Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

84–85

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Omta, Fokko Frederik

Titel/Untertitel:

Sin: Against Whom or Against What? An assessment of Barth’s and Tillich’s perspectives on sin and sanctification in comparison to views of New Age authors.

Verlag:

Utrecht: KokBoekencentrum Uitgevers 2019. 448 S. Kart. EUR 34,99. ISBN 9789043533638.

Rezensent:

Friedrich Schumann

Die Sündenlehre ist ein innerhalb der zeitgenössischen Theologie kontrovers diskutiertes Feld. Während manch ein Theologe dazu übergegangen ist, »Schluss mit Sünde« zu machen, schlägt der niederländische Pfarrer und Religionslehrer Fokko Frederik Omta (geb. 1956) in seiner an der Amsterdamer Vrije Universiteit eingereichten und nun in Buchform vorliegenden Dissertation einen anderen Weg ein. Ihm geht es gerade nicht um ein Desavouieren jeder Rede von Sünde. Denn, so seine Annahme, der Verlust eines allgemein tragfähigen Sündenverständnisses bedeutet auch den Verlust des Zugangs zu einer menschlichen Tiefendimension (382). Vielmehr müsse der Versuch einer konzeptionellen Neubestimmung gewagt werden. Hierfür trifft O. zwei theologisch provokative Vorentscheidungen: Zum einen plädiert er für einen »non-theistischen« Sündenbegriff (XXI), der auf diese Weise auch Menschen jenseits traditioneller christlicher Sozialisierung ansprechen soll. Zum anderen soll ein Vergleich der (Sünden-)Theologien Karl Barths und Paul Tillichs mit drei maßgeblichen Vertretern der New-Age-Spiritualität (Jane Roberts, A Course in Miracles, Matthew Fox) helfen, eine solche Konzeption zu entwerfen.
Strukturell gliedert sich die Arbeit neben Einleitung und Zu­sammenfassung grob in vier Teile. Im ersten Teil (1–51) wird das Arbeitsfeld schlaglichtartig umrissen. Der zweite Teil (53–151) konzentriert sich auf die drei Primärquellen aus dem New-Age-Be­reich, der dritte und umfangreichste (153–344) auf Barth und Til-lich sowie zum Ende hin auf den Personenbegriff. Im vierten Teil schließlich (345–389) wird das Erarbeitete zusammengesehen und in O.s eigenen Ansatz überführt.
Zu Beginn des Buches werden zunächst, ausgehend von Augus-tinus, Elemente traditioneller Sündentheologie gesichtet, die schließlich in der Formel »sin as a culpable and personal affront to a personal God« (9) kulminieren. Diese von Cornelius Plantinga Jr. stammende Definition bildet die in der Folge zu revidierende Arbeitsgrundlage. Sodann erarbeitet O. eine Tafel von zweimal vier Punkten, anhand derer die Standpunkte der fünf Primärquellen miteinander verglichen werden sollen: »(1) Divine-human unity? (2) Denial original sin? (3) Denial of all evil? (4) Denial actual sin? (a) Co-eternity? (b) Direct gnosis? (c) Denial/dissolution of individual soul? (d) Denial of a trans-mundane personal God?« (44) In Zwischenresümees werden die jeweiligen Primärquellen hinsichtlich der genannten Punkte mit »Plus«, »Minus« oder »Unentschieden« versehen, teils jedoch unter Interpretationsschwierigkeiten. Die Formulierung der Kategorie »Leugnung des Bösen« wird beispielsweise je nach Primärquelle kommentarlos etwas abgeändert, im Ergebnis kommt unterm Strich allzu oft ein »Unentschieden« raus (321). Für eine solche tabellarische Darstellung scheinen die ge­wählten Kategorien eher mangelhaft zu sein, als Wegweiser durch die einzelnen Quellen sind sie hingegen durchaus hilfreich.
Die Besprechung der New-Age-Quellen ist erfrischend frei von Polemik. Gerade indem sie ernst genommen werden, treten auch ihre Mängel und inneren Unstimmigkeiten deutlich zutage (139–151). Dass die Theologie Tillichs dann in einigen Punkten (selbst wenn man den Interpretationen nicht immer zustimmen möchte) durchaus dialogfähig mit New-Age-Ansätzen ist (325–327), auch durch die gemeinsame Nähe zu Humanistischer und Transpersonaler Psychologie (34–36), ist angesichts manch später Affinitäten des Theologen zu Frühformen des New Age (Eranos, Esalen-Institut, …) keine große Überraschung.
