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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

62–64

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Dreiundzwanzigster Band

Titel/Untertitel:

Schleswig-Holstein. Die Herzogtümer Schleswig und Holstein. Das Land Dithmarschen. Begr. v. E. Sehling. Hg. v. E. Wolgast. Bearb. v. G. Dörner u. S. Arend.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XV, 553 S. Lw. EUR 199,00. ISBN 9783161559143.

Rezensent:

Johannes Schilling

Mit diesem letzten Band des »Sehling« (vgl. zuletzt Frank Stückemann, ThLZ 2018 [143], 639–641) wird die Ausgabe der 1902 begonnenen, bis 1913 von ihrem Begründer Emil Sehling selbst betriebenen, seit 1955 fortgesetzten und seit 2001 unter der Ägide der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zu Ende gebrachten Ausgabe der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jh.s abgeschlossen. Eike Wolgast, der in der Akademie für das Projekt verantwortlich zeichnete, gibt in seinem »Vorwort des Herausgebers« eine (dürre) Übersicht über das Unternehmen, seine Schicksale und seine Mitwir-kenden .
Die Ausgabe bietet in gewohnter Präsentation alle Ordnungen auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes mit Ausnahme der bereits in anderen Bänden veröffentlichten aus Lübeck, Lauenburg und der Grafschaft Schaumburg (Pinneberg). Insgesamt handelt es sich um 67 Texte aus dem Bereich der Herzogtümer und 19 aus Dithmarschen (jeweils inklusive a- und b-Nummern). Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Inedita:
Ein kurzes Visitationsmandat von 1575 (Nr. 13b) beruft sich auf die Kirchenordnung von 1542, eine Polizeiordnung [um 1579] (Nr. 14) handelt »Von der lehr des godtligen wortes und christliger ordnung und ceremonien in den kirchen, Von wiederteufferen, sacramentirern und anderen verfhuerischen secten, Von winckelpredigen, sonderbahren conventiculen und zusamenkunfften in den heuseren, Von ehrligem leben und wandel der diener des godtligen worttes, Von der offenbahren buße, Von kirchen und kirchhoffen, Von dem gemeinen almußen, haußarmen und den inlendischen und außlendischen bettlern, Von den schulen, Van der echtschafft jungfrawen und wedefrawen, die sich ohne wißen und willen ihrer eltern und bludtfreunde selbst verloben und von dispensation in den verbottenen gradibus consanguinitatis et affinitatis« und endet mit einem Kapitel, »Wie es sonst in fellen, welche in dieser reformation und policey ordnung nicht außtrucklich begriffen, hinfuro gehalten werden solle«.
Am Ende stehen ein Mandat zur Superintendenten- und Pfarrerwahl in Norderdithmarschen von 1605 (Nr. 16) und ein Mandat über die Pflichten der Superintendenten ebendort von 1606 (Nr. 17), die alle bisher unveröffentlicht waren.
Das erste Stück der Edition ist die Ausgabe einer Gottesdienstordnung in niederdeutscher Sprache. Sie ist ein einzigartiges Zeugnis für den frühen reformatorischen Gottesdienst in Kiel. Die Handschrift in der Kieler Universitätsbibliothek bietet, wie in der *-Anmerkung vermerkt, Text und Noten. Wenn nun nur der Text ediert wird, stellt dies einen ärgerlichen, vermeidbaren und erheblichen Mangel dar – wo, wenn nicht in diesem Monumentum sollte man eine Edition der integralen Überlieferung finden?! Da hat der Zeitdruck Schaden angerichtet – eine verpasste Gelegenheit.
Das Hauptstück des Bandes ist die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, die bis zum Beginn der preußischen Herrschaft nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1866 in Geltung blieb. Sie wurde am 5. März 1542 in Rendsburg verabschiedet und in Magdeburg bei Hans Walther gedruckt (VD 16 S 2968). Der Edition zugrunde liegt das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – (1 in Dr 17210a, online) aus der Kirchenministerial-bibliothek Celle; ebenfalls online ist das Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (77.Dd.210), etliche weitere Exemplare sind im VD 16 verzeichnet, hinzu kommen etwa die im Besitz der Universitätsbibliothek Kiel (Ka 6958) und des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche in Norddeutschland befindlichen Exemplare. 1601 erfolgte ein Nachdruck von Nikolaus Wegner in Schleswig, wo es inzwischen eine Druckerei gab.
