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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

214-216

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Plevrakis, Ermylos, u. Max Rohstock [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Grundlegung des Absoluten?Paradigmen aus der Geschichte der Metaphysik.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2019. 352 S. = Heidelberger Forschungen, 42. Kart. EUR 54,00. ISBN 9783825369279.

Rezensent:

Christian Danz

Dem Absoluten und seiner philosophischen Grundlegung widmet sich der von Ermylos Plevrakis und Max Rohstock herausgegebene Band Grundlegung des Absoluten? Paradigmen aus der Geschichte der Metaphysik, der auf eine Heidelberger Tagung zurückgeht. Er versammelt 13 Beiträge zur Thematik aus der Geschichte der Philosophie. Im Fokus des Interesses der Autoren stehen die Metaphysik, deren gedankliche Grundlegung sowie die mit diesem Unternehmen verbundenen Schwierigkeiten. Denn wenn das Absolute unbedingt und seinerseits Grund von allem sein soll, wie kann es dann eine gedanklich ausweisbare Begründung von ihm geben? »Eigentlich – wie auch der vorliegende Sammelband zeigt – stehen alle Metaphysiker vor der paradoxen Grundbeobachtung, dass die systematisch artikulierte Metaphysik und zuverlässig begründete Lehre vom Absoluten zumindest prima facie gleichermaßen notwendig wie unmöglich erscheinen.« (8) An diesem Dilemma jeder Grundlegung des Absoluten arbeiten sich die Beiträge des Sammelbandes ab, indem zentrale Konzeptionen aus der Geschichte der Philosophie prägnant vorgestellt und auf hohem Niveau gedanklich rekonstruiert werden. Im Einzelnen werden antike, mittelalterliche, neuzeitliche Positionen sowie mit Edmund Husserl und Karl Jaspers zwei Positionen aus dem 20. Jh. diskutiert. Hinzu kommt ein Beitrag, der sich mit einer buddhistischen Konzeption des Absoluten beschäftigt, also fernöstliches Denken einbezieht. Damit bietet der Band – das ist gar nicht anders möglich – eine exemplarische Auswahl von philosophischen Grundlegungen des Absoluten.
Die dem Band vorangestellte Einleitung (7–14) führt in die Thematik und die mit ihr verknüpften systematischen Probleme ein. Eröffnet wird die inhaltliche Diskussion der Kontroversen über das Absolute mit Platon (Carl O’Brien, 15–36). Ihm verdanken wir wohl die erste philosophische streng ausgeführte Theorie des Absoluten als einem systematischen Abschlussgedanken, der alles Seiende zwar begründet, selbst aber keiner Begründung unterliegt. Dem Schüler Platons wendet sich Ermylos Plevrakis in seinem Beitrag »Aristoteles’ Suche nach der Ersten Wissenschaft« (37–63) zu. Luzide wird das Programm der aristotelischen Metaphysik in seinen einzelnen Aufbauelementen vorgestellt, welches in der Theologie als erster Wissenschaft gipfelt. Dem aristotelischen Gottesgedanken, dem absoluten Prinzip, kommt, wie der Autor zeigt, eine synthe-tisierende Funktion zu, die verschiedene Bestimmungen eines letzten Prinzips zusammenfasst. »Gott ist nicht nur ewige Vernunft, der Erste Beweger oder der Satz des Widerspruchs, sondern das Prinzip, das die Funktion all dieser Prinzipien zugleich erfül-len sollte.« (57 f.) Die in den Rang einer ersten Wissenschaft rü-ckende Theologie hat Aristoteles indes nicht ausgeführt. Sie bleibt ein »Desiderat« (59), so dass der aristotelische Gott in seiner Prinzipienfunktion »eine notwendige Hypothese des Denkens, ein logisches Postulat« ist, »die unbeweisbare Annahme einer letzten Synthese aller Prinzipen, die keine eigene Wissenschaft von sich zu­lässt« (60).
Dem jüdischen Platoniker Philon gelten die Ausführungen von Ze’ev Strauss (»Philon von Alexandria. Das Innewerden des Absoluten«, 65–91), der die Verzahnung von Monotheismus und Absolutem herausarbeitet. Gott ist für Philon der »voraussetzungslose Ursprung«, der »allein durch sich selbst aufgefasst werden kann« (89). Der Weiterführung von Platons Idee des Guten im Neuplatonismus geht Max Rohstock in seinem Beitrag »Plotin. Erotische Evidenz« (93–115) nach. Wenn dem Absoluten strikte Transzendenz zukommt, ist damit das Folgeproblem verbunden, wie dann noch von ihm gewusst werden kann? »Wir sehen ein, dass unter der Bedingung des Vollzugs dieser Negationen uns letztlich plötzlich das vermutlich vom Absoluten ausströmende Licht erhellt.« (110) Aber woher weiß man, dass es das Absolute ist, was uns erhellt, wenn dieses selbstbezüglich ist? Eine Lösung dieses Dilemmas bietet Damaskios, der »letzte Scholarch der Platonischen Akademie von Athen« (117). Dessen Denken des Absoluten stellt Gheorghe Pascalau unter dem Leitbegriff »Das Absolute ›jenseits des Unsagbaren‹« (117–146) vor. Entweder weiß man vom Absoluten, dann ist es nicht mehr dieses, oder es ist das Absolute, aber dann kann man es nicht wissen. Damit ist die Problematik des Absoluten, wie der Autor in seinem Beitrag ausführt, in der Tat auf den Punkt gebracht. Was soll jedoch ein transzendentes Absolutes, von dem man nichts weiß, und woher weiß man von ihm, wenn es so beschaffen ist, dass man von ihm auch nichts wissen kann?