Da der Vergleich der fünf Quellen Fragen über konzeptionelle Voraussetzungen aufwirft, folgt am Ende des dritten Teiles ein Exkurs über den Personenbegriff (327–344) sowohl in Bezug auf den personalen Gott als auch auf den Menschen. Er bildet zugleich den Übergang zur Neubestimmung von Sünde im kritischen Austausch mit den gesichteten Primärquellen. Als Brücke fungiert dabei der Personenbegriff Max Schelers, der recht unvermittelt aufgegriffen wird, doch zugleich – ohne dass der Buchtitel Hinweis darauf gäbe – der heimliche Protagonist der Arbeit ist. Das hat einen taktischen Grund: Die Anthropologien der einzelnen Primärquellen stehen in Spannung zueinander, jede für sich aber steht O. zufolge in Übereinstimmung mit Schelers Bestimmung des Menschen als »geistigem Wesen« (337.349). Statt dem Personen- rückt damit der Geistbegriff ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Insofern er zum Definitionsmerkmal des Menschen wie auch zum primären Bestimmungsmerkmal Gottes wird, wird der Geist zum Ort der Vermittlung zwischen Gott und Mensch (364–366) – und damit auch zum möglichen Ort der Sünde. So findet O. schließlich zu seiner angestrebten Konzeption von Sünde als »Selbstverleugnung durch persönliche Trägheit und damit einhergehende Entfremdung vom eigenen essentiellen Geist« (375).
Die Konsequenzen sind weitreichend, exemplarisch sind hier zwei Kritikpunkte festzuhalten: 1. Kaum bzw. ungenügend (ebd.) differenziert wird zwischen Atheismus, Nontheismus, nichtpersonalem sowie symbolischem Theismus (Letzterer unter Rückgriff auf Tillich, 373.386). Inwiefern ein so geartetes Sündenkonzept Nicht-Theisten bzw. gar Atheisten (XXI) anzusprechen vermag, bleibt fraglich, allzumal O.s Philosophische Anthropologie etwas aus der Zeit gefallen wirkt. 2. Dass der Entwurf letztlich den alten Gedanken der Analogia entis impliziert, überrascht angesichts des starken Scheler-Bezugs weniger (der schließlich ehedem auch für E. Przywaras Formulierung der Seinsanalogie grundlegend war). Kaum haltbar ist dabei jedoch die Rolle, die Barth zukommt: Ausgerechnet seine Analogia fidei wird in similarity (338) zur »geist-ontologischen« Vermittlung zwischen Mensch und Gott gesehen, während die für Barth unerlässliche Christozentrik implizit verworfen werden muss, da O.s Anthropologie die sie erfordernde radikale Trennung von Gott und Mensch nicht zulässt (365 f.). Dieses hier nur angerissene Sonderproblem gibt Hinweis auf das theologische Zentralproblem des Buches: mit dem »nontheistischen« Sündenbegriff scheint auch die unbedingte Relevanz Jesu Christi kassiert, ebenso wird die Notwendigkeit der Rechtfertigung uneinsichtig (ein vielleicht möglicher Ansatz unter Aufnahme von Tillichs »protestantischem Prinzip« bzw. Gnadenbegriff wird nicht weiterverfolgt, 267–271).
Schließlich bergen O.s Ausführungen zu würdigende Potentiale, allen voran die sündentheologischen Reflexionen über den (mit Scheler) zu kritischer Selbsttranszendenz sowie zu Identifikation durch Akte fähigen Menschen (353–361.368–370). Die »innere« Geis-tigkeit des Menschen realisiert sich durch willentliche äußere Akte, die ihrerseits wiederum rückverweisen auf die geistige Ausrichtung des Individuums, formelhaft ausgedrückt: Gott oder Mammon, Bedingtes oder Unbedingtes (370.385 f.)? Das mag kein revolutionärer Ansatz sein, O. gelingt es jedoch, das Bemühen um einen ausgewogenen Subjektbegriff zwischen Freiheit und Angewiesenheit mit einem existentiell greifbaren Sündenbegriff zu vermitteln, der auf den letzten Seiten vor dem Hintergrund der gesellschaft-lichen Tendenzen des anything goes und der »Depersonalisierung« Kontur gewinnt (382–384), ohne dabei jedoch in ein kulturpessimistisches Lamento zu verfallen. Dieser Schlussabschnitt hätte gerne ausführlicher ausfallen können.