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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

74–76

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Möllenbeck, Thomas, u. Ludger Schulte [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Präsenz. Zum Verhältnis von Kunst und Spiritualität.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. 376 S. m. Abb. Geb. EUR 29,80. ISBN 9783402134085.

Rezensent:

Christian Neddens

Was verbindet Kunst und Religion bzw. Kunst und Spiritualität? Ist es die Stiftung von »Präsenz«, die beide verbindet? Der Sammelband, der auf einen Studientag an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Trägerschaft der Deutschen Kapuziner in Münster zurückgeht, erweist sich mit dieser Fokussierung verblüffend undialektisch als Protagonist klassisch römisch-katholischer Bildtheologie. Das protestantische Gegenstück würde sich wohl, ebenso klassisch, als »Präsenz im Entzug« (Philipp Stoellger/Thomas Klie, Tübingen 2011) titulieren lassen. Und damit sind wir bei der vielleicht interessantesten Frage, die dieser Sammelband beim Leser aufwirft: Ist Bildertheologie nach wie vor – sogar mehr als die Sakramentstheologie – von konfessionell differenten Hermeneutiken geprägt?
Die Beiträge sammeln sich in zwei Rubriken: solche, die sich dezidiert mit der »Präsenz« als Schlüssel zu Kunst und Spiritualität befassen, und solche, die das Verhältnis thematisieren, ohne sich dezidiert auf den Aspekt der Präsenz zu fokussieren.
Eröffnend rekapituliert Ludger Schwienhorst-Schönberger Sinn und Funktion des alttestamentlichen Bilderverbots. Dieses sei nicht Ausdruck einer Reflexion über die Nichtdarstellbarkeit Gottes, wie man häufig annimmt, sondern gehöre zum Fremdgötterverbot und verhindere, dass JHWH in eine Reihe mit den anderen Göttern ge­stellt werde. Von hier aus diskutiert Schwienhorst-Schönberger die Argumente der Bilderfreunde und Bilderfeinde im Christentum und fokussiert auf die These, dass das Bild im Christentum kein defizienter Wirklichkeitsmodus sei, sondern als »Abglanz seiner Herrlichkeit« (Hebr 1,3) eine vollkommene Präsentifikation des lebendigen Gottes. Bilder seien legitim, solange sie auf die Menschwerdung Gottes in der geschichtlichen Person Jesu Christi abzielen, nicht aber wenn sie Gott vermenschlichen. Ob das eine Scheinalternative sein könnte, wäre zu diskutieren. Gerhard Hotze argumentiert aus neutestamentlicher Perspektive dafür, Christus als Ikone Gottes zu interpretieren, in der sich wie in einem Spiegel – d. h. in einem Medium, dessen Pointe die Mit-Präsenz von Objekt und Abbild ist – der Glaubende selbst gleichzeitig/mit-präsent mit Christus in seiner verherrlichten Gestalt schaue.
Christian Uhrig arbeitet bei Irenäus von Lyon das Motiv des kunstschaffenden Gottes heraus, der sein Werk, den lebendigen Menschen, gegenwärtig gestaltet. Den Hymnus Adoro te devote interpretiert Jan-Heiner Tück als Meditation, in der sich der Beter von der verborgenen Gegenwart Christi im Mysterium der Eucharistie ergreifen lasse, womit die Poesie der Präsenzvergewisserung in der Eucharistie dient.
Ein anregender Blick auf Gustave Courbet gelingt Markus Kneer als einer Kunst, die »Aug in Auge mit der Endlichkeit von Mensch und Welt – und damit ganz gegenwärtig« (123), präsent bleibe. Stephan Winter interpretiert von der gelebten Performance-Kunst Marina Abramovis her die Liturgie der römischen Messfeier als performance art, allerdings mit der Besonderheit, dass in ihr Gott als maßgeblicher Akteur der Inszenierung geglaubt werde. Und Thomas Möllenbeck nimmt die These von der »Präsenz des Künstlers in seinem Werk« zum Anlass, analog über die Präsenz des Schöpfers im Geschaffenen, im Manifesten nachzudenken.
