkeit der Eucharistie verbürgt. Ursprünglich sei der eucharistische Leib als Corpus mysticum und die Kirche als Corpus Christi verum angesehen worden. Erst im 11. Jh. wandelte sich diese Einsicht und es kam zum Wechsel der Attribute. Dies führte zu einem Auseinanderfallen von Institution und Eucharistie hin zu einer individua-listischen Frömmigkeitsform. Die Wiederentdeckung der eucharistischen Ekklesiologie verdanke die römischen Kirche der Orthodoxie.
Metropolit Panteleimon Arathymos fragt nach dem Verhältnis von Identität und Authentizität und grenzt diese von Stereotypen und fundamentalistischen Haltungen ab. Authentizität könne als Treue zum Evangelium und zur eschatologischen Hoffnung der Kirche verstanden werden: Kirche ist, was sie sein wird. Im Sinne des Evangeliums gelte es, eine starke Pneumatologie und Eschatologie zu entwickeln. Dies solle sich in der Verkündigung zeigen, die auch Infragestellung von Tradition und Norm sei. Den Problemen der Globalisierung müsse mit einem prophetischen und konkreten Bezug auf Arme, Schwache und Verfolgte begegnet werden. Verkündigung des Evangeliums ist, vom auferstandenen zum wiederkommenden Christus zu denken und eine ahistorisch normative Haltung demgegenüber abzuwehren.
Die neutestamentlichen Apostelfiguren Petrus und Paulus untersucht der Beitrag von Christos Karakolis. Dabei identifiziert er deren gemeinsames Bemühen um Einheit in Bezug auf die jeweilige Berufung. Im Sinne der apostolischen Urväter müsse Kirche auch heute konstruktiv um eine gemeinsame Erzählung ringen und sich auf den Weg der notwendigen Einheit begeben.
Das im Johannesevangelium entworfene Bild von Petrus und Johannes untersucht Tobias Nickel. Er fragt nach deren repräsentativer Funktion für die katholische und orthodoxe Kirche. Besonders treten das Changieren zwischen Sein und Werden dieser biblischen Personen in den Blick. Zugespitzt wird dies am Wort des Petrus: »Ich bin es nicht« im Gegensatz zu Christi: »Ich bin es« deutlich. Die Apostel verstehen und verstehen nicht, fragen nach und laden so zur Erörterung ein. Als berufene Nachfolger sind die Kirchen so auf dem Weg mit denen, die auf der Suche nach sich selbst und dem »Ich bin es« sind.
Michael N. Ebertz stellt aus religionssoziologischer Perspektive im Anschluss an Savramis Überlegungen zum Allgemeinen und Singulären an. Sowohl die Ostkirche als auch die römisch-katholische und die protestantischen Kirchen hätten durch ihre historische Entwicklung bestimmte soziologische Gestaltungen angenommen. Dies wirke sich auf ihre jeweilige Beziehung zu Gesellschaft und Politik aus. Dabei nehme der Osten durch seinen außerweltlichen Bezug eine passivere soziale und politische Position ein als der Westen. Einer weltflüchtigen Mystik steht eine entweder weltbewährende (Calvinismus) oder weltablehnende (westliches Mönchtum) Kirche gegenüber. »So verhilft Savramis’ ›Soziologie des Christentums‹ mit seiner Unterscheidung christlicher, kirchlicher und gesellschaftlicher Wertesysteme […] dazu, die normativen Schwachstellen der jeweiligen Konfession zu erkennen und diese in einem Verhältnis der Komplementarität zu denken.« (101)
Nach einem konstruktiven Umgang mit der Moderne fragt Vasilios N. Makrides. Er sieht auf Seiten der Orthodoxie eine gewisse Enthaltung im Umgang mit der aufgeklärten Moderne. Ähnliches habe für die römisch-katholische Auseinandersetzung bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gegolten. Doch einer polemischen Abgrenzung folgte eine kritische, selbstbewusste konstruktive Annäherung. So fragt er, ob dieses Modell nicht auch für eine Auseinandersetzung der orthodoxen Kirchen in ähnlicher Weise dienen könne.
André Armbruster blickt mit Luhmann und Bourdieu auf Kirche als Kampf, Körper und Artefakt. Er identifiziert die Probleme der Luhmannschen Systemtheorie bezüglich der Kirchentheorie: Organisieren werde vom Gedanken der Produktion bestimmt. Doch Glaube lasse sich nicht produzieren wie ein Konsumprodukt. Wenn jedoch der Blick von der Kommunikation und dem Sozialen auf die Körperlichkeit, den Habitus und die Artefakte der Kirche verschoben wird, legt dies organisierte Strukturen frei, die helfen, die Praxis und Organisation von Kirche besser zu verstehen. Identität und Deutung würden nämlich in sozialen Definitionskämpfen ausgehandelt werden. Präreflexiv werden Handlungsmöglichkeiten durch Habitualisierung disponiert, die wiederum neue Artefakte hervorbrächten. Ein hervorragender Beitrag.
Organisationsdynamische Überlegungen skizziert Monika Stützle-Hebel, indem sie die Bedeutung von Zielen für die Identität einerseits und den Gewinn bei Kooperation andererseits hervorhebt. Verschiedenheiten können dazu beitragen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Die Phänomene, Ursachen und Kritiken eines »Conservative Ecumenism« werden von Jennifer Wasmuth aufgezeigt. Ökumene könne als Postulat und Aufruf sehr unterschiedlichen Intentionen und Ausgangslagen dienen. Sie erinnert, dass diese wachsam differenziert werden müssen, wenn die Ziele andere sein sollen als ein reiner Wertekonservatismus.
Für eine Besinnung auf Identität zum Zweck der ökumenischen Annäherung plädiert Rade Kisi: Identität sei als Spannung zwischen Ursprung und schöpferischer Veränderung zu verstehen. Da sich diese zwischen Christusereignis und eschatologischer Öffnung abzeichnet, könne der ökumenische Dialog in Bewahrung und Bewährung geführt werden.
Dietmar Schon blickt schließlich auf die neuen und alten Herausforderungen der ökumenischen Zusammenarbeit. Er diagnostiziert eine Angst der Orthodoxie vor Assimilation. Er plädiert demgegenüber für einen Dialog der Liebe, der in drei Bereichen wirken solle: Wahrheit, Sozialität von Kirche und Identität.
So eröffnet der Band unterschiedliche Perspektiven des ökumenischen Gesprächs zwischen Ost und West. Die orthodoxen Perspektiven von Makrides und Moga thematisieren den gemeinsamen Dialog vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen der Moderne und der Rolle der Kirche in gegenwärtig kulturellen Lagen. Einen lesenswerten persönlich gehaltenen Einblick bietet Arathymos, unentdeckte Perspektiven zeigt Ebertz auf, wenn er die Theorie Savramis’ referiert, und Armbruster schafft spannende neue Zugänge zu aktuellen kirchentheoretischen Herausforderungen. Die Spuren des zeitversetzten Wandels im Osten wie im Westen werfen Fragen nach Orientierung und Maßstäben auf, an deren Interesse der Dialog er­wächst. Dieses Buch legt Zeugnis über den Stand des Dialogs ab.