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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

432–433

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kreutzer, Karsten, u. Albert Raffelt [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Anstöße der Theologie Karl Rahners für gegenwärtige Theologie und Kirche. M. Beiträgen v. G. Essen, Th. P. Fößel, G. Greshake, R. Hartmann, A. Laumer, J. Rahner, K. Vechtel SJ, S. Weber.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg 2019. 224 S. = Tagungsberichte der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg. Kart. EUR 19,80. ISBN 9783928698435.

Rezensent:

Andreas R. Batlogg SJ

Der Befund der beiden Herausgeber ist nüchtern. Er kann gleichermaßen irritieren und bestürzen: »Erschreckend schnell ist Karl Rahner aus dem universitären Lehrbetrieb verschwunden. Studierende werden kaum mehr mit seinem Denken konfrontiert. Theologische Fragen stellen sich derzeit offenbar anders. Die Lage der Kirche in spätsäkularen Zeiten scheint meilenweit von der zu Rahners Lebzeiten entfernt zu sein.« (8) Bei einem Festakt in München wurde im April 2018 der Abschluss der 1995 begonnenen Edition »Sämtliche Werke« Karl Rahners (32 Bände in 40 Teilbänden) gefeier t. Im September 2018 fand in Rahners Heimatstadt Freiburg – nach vorangegangenen Veranstaltungen in den Jahren 1984 (80. Geburtstag), 1989 (5. Todestag), 1994 (90. Geburtstag) sowie 2004 (100. Geburtstag) – eine Tagung statt, die »nicht zurückschauen, sondern nach vorne blicken« (9) wollte, wie es im Vorwort (7–10) heißt. Die Referenten waren gebeten, »gegenwärtige Problemstellungen in Theologie, Gesellschaft und Kirche zu bearbeiten und dabei kritisch zu befragen, ob Rahnersches Denken dazu noch Wesentliches beizutragen hat. Wenn dem so sein sollte, dann diente diese Veranstaltung auch dazu, ein in Vergessenheit zu geraten drohendes Urgestein zeitgenössischer Theologie wieder ins Ge­spräch zu bringen und kritisch zu diskutieren, was etwas anderes ist als eine hagiographische Verehrung und damit zugleich Still-legung Rahnerscher Theologie.« (8)
Wenn es (trotz der beiden angezeigten Extreme von hagiographischer Überhöhung und akademischer Stilllegung) eines (weiteren) Beweises dafür bedurft hätte, dass dies – die Aktualität der Theologie Rahners und ihre (verkannte bzw. brachliegende) Po­tenz– der Fall ist, dann findet man ihn in diesem Tagungsband: Er macht die sieben Referate (11–186) einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich, ergänzt um zwei Beiträge der beiden Herausgeber (187–198.199–210), »die nicht als Vorträge gehalten wurden, die sich aber an die Diskussionen während der Tagung anschließen« (10). Zum Abschluss wird eine detaillierte »Übersicht über die Bände der Sämtlichen Werke Karl Rahners« (219–222) geboten – von Albert Raffelt, der von Anfang an dem Herausgeberkollektiv der Edition angehörte und ihr Mastermind war. Drei Herausgeber der Edition, Herbert Vorgrimler, Karl Lehmann und Jo­hann Baptist Metz, sind mittlerweile (2014, 2018, 2019) verstorben, Karl H. Neufeld SJ ist 2005 ausgeschieden, auf ihn folgte seinerzeit der Rezensent als Juniorherausgeber.
Klaus Vechtel SJ (»Freiheit als Proklamation der Gnade«: 11–34) und Thomas P. Fößel (»Freiheit als sakramentales Vermögen der Liebe«: 35–71) widmen sich der Freiheitsproblematik bei Rahner. Breiter aufgestellt sind die Beiträge von Johanna Rahner (»Gotteskrise – Kirchenkrise? oder was? Wie Karl Rahners Theologie aus falschen Alternativen heraushilft«: 87–109), Georg Essen (»Nochmals: Legitimität der Neuzeit. Eine Relecture zentraler Schriften von Karl Rahner in theologisch-politischer Absicht«: 111–129), August Laumer (»›Die Zukunft der Kirche hat schon begonnen‹. Karl Rahners pastorale Futurologie und ihre Bedeutung für heute«: 131–156) und Richard Hartmann (»In Sorge um die Kirche. Beiträge Karl Rahners zur Ekklesiologie«: 157–186). Albert Raffelt (»Karl Rahner und die Bibel«: 187–198) geht dem hartnäckig sich haltenden Vorurteil nach, Rahners Theologie sei »(bloß) spekulativ, abstrakt, ungeschichtlich und bibelfern« (187). Und der Gastgeber der Tagung, Akademiedirektor Karsten Kreutzer (»Den Menschen im Geheimnis Gottes verstehen. Eine Würdigung Karl Rahners«: 199–210), weist auf Rahners Vermächtnis für den akademischen Lehrbetrieb hin, das bei Methoden- und hermeneutischen Fragen ins Spiel kommt. Aufschlussreich sind überdies die Einblicke, die der Lektor des Verlags Herder, Stephan Weber, gibt, der die Edition in der Schlussphase betreute: »Die Sämtlichen Werke Karl Rahners als verlegerisches Großprojekt (1995–2018)« (211–217).
Alle Beiträge argumentieren sachkundig, ohne Polemik oder versteckten Triumphalismus. Man merkt ihnen an, dass sich die Referentin und die Referenten bewusst sind, was sie selbst und was die Theologie dem Riesen Karl Rahner verdanken. Und dass seine Theologie gerade nicht passé ist, auch wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht en vogue sein mag. Eigens hingewiesen sei auf den Beitrag, der etwa aus dem Rahmen fällt – sehr persönliche Reminiszenzen und Einschätzungen von Gisbert Greshake: »Erinnerung an Rahner. Erfahrungen und Erlebnisse eines jüngeren Zeitgenossen« (63–86). Der zuletzt in Freiburg lehrende Dogmatiker würdigt zuerst Rahners Verdienste für die Theologie mittels dreier Fascinosa; im zweiten Teil erzählt er von persönlichen Be­gegnungen und gibt Anekdoten preis; im dritten Teil benennt er noch »unabgegoltene Themen« (84) Rahners. Neugierig gemacht auf seine Reminiszenzen hatte Greshake bereits mit einer Teilveröffentlichung in der »Herder Korrespondenz« (72 [2018/12], 25–28: »Der Jahrhunderttheologe«).
Wer sich mit den hier präsentierten Beiträgen befasst, nimmt gleichsam post festum an der facettenreichen Tagung vom September 2018 teil. Mit der Edition »Sämtliche Werke« ist das komplette gedruckte Werk des Jesuitentheologen Karl Rahner kompakt zu­gänglich gemacht und in editorischen Anmerkungen der einzelnen Bearbeiterinnen und Bearbeiter kundig im werk- und theologiegeschichtlichen Kontext verortet. Rahner-Interpretationen und -Kritiken müssen sich am gedruckten Text festmachen und messen lassen, sonst führen sie sich selbst ad absurdum.