Thomas von Aquins »Grundlegung des Absoluten« wendet sich Roberto Vinco zu (147–170), und José Maria Sánchez de León Serrano diskutiert »Given or Attained? Divine Knowledge in Spinoza« (171–197). Letzterer ist ohne Frage einer der zentralen Referenzautoren der nachkantischen Philosophie sowie der in ihr ausgearbeiteten Konzeptionen des Absoluten. Der Beitrag diskutiert die Spannung in Spinozas Ethica, nach der dem Absoluten auf der einen Seite Evidenz zukommt, es aber auf der anderen nicht adäquat erfasst werden kann. Platons Idee des Absoluten als systematischer Abschlussgedanke nimmt auch Immanuel Kant auf. Allein, diese Idee fungiert bei dem Königsberger Denker, wie Sabrina Bauer ausführt, als eine regulative Idee (»Das System aller philosophischen Erkenntnis ist nun Philosophie«, 199–222). Kants Transzendentalphilosophie formuliert die Metaphysik gegenüber der Schulphilosophie des 18. Jh.s, an der er sich orientiert, zu einer neuen Wissenschaft um (vgl. 201). Da die Kritik der reinen Vernunft den Gottesgedanken aus dem Bereich geltender intersubjektiver Erkenntnis ausscheidet, verschiebt Kant das metaphysische Thema in die Moralphilosophie. »Der positive Teil der kantischen Metaphysik ist keine spekulative, sondern praktische Erkenntnis.« (217) Folglich repräsentiert der Gottesgedanke dem sittlich Handelnden die Voraussetzungen und Implikationen, die in der Realisierung der sittlichen Aufgabe, nämlich der Verwirklichung des höchsten Guts, in Anspruch genommen sind.
Die nachkantische Philosophie und die hier ausgearbeiteten Konzeptionen des Absoluten knüpfen an die kritische Destruktion der überlieferten Metaphysik an und werden anhand von Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel vorgestellt. Sebastian Stein thematisiert »Eins und doch zwei. Fichtes dynamischer Vernunftbegriff zwischen Monismus und Dualismus« (223–251). Einheit und Dualität markieren die Grundstruktur von Fichtes Philosophie, die werkgeschichtlich als Einheit vorausgesetzt wird. Allein, die Einheitsthese in Fichtes absolutem Bewusstsein bleibe unterkomplex, da sie, wie an dessen Konzeption des Be­wusstseins im Verhältnis zur Natur und seines Gottesgedankens gezeigt wird, Dualität oder Differenz voraussetzt. Damit bleibt aber nur die Möglichkeit, Einheit und Differenz in ein Wechselverhältnis zu überführen. Genau das ist das Konzept von Hegels spekulativer Philosophie. Sie wird von Ermylos Plevrakis in seinen Überlegungen über »Hegels voraussetzungslose Wissenschaft vom Absoluten« exemplarisch mit Bezug auf die Wissenschaft der Logik und ihres Anfangs diskutiert (253–278).
Der Debatte über das Absolute im 20. Jh. sind die Beiträge »In the ›Realm of the Mothers‹. On the Absolute in Husserl’s Phenomenology« (279–304) von Thomas Arnold und »Karl Jaspers’s Philosophie als Begründung eines Glaubens an das Absolute« (305–332) von Tolga Ratzsch gewidmet. Beide Autoren skizzieren prägnant die Konzeptionen von Husserl und Jaspers vor dem Hintergrund der Kontroversen über die »Krisis des Historismus« (E. Troeltsch) um 1900. Im abschließenden Beitrag von Han Wang geht es um eine Form des Absoluten, die mit dessen Negativität einen Aspekt in den Vordergrund rückt, der zur Geschichte dieses Gedankens seit Platon gehört. Wie der Autor in seinem Beitrag »The Other Shore Opposed to Reason. The Absolute Truth as ›Emptiness‹ in Buddhism« (333–352) zeigt, rückt im Buddhismus eine doppelte Transzendenz in den Fokus, deren Einsicht dazu führt, die Leere der Welt zu sehen, wie sie ist. Freilich, auch hier bleibt das Problem, dass der Sehende erst dann sieht, wenn er sich selbst »ausschaltet«, also eine strikte Negation vollzieht.
Eindrücklich diskutieren die Beiträge des Bandes die systematischen Schwierigkeiten, die mit einer Grundlegung des Absoluten verbunden sind. Streng gedacht, muss es selbstbezüglich sein. Nur dann ist es nicht von Gnaden des endlichen Denkens, also eine nicht-gesetze Setzung. Ist es aber selbstbezüglich, wie kann dann von dem Absoluten gewusst werden? Ohne eine Antwort auf diese Aporien zu geben, ist keine Theorie des Absoluten möglich. Über die gedanklichen Mittel, die hierzu aufgeboten werden müssen, kann man sich in dem vorliegenden Buch bündig informieren.