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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

67–69

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stegmann, Andreas

Titel/Untertitel:

Die Reformation in der Mark Brandenburg.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 288 S. m. Abb. Geb. EUR 34,00. ISBN 9783374051953.

Rezensent:

Martha Maria Nooke

Die Territorialkirchengeschichte wird in der gegenwärtigen Kirchengeschichtsschreibung zuweilen vernachlässigt. Obwohl in den unterschiedlichen Vereinigungen wesentliche historische Forschung betrieben wird, werden die Ergebnisse nicht immer von der allgemeinen Kirchengeschichtsforschung gebührend be­rücksichtigt. Dass die lokalhistorische Untersuchung epochaler Zeitalter lohnend sein kann, zeigt die neue Darstellung der Ge­schichte der Reformation in der Mark Brandenburg, die der Ber-liner Kirchenhistoriker Andreas Stegmann vorgelegt hat. Der gleichermaßen auf wissenschaftlicher Forschung basierende wie für eine breitere Leserschaft angelegte Band stellt den Beitrag des Vereins für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte zum Reformationsjubiläum 2017 dar.
Nach einer einleitenden Orientierung über die behandelte Zeit und die Abgrenzung des Territoriums wird in zwei vorbereitenden Kapiteln »Die märkische Kirche im Mittelalter« (17–40) und »Der Beginn der Reformation in Deutschland (1517–1521)« (41–63) um­rissen, denn die Reformation in der Mark Brandenburg – so S.– setzt nicht erst in der zweiten Hälfte der 1530er Jahre ein, sondern ist aufs Engste verwoben mit der frühen Wittenberger Reforma-tionsbewegung. Obwohl die Hohenzollern religionspolitisch an­fangs offiziell die kompromisslos antireformatorische Linie der Habsburger unterstützten, sind ungeachtet des Religionsverbotes »evangelische Regungen« (69) in der Mark festzustellen, die zwar keine umfängliche Kraft zur kirchlichen Erneuerung entfalten konnten, aber als »punktuelle Einblicke« die Bekanntheit und Ausbreitung der von Wittenberg ausgehenden reformatorischen Be­wegung belegen. Die Auswirkungen dieser Religionspolitik be­handelt der Abschnitt »Die reformatorische Bewegung in Brandenburg und die antireformatorische Kirchenpolitik von Kurfürst Joachim I.« (1521–1535) (69–98).
Den eigentlichen »Weg zur Reformation« unter Kurfürst Joachim II. und Markgraf Johann von Küstrin (1535–1539) analysiert das folgende Kapitel (99–127). Während Johann von Küstrin in der Neumark wegen seines geringeren reichspolitischen Gewichts größere Handlungsfreiheit besaß und die reformatorische Bewegung ab 1536 schrittweise zuließ, war die Regentschaft seines Bruders Kurfürst Joachim II. wegen der Komplexität der politischen Lage ge­prägt von einer »zweigleisigen Religionspolitik – einerseits die Reformation auszubremsen, sie andererseits aber unter der Hand vorzubereiten« (115). S. hält es für glaubwürdig, dass der neue Kurfürst von Anfang an einen »Plan« hatte, demzufolge er seine Absicht nach kirchlicher Erneuerung in der Mark vorerst verschleiern und erst nach und nach Maßnahmen in Richtung der Reformation vornehmen wollte, weil dieser Plan die scheinbar wi­dersprüchliche Religionspolitik Joachims II. gut erklären kann. So war es in den Jahren von 1525 bis 1539 vorrangiges Ziel des Kur-fürsten, politischen Bewegungsspielraum für seine territoriale Kirchenreform zu gewinnen. Das erreichte er, indem er kirchliche Neuerungsbewegungen an der »Basis« blockierte, sich der Papstkirche gegenüber verhandlungsbereit zeigte und sich durch das Konkordienprojekt auf Reichsebene als unparteiischer Mittler zwischen Altgläubigen und Protestanten inszenierte und für kirchliche Reformen warb. Als sich ab 1535 Nachrichten von re-formatorischen Regungen in Brandenburg verdichteten, versuchte Joachim II. zunächst penibel jede Signalwirkung eines Zugeständnisses an die Kirchenreformbewegung zu vermeiden. Aber zeitgleich, als Joachim II. sowohl auf Reichs- als auch auf Territorialebene Distanz zur Reformation hielt, erteilte der Kurfürst schon 1538 den Auftrag zur Ausarbeitung einer neuen brandenburgischen Kirchenordnung, die die kirchliche Erneuerung seines Landes regeln sollte. Der nicht überlieferte Entwurf wurde von Melanchthon wegen der mangelhaften Rechtfertigungslehre abgewiesen, und jener empfahl die Einführung der Reformation ohne eine solche Ordnung, indem man reformatorische Predigt und Sakramentspraxis erlaube. Als im Frühjahr 1539 der Druck der »Basis« stieg und auch das Herzogtum Sachsen sich der Re-formation zu­wandte, ließ sich dann die kirchliche Erneuerung nicht länger aufschieben, und der Kurfürst folgte dem Rat des Re­formators.
»Die Einführung der Reformation im Kurfürstentum Brandenburg (1539/40)« (129–147) entfaltet S. anhand des Dreischritts von reformatorischer Predigt, Messe und Kirchenordnung. Als »Auftaktsignal« für die kirchliche Erneuerung in Brandenburg galt nun aber nicht die Ausarbeitung und Einführung einer neuen Kirchenordnung (1539/1540) oder die Freigabe der evangelischen Predigt (14.9.1539), sondern die Feier der Messe in deutscher Sprache und Kommunion unter beiderlei Gestalt am Allerheiligentag 1539. Die Rekonstruktion der ersten evangelischen Abendmahlsfeier ist wegen divergierender Aussagen der Zeitgenossen in der Forschung umstritten.
