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Ausgabe:

Mai/2021

Spalte:

411–413

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gupta, Nijay K.

Titel/Untertitel:

Paul and the Language of Faith. Foreword by J. D. G. Dunn.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2020. 240 S. Kart. US$ 34,99. ISBN 9780802873439.

Rezensent:

Benjamin Schliesser

Nijay K. Guptas Studie »Paul and the Language of Faith« reiht sich ein in eine Serie von neuen Publikationen zum paulinischen Glaubensverständnis. Nachdem bis vor 20 Jahren die exegetische Forschung zur Wortfamilie πιστ- von anderen Fragestellungen völlig überlagert war (vgl. 33), wendet sich seitdem eine stattliche Zahl an Monographien und Sammelbänden diesem Zentralthema der frühchristlichen Theologie zu, insbesondere der Glaubenstheologie des Paulus. G. geht es weniger darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren, als vielmehr darum, bereits geleistete Forschung verständlich zu kommunizieren, zu bündeln und theologisch zu profilieren.
In den einleitenden Kapiteln erläutert G. zunächst sein Frage-interesse und seine Methodologie (1–20), stellt – recht knapp – bedeutende Stimmen aus der Theologie- und Forschungsgeschichte zu­sammen (21–38), nimmt griechisch-römische und jüdische Texte und Traditionen in den Blick (39–57, u. a. Dionysios von Halikarnassos, Plutarch, Dio Chrysostomos; Septuaginta, Philo, Josephus) und untersucht die Glaubensterminologie der Evangelien-literatur (58–76). Damit ist bereits mehr als ein Drittel des Buchs gefüllt, bevor G. nun überblicksartig die paulinische Sprache und Theologie des Glaubens im 1. Thessalonicherbrief und in dem Phi-lipperbrief (77–94), den beiden Korintherbriefen (95–114 und 115–1 33), dem Galaterbrief (134–155) und dem Römerbrief (156–170) darstellt. Ein Exkurs fasst seine Sicht auf die Wendung πίστις Χριστοῦ zusammen, die vor allem in der angelsächsischen Exe-gese inten-sive Debatten auslöste (171–176). Im Schlusskapitel (177–192) führt G. die exegetischen, religionsgeschichtlichen und theologischen Fäden zusammen und ordnet sie der Dialektik von »Glaube und Werk«, von göttlichem und menschlichem Anteil am Heil (»divine and human agency«) zu – eine Dialektik, die er in der paulinischen Bundestheologie aufgehoben sieht.
G. setzt nicht beim paulinischen Befund an, sondern bei drei seiner Meinung nach problematischen Tendenzen im gegenwärtigen religiösen Sprachgebrauch (1. »faith as opinion«, 2. »faith as doc-trine«, 3. »faith as passive«), um sie mit der Glaubensterminologie des Alten Testaments zu konfrontieren und auszuhebeln. Für Paulus, der auf dem alttestamentlichen Sprachgebrauch fuße, seien drei Verwendungsweisen zentral: 1. kognitiv formatierter Glaube (»πίστις as ›belief‹«), 2. relationaler Gehorsamsglaube (»πίστις as ›faithfulness‹«) und – dazwischen anzusiedeln – 3. willentlich vertrauender Glaube (»πίστις as ›trust‹«). An methodischen Fragen hält sich die Studie nicht lange auf, sondern nennt vielmehr schlaglichtartig eine Reihe von orientierenden Prinzipien, darunter die Theorie semantischer Domänen und die kulturelle Linguistik. In der Durchführung werden sie jedoch kaum greifbar.
