Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

86–87

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Christlich glauben. Eine theologische Ortsbestimmung.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2019. 432 S. Geb. EUR 40,00. ISBN 9783451385902.

Rezensent:

Martin Breul

Jürgen Werbicks Produktivität ist auch ein Jahrzehnt nach seiner Emeritierung beeindruckend. Mit dem 2019 erschienenen Buch »Christlich glauben« liegt nun eine weitere Monographie vor, die einen großen Bogen quer durch die Systematische Theologie spannt. Ganz grundlegend stellt sich W. der Aufgabe, eine »Theologie des Glaubens« zu entwickeln, also eine theologische Ortsbestimmung dessen zu geben, was Glauben ausmacht und welche Bedeutungsdimensionen dem Glauben in einer christlichen Perspektive zu­kommen können. Naturgemäß ist das ein sehr weites Feld, das W. jedoch gekonnt bestellt – sein sicheres Gespür für theologische Fragen und Problemstellungen, die an der Zeit sind, macht auch dieses Buch zu einer lesenswerten Lektüre, die dabei zugleich nicht den theologischen Schonwaschgang einlegt, sondern die Probleme eines theologischen Konzepts von »Glauben« klar benennt und da­mit nicht zu­letzt die je eigene Reflexion über diese Fragen anregt.
Das Buch »Christlich glauben« gliedert sich in 14 Kapitel. Die ersten beiden Kapitel bieten gewissermaßen ein methodologisches Vorwort und betten die folgende Entwicklung einer »Theologie des Glaubens« in den größeren Rahmen von W.s Theologie im Ganzen ein. Insbesondere W.s gleichermaßen methodisch vorsichtiges wie in der Sache entschiedenes Eintreten für einen »personalen Theismus«, der Gott kommunikationstheoretisch als mit seinen Ge­schöpfen Interagierenden begreift, baut Brücken zu seinen anderen Schriften. Das elementare Verständnis von Glauben, das als Leitmotiv auch die folgenden Kapitel begleitet und das in diesen Kapiteln formu-liert wird, versteht diesen als einen »Glauben an ein Bejaht-Sein, das mir die Möglichkeit schenkt, mein Dasein zu bejahen« (11). Kurz: Glauben sei zu verstehen als kommunikatives Geschehen des »Ins-Vertrauen-gezogen-Werdens« (11). Dieses elementare Glaubensverständnis wird in den übrigen Kapiteln weiter ausgefaltet: Kapitel 3 formuliert eine »Topologie der Glaubensweisen« (63), die in Kapitel 4 biblisch-theologisch fundiert und in Kapitel 5 mit der päpstlichen Enzyklika »Lumen Fidei« von 2013 ins Gespräch gebracht wird. In den Kapiteln 6–8 erörtert W. Gegenbegriffe zum Glauben: Kapitel 6 untersucht das Verhältnis von Glauben und Zweifel, Kapitel 7 von Glauben und Wissen, Kapitel 8 von Glauben und Fühlen. Kapitel 9 und 10 bearbeiten die Frage der Freiheit zum Glauben – während Kapitel 9 einen Begriff von Freiheit entwickelt, das die Abwesenheit von Zwang und die konstitutive Rolle des Ergriffenwerdens für ein zeitgemäßes Freiheitskonzept zu vereinen sucht, zielt Kapitel 10 auf eine ekklesiologische Einbettung dieses Freiheitsbegriffs. In Kapitel 11 wendet W. sein Freiheitskonzept auf die kontroverstheologisch brisante Frage der Werkgerechtigkeit an, um sich dann in Kapitel 12 und 13 der Sote-riologie zu widmen, da der christliche Glaube im Kern ein Erlösungsglaube sei. Das Buch schließt mit Reflexionen über die Sinnhaftigkeit des Gebets-Glaubens, die W. in der »Bitte um Gottes Präsenz« (397) lokalisiert. Eine Kurzformel für »Bitten« und »Glauben« sei daher: »Gottes Zukunft in Anspruch nehmen« (397). Der Gebetsglaube ist W. zufolge primär eine Praxis, die sich von den Zuschauerrängen nicht erschließen lässt, die sich aus der Perspektive des Glaubens jedoch als Hoffnung auf die gute Zukunft Gottes rechtfertigen lasse.