Das Zentrum der Untersuchung markiert die »Brandenburgische Kirchenordnung von 1540« (149–165). An der Kirchenordnung als »Gründungsurkunde« und »Programmtext der märkischen Reformation« (165) lässt sich nach S. zeigen, dass man hinsichtlich der theologischen Grundlegung und Rahmung der Wittenberger Reformation folgte, hinsichtlich der kirchlichen Praxis aber nach Möglichkeit Kontinuität zur spätmittelalterlichen Kirche zu wahren versuchte. Infolgedessen kritisiert S. die etablierte Via-media-These zur brandenburgischen Reformationsgeschichte, derzufolge die brandenburgische Reformation ein Mittelweg zwischen den sich ausbildenden Konfessionen gewesen sei, auf dem viel Mit-telalterliches erhalten geblieben sei und die kirchlichen Veränderungen langsam und behutsam durchgesetzt worden seien und erst in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s die brandenburgische Landeskirche ein deutlich lutherisches Profil gewonnen habe, und charakterisiert die Reformation in der Mark Brandenburg trotz wahrnehmbarer Kontinuitätsmomente als am Wittenberger Mo­dell orientierte lutherische Reformation (vgl. auch ThLZ 141 [2016], 579–591).
Es folgt ein Abschnitt zum »Aufbau der reformatorischen Landeskirche im Kurfürstentum Brandenburg unter Kurfürst Joachim II. (1540–1571)« (167–213). Der stockende Fortgang der Reformation in Brandenburg ergibt sich aus den Verunsicherungen und Konflikten, die aus den reichspolitischen Entwicklungen entstanden. Für die brandenburgische Reformationsgeschichte war die vermittelnde Grundhaltung des Kurfürsten entscheidend.
S. ergänzt die Darstellung um einen den engeren reformationsgeschichtlichen Rahmen verlassenden Abschnitt zu »Lutherisches Landeskirchentum und kurfürstliche Religionspolitik am Beginn des Konfessionellen Zeitalters (1571–1613)« (215–234). Reichspo-litisch führten die brandenburgischen Kurfürsten die Linie der Vorgänger fort und setzten auf Loyalität zum Kaiser, Kooperation mit Kursachsen, Verständigung zwischen den gegnerischen La­gern und Zurückhaltung in Konflikten und verbanden diese vor sichtige reichspolitische Grundhaltung mit einer energischen Hausmachtpolitik. Die territoriale Religionspolitik der brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg (1571–1598) und Joachim Friedrich (1598–1608) war ausgerichtet auf die »Immunisierung der lutherischen Konfessionskultur gegen den Calvinismus und die Vertiefung der lutherischen Konfessionskultur« (217). Drei Motive liefern dann den Anstoß zur Umorientierung Kurfürst Sigismunds (1608–1619): machtpolitisch die Verbindung zu den reformierten Mächten im Westen, religionspolitisch das Erstarken der Papstkirche durch die Erfolge der Gegenreformation, religiös die Überzeugungskraft und Attraktivität des reformierten Glaubens. Die als persönliches Be­kenntnis präsentierte Confessio Sigismundi zeigt, dass der Kurfürst keine gewaltsame Calvinisierung der Mark kraft des ius reformandi plante, sondern die calvinistische Konfession als zukunftsträchtige Alternative des Protestantismus etablieren wollte. Angesichts des Widerstands der Bevölkerung sicherte der Kurfürst bei Übernahme des reformierten Bekenntnisses für das Herrscherhaus die Freiheit des lutherischen Bekenntnisses für die Bevölkerung und den Verzicht auf eine ge­waltsame Änderung des Bekenntnisstandes zu. Schon früh war also die auch später im Kontext der Unionsfrage durchaus spannungsreiche Religionspolitik in diesem Bereich an­gelegt.
Ein beigefügtes Kapitel zu »Reformationsgedenken und Reformationsforschung im 19. und 20. Jahrhundert« (235–250) bietet einen forschungsgeschichtlichen Überblick zur Reformationsgeschichtsschreibung der Mark Brandenburg und erkundet die Gründe für das allgemeine gegenwärtige Desinteresse an der brandenburgischen Reformation. S. nimmt an, dass die Beschäftigung mit regionaler Kirchengeschichte »zu einem Impuls kirchlicher Erneuerung« werden kann, indem sie den »Blick auf das Wesentliche« freimache (250). Eine »gut erzählte Reformationsgeschichte« könne so Identität und inneren Zusammenhalt stärken ( bonding) und nach außen Kommunikationsprozesse initiieren und so die Kirche mit anderen Gruppen und Individuen verknüpfen (bridg-ing).
S. hat mit seinem Überblickswerk einen beachtlichen Beitrag zur Wiederbelebung der Territorialkirchengeschichtsschreibung und protestantischer Selbstverständigung vorgelegt. Ihm ge­lingt es, Netzwerke und Abhängigkeiten offenzulegen und die brandenburgische Kirchengeschichte kenntnisreich mit den reichspolitischen Entwicklungen und theologischen Klärungsprozessen zu verschränken. Insofern eignet sich der Band auch zur allgemeinen Einführung in die Reformationsgeschichte. Le­serfreundliche Übersichten zur Chronologie sowie Register er­leichtern die Er­schließung des Bandes. Für den akademischen Betrieb hätte man sich allerdings nachvollziehbare Belege der verarbeiteten Quellen und Archivalien sowie genaue und weiterführende Hinweise auf Forschungsliteratur gewünscht. Nichtsdestotrotz bietet der Band ein gut lesbares Lehrbuch der berlin-brandenburgischen Kirchengeschichte und wird weitere Nachforschungen stimulieren.