Will man spezifische Eigenarten der Studie identifizieren, ist u. a. an folgende Aspekte zu denken: 1. Das Wort πίστις sei Teil der hellenistisch-jüdischen Bundestheologie, vor allem in der Septuaginta und bei Josephus, und spiegele die Reziprozität der Gott-Mensch-Beziehung wider (6.15–17.36 f.52–57 u. ö.). Daher rührt G.s gewöhnungsbedürftige und diskussionswürdige Wendung »co­v-enantal pistism«. Paulus habe in Reaktion auf den »Bundesnomismus« der frühjüdischen Theologie einen »Bundespistismus« propagiert: »Paul uses πίστις in reference to the core relational dynamic of the covenant, the nature of a covenantal bond that expects fidelity and mutuality with trust at its core« (143). 2. Die paulinische Sprache des Glaubens wird eng an die Jesustradition gebunden. G. bestreitet weder die sachlichen Differenzen noch die komplexen Überlieferungsprozesse, unterstreicht aber zu Recht, dass die Anklänge und Analogien nicht unterschätzt werden sollten (75 f.). 3. Den breitesten Raum nimmt die Korintherkorrespondenz ein. Hier differenziert G. zwischen zwei erkenntnistheoretischen Perspektiven auf den Glauben: Im 1. Korintherbrief betone Paulus die kontraintuitive »kreuzesförmige Epistemologie« des Glaubens sub contrario (105.114), im 2. Korintherbrief die »epistemologische Dialektik« zwischen einer sarkischen Sicht auf den leidenden Christus und einer »πίστις-Linse«, mit der das Unsichtbare sichtbar wird (132 f.). 4. Im Blick auf die Wendung πίστις Χριστοῦ, die er bewusst nicht in den Mittelpunkt seines Buchs stellen will (14), zeugen die immer neuen Anläufe von seinem eigenen Ringen (»Glaube an Christus« vs. »Glaube Christi«). Letztlich neigt er der Deutung als genitivius objectivus zu (37), will aber die dichotomische Engführung auflösen zugunsten einer durchaus sympathischen »dritten Sicht«, die in der Offenbarung des Christusglaubens (Gal 3,23.25) den Anbruch einer neuen Wirklichkeit erblickt (174). 5. Im Schlusskapitel verweist G. erneut auf die vielfältigen Verwendungsweisen der Wortfamilie πιστ- und schließt mit Vorschlägen für die konkrete Übersetzungsarbeit: Er lehnt eine konkordante Übersetzung ab, die πίστις durchweg mit »Glaube« (»faith«) wiedergibt, und votiert für drei Kategorien: »Glaube« (»faith«), »Vertrauen« (»trust«) und »Treue« (»faithfulness«) (181 f.).
Frappierend ist der spärliche Umfang des Kapitels zum Römerbrief, das exemplarisch und durchaus kenntnisreich das Habakuk-Zitat in Röm 1,16–17 interpretiert, aber darüber hinaus blass bleibt. Weshalb platzierte Paulus den für die imperiale Ideologie so zentralen Topos der fides/πίστις in den Themaversen seines Briefes an die Reichshauptstadt so prominent? Welche argumentativen und theologischen Absichten verfolgte er? Welche Resonanzen waren zu erwarten? Hätte nicht die eingangs skizzierte kultur- und mentalitätsgeschichtliche Herangehensweise (vgl. 34.46 f.) hier Früchte tragen können und müssen?
Insgesamt bewegt sich die Studie auf dem neuesten Stand der Forschung und berücksichtigt nicht nur die englischsprachige, sondern auch die deutschsprachige Forschung (freilich mit etlichen orthographischen Fehlern in den bibliographischen Angaben und in Zitaten). Sachgemäß ist das theologische Profil der Arbeit (17: »exegetical theology«), erfreulich die Klarheit der Durchführung. Der kolloquiale Stil, das Anekdotische und die bunte Bildersprache sind Geschmackssache; jedenfalls lassen sie erkennen, dass das Buch nicht (nur) für den akademischen Elfenbeinturm ge­schrieben wurde – auch das ein sympathischer Zug. Der Doyen der britischen Exegese, Doktorvater des Autors, Widmungsträger des Buchs und Verfasser eines Geleitworts, James Dunn, soll das letzte Wort über das Buch haben (X): »Reading it with care will strengthen and perhaps correct the reader’s understanding of faith. Who could ask for more?«