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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1257–1259

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schweighofer, Teresa

Titel/Untertitel:

Das Leben deuten. Eine praktisch-theologische Studie zu Freier Ritualbegleitung.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2019. 344 S. = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 109. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-05405-2.

Rezensent:

Emilia Handke

Seit einiger Zeit tritt die freie Ritualbegleitung insbesondere an­lässlich von Geburt, Partnerschaft und Tod neben der kirchlichen Praxis tiefergehend in das Blickfeld theologischer Forschung (zu­letzt Wagner-Rau/Handke: Provozierte Kasualpraxis. Rituale in Be­wegung, Stuttgart: 2019). Eine grundlegende empirische Untersuchung der Praxis freier Ritualbegleitender stand bis zur 2018 von Teresa Schweighofer in Wien bei Prof. Dr. Johann Pock im Fach Pastoraltheologie vorgelegten Dissertation allerdings noch aus. Die Autorin, welche derzeit als Juniorprofessorin am Institut für Katholische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität tätig ist, nähert sich dem Phänomen im immer noch mehrheitlich katholischen Kontext Österreichs, in welchem die Wurzeln dieses Dienstleistungszweigs mindestens bis Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Sie untersucht die Freien Ritualbegleiterinnen und -begleiter als Gruppe derjenigen Personen, welche »unabhängig von einer religiösen oder staatlichen Institution die Entwicklung, Gestaltung und Begleitung von individuellen Feiern und Ritualen anbieten« (17) – das spezifizierende Adjektiv bezieht sich damit nicht primär auf inhaltliche Parameter, sondern auf die organisatorische Ebene. Nach einer Einleitung (10-56), in der u. a. wesentliche Begriffsklärungen sowie religionssoziologische Rahmenerkundungen vorgenommen werden, analysiert sie in einem gestuften, explorativen Vorgehen die Gruppe der Anbietenden zunächst mittels eines Fragebogens unter sozialstatistischen Merkmalen (Ge­schlecht, Alter, Berufstätigkeit und Bildung, Ausbildung, Religiosität und Kirchenmitgliedschaft), sodann im Blick auf Angebot und Nachfrage ihrer Rituale. Anschließend nimmt sie die Vorbereitungsprozesse (Ablauf, Zeitrahmen, verwendete Ritualkonzepte, weltanschauliche Hintergründe) sowie die Gestaltung des Rituals (Ablauf, Ort, verwendete Symbole und Zeichenhandlungen, Texte und Lieder sowie Einbezug der Teilnehmenden) in den Blick, um das äußerst heterogene – und interessanterweise überwiegend weibliche – Feld für den österreichischen Kontext näher zu be­schreiben. Viele Freie Ritualbegleiterinnen und -begleiter stammen aus den Bereichen Coaching, (Erwachsenen-)Bildung und Soziales, hoch ist auch der Anteil der Theologinnen und Theologen. Insofern überrascht es wenig, dass neben der Leitung der konkreten Feier auch Prozesse von Coaching und Beratung – also eine Art »(säkulare) Seelsorge« (108) – eine Rolle spielen. Eine spezifische (Ritual-)Ausbildung hat offenbar nur etwa die Hälfte aller Befragten absolviert. Viele scheinen die eigene Tätigkeit mit einer Kirchenmitgliedschaft verbinden zu können, S. beschreibt sie mit Christoph Bochinger, Martin Engelbrecht und Winfried Gebhard mit dem Begriff der sog. spirituellen Wanderer.
Eine professionelle Internetpräsenz sowie die Werbung an Be­stattungsinstituten, Krankenhäusern, Standesämtern, Brautmoden- und Blumengeschäften verweist auf die öffentliche Dimension, die dieses Dienstleistungsgewerbe mittlerweile innehat, sowie auf das »Marktbewusstsein« (303) der Freien Ritualbegleiterinnen, die sich strategisch mit anderen Akteuren vernetzen. Wesentlich für das Ritual ist der Einbezug der Teilnehmenden, das hohe Maß an Gestaltungsfreiheit wird gegenüber einem kirchlichen Ritual aus Sicht der Ritualbegleitenden von den Kundinnen und Kunden geschätzt (»... in der Kirche musst um jeden Song streiten. Musst immer rechtfertigen«, 140). Neben einer Art säkularem Reframing kirchlicher Symbolhandlungen spielen unterschiedliche er­gänzende Zeichenhandlungen (bei der Hochzeit z. B. das Verknüpfen von Bändern, bei Bestattungen das Austeilen von Erinnerungs-zeichen) eine Rolle. Aus den insgesamt zehn Experteninterviews rekonstruiert S. auf der Grundlage der Grounded Theory Method-ology vorsichtig Gründe für die Wahl eines Freien Rituals, bei de­nen sich die Entfremdung von den Kirchen, wenig überraschend, als vordergründig darstellt.
