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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

237-240

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Krämer, Klaus, u. Klaus Vellguth [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Pentekostalismus. Pfingstkirchen als Herausforderung in der Ökumene.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 344 S. = Theologie der Einen Welt, 15. Geb. EUR 28,00. ISBN 9783451379529.

Rezensent:

Dirk Spornhauer

Der Band »Pentekostalismus« ist bereits der 15. Band der in Zu­sammenarbeit mit missio Aachen herausgegebenen Reihe »Theologie der Einen Welt«. Entsprechend des Programms der Gesamtreihe haben sich die Herausgeber bemüht, Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die aus der Perspektive unterschiedlicher Kontinente zu den komplexen Themen Stellung nehmen.
In zwei einleitenden Kapiteln werden die Entwicklung des Pentekostalismus in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa sowie die Grundzüge pentekostaler Theologie thematisiert. In einem dritten Kapitel wird die Faszination der pentekostalen Bewegungen für Christen in den genannten Regionen reflektiert. Ein weiteres Kapitel behandelt dann die charismatischen Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche und ein letztes Kapitel die Antworten der katholischen Kirche auf die pentekostalen Bewegungen.
Dieser Aufbau zeigt bereits die doppelte Zielsetzung des Bandes an. Er möchte einerseits »einen Beitrag zur Stärkung des weltkirchlich-theologischen Diskurses« leisten und andererseits Anregungen geben, wie ein »Dialog auf Augenhöhe« gelingen kann »gegenüber den pentekostalen und evangelikalen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche« (18).
Diese Zielformulierung offenbart einige der Schwierigkeiten des Bandes. Neben der Behandlung der weltweiten Pfingstbewegung sollen außerdem die charismatische Erneuerungsbewegung und der Evangelikalismus in seiner Wirkung innerhalb der katholischen Kirche behandelt werden. Gerade dieses letzte Thema durchzieht als Subthema mehrere Beiträge und wird z. B. als »evangelikaler Glaubensstil« (233) oder »evangelikal-(neo)charismatischer Modus Operandi« (304) identifiziert. Der einerseits positiv als Herausforderung beschriebene Glaubensstil verhindert letztlich den Dialog auf Augenhöhe zwischen Katholizismus und Pentekos-talismus, da gerade dieses Subthema zu Appellen an die eigene Kirche führt, die das mögliche Ziel des gedachten Dialogs bereits vorwegzunehmen scheinen (235.308).
Genauso lässt sich andererseits der entgegengesetzte Effekt be­obachten, wenn »fremdartige Praktiken« (332) angeprangert und die »stille« Bekehrung von Katholiken, die zu Protestanten werden, als eine der tragischen Auswirkungen der Pfingstbewegung bzw. der katholischen Charismatischen Bewegung bezeichnet werden (332 f.). In beiden Ausprägungen zeigt sich die Überlagerung des eigentlichen Anliegens durch das Evangelikalismus-Thema.
Eine weitere Schwierigkeit ist die Auswahl der Autorinnen und Autoren, die gelegentlich eher zufällig wirkt und bei mehreren Beiträgen dazu führt, dass zu der jeweils geplanten, breit angelegten Themenstellung ein von lokalen Erlebnissen geprägter Erfahrungsbericht geliefert wird, der dann als Beitrag für einen ganzen Kontinent stehen soll.
Auch ist die Qualität der Beiträge, gerade was die Dialogbereitschaft und die Vertrautheit mit dem Thema angeht, sehr unterschiedlich. Neben Beiträgen von ausgewiesenen Kennern der Ma-terie mit dem Willen zum ernsthaften Dialog stehen solche, bei denen die Autoren nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, pfingstliche Frömmigkeitsformen als echten Versuch gelebten christlichen Glaubens wahrzunehmen. Wenn darüber sinniert wird, dass »der durchschnittliche Pfingstler« alles glauben wird, »was mit viel Brimborium vorgetragen wird, weil Bibelstudium, theologische Bildung und Katechismus nie Teil des spirituellen Entwicklungsplanes« gewesen seien (204), ist ein Dialog auf Augenhöhe, wie ihn die Herausgeber anstreben, nicht zu führen.
Zu einzelnen Beiträgen sind einige Anmerkungen angebracht:
Bei der Untersuchung der Entwicklung des Pentekostalismus im ersten Kapitel bleibt die Reduktion auf den so genannten globalen Süden (Asien/Südamerika/Afrika) unreflektiert. Sie ergibt sich für den kundigen Leser aus der Bedeutung des Pentekostalismus in diesen Kontinenten und den Herausforderungen für den Katholizismus dort. Und die Hinzunahme Europas zum Betrachtungsgebiet wird ebenso wenig begründet wie die Nichtberücksichtigung Nordamerikas, wobei dieser Bereich gerade bei der Entstehungsgeschichte der Bewegungen immer wieder thematisiert wird.
Dabei ist es problematisch, wenn im ersten Beitrag die katholische Charismatische Bewegung als »Dritte Welle« bezeichnet wird (29), da dieser Begriff sowohl als Selbstbezeichnung als auch als Klassifizierungsbegriff in der Forschung seit Jahrzehnten geprägt ist. Allerdings bezeichnet er eine Bewegung der 1980er Jahre, die in erklärter Abgrenzung zu charismatischen Bewegungen weltweit Bedeutung erlangte. In späteren Beiträgen wird der Begriff dann in der geläufigen Bedeutung verwendet, was zu Missverständnissen beitragen wird.
Im Beitrag über den Pentekostalismus in Lateinamerika ist die gelungene Darstellung des neuartigen Pfingstaufbruchs am Beispiel Brasilien positiv hervorzuheben (59 ff.). Diese als »New Apos-tolic Reformation« bekannte Bewegung stellt eine neuartige Entwicklung innerhalb des Pentekostalismus dar, deren besondere Herausforderungen durch das gezielte Ergreifen politischer Macht (Dominionism) für einzelne Staaten bzw. Regionen treffend reflektiert werden.
Im zweiten Kapitel ist der Beitrag »Heilender und Heiliger Geist« zu erwähnen. Die Autorin ist eine ausgewiesene Kennerin der Ausprägungen pfingstlich-charismatischer Theologie als auch des theologischen Diskurses innerhalb und auch mit der aktuellen akademischen Pfingsttheologie, die als solche wahr- und ernstgenommen wird. Die Autorin versteht es, die oft divergierenden Tendenzen innerhalb des globalen Pentekostalismus zu benennen und darzustellen. Dabei wahrt sie die Augenhöhe zum Gesprächspartner und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu dem von den Herausgebern angestrebten Dialog.
Im dritten Kapitel bildet der Beitrag »Es kommt nicht etwas auf uns zu, es ist schon da« einen gelungenen Perspektivwechsel auf die praktische Faszination pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit. Dabei finden sich aus katholischer Sicht kritische, aber auch selbstkritische Töne (153). Die Herausforderungen durch die Bewegungen führen dabei zur positiven Reflexion auf eigene liturgische Kompetenzen und bringen diese ins Gespräch (154).
Im vierten Kapitel ist es schade, dass der Herausgeber sich in seinem Beitrag über die Strömungen in der katholischen Kirche in Deutschland nur mit dem Gebetshaus Augsburg und dem »Mission Manifest« beschäftigt, ohne die Vielfalt der Bewegung in den Blick zu nehmen. Dies ist umso bedauerlicher, als das Gebetshaus Augsburg im letzten Kapitel erneut Thema ist. Hier hätte von Herausgeberseite eine Doppelung leicht vermieden werden können.
Der Beitrag über die weltweite katholische Charismatische Be­wegung liefert einen guten Einblick in den Umgang der kirchlichen Hierarchie mit neu aufkommenden Bewegungen. Er reflektiert die Entwicklung von der Zeit vor dem Vatikanum II bis zur Anerkennung durch den Heiligen Stuhl 2005 aus theologischer bzw. kirchenamtlicher Sicht. Diese Perspektive ergänzt die sonst oft regional bzw. thematisch begrenzten Betrachtungen. Hierzu trägt auch der Beitrag des weiteren Herausgebers im letzten Kapitel über die offiziellen Dialoge zwischen der katholischen Kirche und der Pfingstbewegung bei. Positiv ist, dass gerade die Problematik des Dialogs mit den neopentekostalen Strömungen Erwähnung findet und hier neue Formen erwogen werden (294).
Im Blick auf den gesamten Band hätte dieses für die weltweite Christenheit so herausfordernde Thema eine etwas intensivere Vorbereitung bei der Auswahl der Autorinnen und Autoren verdient gehabt. An dem weniger positiven Gesamteindruck haben besonders diejenigen Beiträge Anteil, die die Pfingstbewegung als theologische Größe bzw. etablierten Teil des Christentums nahe-zu völlig ignorieren. Diesen Eindruck können auch diejenigen Bei-träge nur bedingt ausgleichen, die den von Herausgeberseite ge­wünschten Dialog auf Augenhöhe erreichen.