Die Einrichtung der Anmerkungen wirft einige konzeptionelle Fragen auf – hier haben die Vorgaben älterer Bände offenbar fortgewirkt. Ob und in welchem Umfang man Worterklärungen bieten muss, hängt von den Benutzern ab – ein abschließendes Urteil ist daher nicht möglich.
In einer Edition von 2017 erwartet man bei Biographica keine – und schon gar keine unkommentierten – Einzelhinweise mehr auf ADB, NDB oder BBKL, RGG4 oder TRE. Das Deutsche Wörterbuch der Grimms ist alphabetisch angelegt und online; Band- und Seitenzahlen erledigen sich damit. Dass zu den zahlreichen Hinweisen auf Drucke des 16. Jh.s keine VD 16-Nummern genannt werden, ist ausgesprochen misslich.
»Großem Zeitdruck« (XII) ist es offenbar geschuldet, dass etliche einschlägige Literatur nicht oder nicht mehr zur Kenntnis genommen wurde. So fehlt im Literaturverzeichnis die S. 80, Anm. * er­wähnte und abgekürzt zitierte, dann aber offenbar nicht ins Verzeichnis aufgenommene Ausgabe der Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung von Walter Göbell, auch wenn sie in ihrem An­merkungsteil durchaus kritikwürdig ist (Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung … Neumünster 1986 [Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte I 34]) ebenso wie der Artikel »Schleswig-Holstein« in der (als solcher genannten, aber was soll das?) TRE mit einem reichen Literaturverzeichnis, während andere weniger einschlägige Literatur in das Verzeichnis aufgenommen ist. Noch nicht bekannt sein konnte den Autoren mein Buch Die Lutherdrucke der Universitätsbibliothek Kiel, Kiel 2017.– S. 90, Anm. 98 und S. 534 Register s. v. lies: Christ [nicht: Christi] lag in Todesbanden. – S. 139, Anm. 489: Ein »Schleswiger Breviar« ist nirgends identifiziert. Sollte das »Breviarium Slesvicense« gemeint sein? Ein solches von 1486 ist im Gesamtkatalog der Wiegendrucke unter der Nummer GW 5463 notiert; eine zweite Ausgabe (GW 546310N) behandelt Merete Geert Andersen, An unknown edition of »Breviarium Slesvicense«, in: Gutenberg-Jahrbuch 1989, 106–115.– Luthers Lieder sollten nicht mehr nach Wackernagel zi­tiert werden, auch nicht nach WA 35, sondern nach AWA 4; vgl. jetzt auch Martin Luther, Die Lieder. Hgg. von Jürgen Heidrich und Jo­hannes Schilling, Stuttgart 2017. – Zu den Klöstern vgl. jetzt Oliver Auge/Katja Hillebrand (Hgg.), Klosterbuch Schleswig-Holstein und Hamburg. Klöster, Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation. Band 1. Band 2, Regensburg 2019. – Den Reformator Eberhard Weidensee hätte man seiner Herkunft nach besser als solchen im Register angesetzt, auch wenn er im Niederdeutschen als »Widensee« o. Ä. erscheint – aber Wikipedia korrigiert die Eingabe »Wiedensee« automatisch. – Das »Mittelniederdeutsche Glossar« (513–526) hilft in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen.– Dass man, wahrscheinlich um der Einheitlichkeit der Reihe willen – aber das ist kein sinnvoller Grund –, auf einen Zeilenzähler verzichtet hat, erschwert jedenfalls die Zitation und das Auffinden von Zitaten.
Begründete Kritik im Einzelnen und die Korrektur von Versehen werden sich nur aus genauem Studium der Artikel und aus eigener gründlicher Kenntnis ergeben. Die Monita, deren es noch mehr geben mag, dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich insgesamt um ein gründlich erarbeitetes Werk handelt. Geringerer Zeitdruck hätte der Ausgabe wohl gutgetan und sie gewiss an manchen Stellen noch verbessern lassen. »Quick and dirty« ist sie zum Glück nicht geworden, aber eben auch nicht ganz sauber. Den Bearbeitern der Ausgabe aber, die ihre Qualitäten schon früher unter Beweis gestellt und den Zeitdruck nicht zu vertreten haben, sondern ertragen mussten, gebührt Respekt für eine nützliche und verdienstvolle Edition.