Trotz der gemeinsamen Affirmation von Präsenz in Liturgie, Schöpfung und Kunst bestehen doch erhebliche Spannungen in der systematischen Grundlegung, die sich exemplarisch im Vergleich der Beiträge von Kraschl und Schulte zeigt. Dominikus Kraschl will neoscholastisch-affirmativ »Schönheit« als bevorzugten »Zugang zum Geheimnis Gottes« (63) wiederentdecken und plädiert für eine »moderate« Objektivität des Schönheitsurteils. Ein Gegenstand sei objektiv schön, wenn er in den Betrachtern unter geeigneten Um­ständen das Erleben hervorrufe, schön zu sein. Auf diese Weise ist der ästhetische Subjektivismus allerdings nicht zu überwinden. Die weitergehende Behauptung, dass diese »Objektivität« des Schönen einen Weg zur Gotteserkenntnis darstelle, wird reichlich zirkulär begründet: Wenn weltliche Wirklichkeiten in ihrer begrenzten Schönheit über sich hinaus auf ein vollkommenes summum pulchrum verweisen, dann könne Gottes überweltliche Schönheit in der Erfahrung weltlicher Schönheit miterkannt werden. Warum sollten die welt-lichen Schönheiten überhaupt auf eine objektive vollkommene Schönheit verweisen und nicht nur auf das menschliche Verlangen nach Vollkommenheit? Die Analogiebildung zwischen »ontologischer Wertfülle« und Tiefe des »Schönheitserlebens« (69) offenbart zudem die Gefahr einer ästhetischen Entwertung des Verletzten, Kranken und Schwachen am Menschen (vgl. 70, Anm. 21). Ein völlig anderer »Brückenschlag in die Präsenz« findet sich bei Ludger Schulte, der dem Angerührtsein nachgeht, das sich in der Begegnung mit Kunst und Poesie einstellen kann. »Präsenz meint somit ein Ereignis, das mich anspricht« (78), berührt, mir etwas und mich selbst eröffnet.
Die Beiträge im zweiten Teil des Sammelbandes scheinen eine allzu affirmative Präsenzbehauptung eher zu unterlaufen und kritische Töne gegenüber dem »Spektakel der Transzendenz« (Würzburg 2016) anzuschlagen.
Reinhold Zwick etwa bietet einen Überblick über ästhetische Strategien, durch die in Filmen spirituelle oder religiöse Botschaften vermittelt werden. Ihn interessiert vor allem das »andere« Sehen durch das Kamera-Auge: Filme, die (etwa bei Wim Wenders) Menschen und Dinge in den Erscheinungen des Alltäglichen sich selbst »offenbaren« lassen, das Menschliche, Dialogische, Humane sehen lehren und »durch die Extravaganz des Kamerablicks […] das Geheimnis des Seienden präsent werden« (218) lassen.
Kritisch gegen das affirmative Spektakel richtet sich der Beitrag von Ina Schaede, die den strategisch-politischen Gebrauch christlicher Motive im säkularen Raum analysiert – und zwar am Beispiel des 2016 in Moskau errichteten kolossalen Wladimir-Denkmals. Überzeugend stellt sie dar, wie hier die christliche Motivik ein vermeintlich »authentisches« Kultbild nationaler Identität inszeniert. Im Blick auf das Gesamtthema des Bandes gibt Schaede ein eindrückliches Beispiel, dass »Präsenz« nicht einfach »geschieht« und sich »einstellt«, sondern auch »gemacht« und »konstruiert« wird.
Auch im Beitrag von Rudolf Hein geht es um die massenwirksame Inszenierung von »Präsenz«: um den »Glanz der Wahrheit« nämlich, den die ausgefallenen päpstlichen Gewänder Benedikts XVI. inszenieren sollten. Das Dilemma dieser Zeichenkommunikation bestand darin, dass diese traditionalistische textile Hermeneutik schlicht als modische Exzentrik des »Prada-Papstes« interpretiert wurde. Gerade solche Fehlkommunikation lässt die zugrunde liegende Theorie fraglich werden, das Wahre und Gute lasse sich auch als das Schöne inszenieren. Ob der Glanz einer »vollendeten« Liturgie wirklich zum »Of­fenbarungsraum von Herrlichkeit« (303) wird, bliebe zu diskutieren. Auch Hein äußert kritisch den Verdacht, dass die vermeintliche Allgemeingültigkeit des metaphysisch-ästhetischen Ideals Benedikts XVI. sich letztlich in der Subjektivität des Geschmacksurteils verliere, auch wenn eine ganze Theologengeneration dieses »begierig« als ästhetisches Rollenmodell aufgenommen habe (304).
Um mit einem der schönen Sätze Ludger Schultes zu enden, der eher dem Geist des gegenwärtigen Papstes entsprungen scheint und deutlich macht, dass zur »Präsenz« im Christentum ein zutiefst ethischer Aspekt gehört: »Das Christentum vertritt eine Mystik der offenen Augen, die in Gott eintaucht und zugleich neben den Menschen auftaucht!« (80) Oder mit anderen Worten: Jede Präsenzbehauptung hat sich an der Verborgenheit des Gotteshandelns im Kreuz Christi zu bewähren.