Wie diese sehr knappe Übersicht über die Leitthemen des Bu­ches zeigt, bearbeitet W. eine Reihe von Themen in der Peripherie einer »Theologie des Glaubens« und fügt damit seinem theologischen Gesamtansatz ein wichtiges Kapitel hinzu. Insbesondere W.s stete Rückbindung der oftmals abstrakten Analyse von Glaubensüberzeugungen an konkrete inhaltliche Bestimmungen des Chris-tentums ist eine Stärke des Buches, da hier der Faden zu den materialen Fragen der Gotteslehre, der Soteriologie oder auch der Theo-dizeefrage nie abreißt. Die Topologie von Glaubensweisen vermag genauso zu überzeugen wie W.s behutsame Einbettung des Glaubensbegriffs in biblische Kontexte, in begriffliche Problemzonen (Zweifel, Wissen, Gefühl) oder in die Frage nach dem Sinn des Gebets. Ganz im Sinne von W.s abgerüstetem Begründungsanspruch – theologische »Letztbegründungen« oder auch nur transzendentale Ar-gumentationsformen lehnt er explizit ab (vgl. 11.201 f.308) – stellt dieses Buch häufig Fragen ins Offene und regt damit zum Nachdenken an; und auch wenn es sich von Zeit zu Zeit um »lange Klärungswege« (12) handelt, besteht die große Stärke dieses Buches im Nachspüren von theologischen Problemkonstellationen und in der Entwicklung nicht-abgeschlossener Lösungsversuche dieser Probleme.
Zum Nachdenken regen auch W.s Überlegungen zum Freiheitsbegriff an, die den libertarischen Grundtenor in der gegenwärtigen katholischen Theologie anfragen. Damit erweisen sie sich für das ökumenische Gespräch einerseits als sehr ersprießlich – W.s Bestimmung von Gnade und Freiheit als gleichursprüngliche Elemente bietet sich als Kompromissposition im Streit um die Rechtfertigungslehre geradezu an (vgl. 314–335). Andererseits könnte aber hinterfragt werden, inwiefern der vorausgesetzte, latent kompatibilistische Freiheitsbegriff hinreichend durchbestimmt wird. W. verteidigt ein Konzept von Freiheit, das einerseits an der Notwendigkeit der Abwesenheit von Zwang festhält. Andererseits steht er dem libertarischen Prinzip alternativer Möglichkeiten oder auch einem Konzept von Freiheit als Autonomie fern, etwa wenn er Freiheit als ein »Sich-ergreifen-Lassen von der schlechthin guten Alternative eines Lebens in Fülle« (281) versteht. Viele Formulierungen W.s haben dabei eine frappierende Ähnlichkeit zu kompatibilistischen Positionen.
W. sieht den freien Willen dann realisiert, »wenn er entdeckt, was er […] mit ganzem Herzen wollen kann« (281), und er fordert dazu auf, »frei zu ergreifen, was mich hier ergriffen hat« (282). Dies ist sehr nah an klassischen Formulierungen des Kompatibilismus: Ein Wille ist frei, wenn er wollen kann, was er will. In meinen Augen könnte man daher die Rückfrage stellen, ob W. die Freiheit des Menschen wirklich einholt, wenn offene Möglichkeiten für sie keine Rolle spielen und wenn sie nicht als ein Vermögen der Kreativität und Spontaneität verstanden wird. Damit ist keineswegs gesagt, dass das Ergriffenwerden für den freien Willen und freie Handlungen irrelevant ist – im Gegenteil ist Freiheit immer lebensweltlich kontextualisiert und daher nie »reine«, also kontextlose Autonomie. Die offene Frage ist lediglich, ob ich mich zum Ergriffenwerden noch einmal in ein reflexives und autonomes Verhältnis setzen (und es entsprechend im Prinzip auch ablehnen) kann, oder ob ich nur im Nachhinein feststellen kann, dass ich mein Ergriffenwerden auch bejaht hätte, wenn ich mich dazu seinerzeit hätte verhalten können.
Diese Rückfragen sind nicht als kritische Einwände, sondern als genuin offene Fragen formuliert; und sie schmälern auch nicht W.s Leistung, der mit diesem Buch eine profilierte, lesbare und fach-lich höchst relevante Ortsbestimmung des Glaubensbegriffs vornimmt. W. legt einen der ausgefeiltesten und wohldurchdachtes-ten theologischen Entwürfe zu einer Analyse von »Glauben« vor, den die deutschsprachige Theologie derzeit zu bieten hat.