In den nun folgenden zentralen Selbst- und Handlungskonzepten Freier Ritualbegleiter (57-258), die interessanterweise alle eine eigene kirchliche Sozialisation durchlaufen haben, werden viele der bereits im Fragebogen auftauchenden Themen noch einmal gebündelt und am Einzelfall vertieft. Die rekonstruierten Kon-zepte sind u. a. das einer »Selbstermächtigung in Demut«, welche sich aus der Beauftragung durch die Kunden sowie die eigene Zuschreibung einer Fähigkeit zur (ästhetischen) Inszenierung speist, und das Selbstverständnis als »Dienstleister–innen mit klaren Grenzen«, die in der Beachtung von umweltethischen Aspekten sowie einer geforderten Ernsthaftigkeit in der Ritualarbeit bestehen. Damit gehen »vielfältige Aushandlungsprozesse« einher, mit dem Ziel eine »Passung von Person(en), Situation, Anliegen und Form« (304) zu erzeugen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden zahlreiche Rückkopplungsschleifen mit den Kundinnen und Kunden unternommen. Die Kriterien dafür bleiben, wie S. selbst konstatiert, »uneindeutig« (215). In jedem Fall gliedert sich hier nicht mehr die Person in eine normgebende Tradition ein, sondern »das Ritual wird an die persönlichen Vorgaben angepasst« (304) und verl iert damit seine tradierbare Form. Das verändert dann auch die Rolle derjenigen, die das Ritual leiten: »Während Freie Ritualbegleiter–innen zumeist als Coaches fungieren und einen Selbst-explorationsprozess anzuregen versuchen, sehen sich die für die Sa­kramentenvorbereitung Verantwortlichen stärker in der Pflicht, theologische Positionen und vor allem lehramtliche Festlegungen gegen alternierende Interpretationen zu verteidigen.« (197) Auch wenn sich dies sicher von Fall zu Fall unterscheidet und auch in der evangelischen Praxis noch einmal anders zu gewichten ist, zeigt sich doch, dass die kirchlichen Verantwortlichen stets zwei normgebende Quellen miteinander zu vermitteln haben – christliche Tradition sowie individuellen Fall.
Zum Ende werden von S. theologische Umgangsoptionen mit dem Phänomen eruiert (259-302), durch welche die konfessionelle Verortung der Arbeit durchscheint: Die Option für die Selbstverantwortlichkeit im Glauben, für eine mäeutische Pastoral, für eine ausbalancierte Passung, für die Beachtung ritueller Charismen so­wie die Vielfalt ritueller Ausdrucksformen. Dabei deutet sie auch Konflikte an, die für eine normativ geprägte Theologie mit empirischer Forschung einhergehen. Zwar schreibt sie den Freien Ritualen »eine prophetische Außenperspektive« (267) im Blick auf die individuelle Sinnarbeit der Menschen zu, allerdings bleibt sie in ihren institutionenbezogenen Schlussfolgerungen aus evangelischer Perspektive letztlich doch eher zurückhaltend. Was es nämlich für die Organisationsgestalt der kirchlichen (Ritual-)Praxis faktisch bedeutet, dass »religiöse Praktiken [zunehmend, E. H. ...] unter ein individuelles Nutzenkalkül gestellt« (Rainer Bucher, 154) und verstärkt als offene Ressource verwendet werden, scheint mir – auch in der ge­genwärtigen Diskussion – noch nicht in allen Konsequenzen be­dacht zu sein. An solchen Stellen wäre aus meiner Sicht eine stärkere Rezeption des evangelischen Kasualdiskurses (im Blick auf die Beiträge von Thomas Klie u.a.) weiterführend gewesen.
Abschließend bleibt zu sagen, dass viele der mit dieser Dissertation vorgelegten Ergebnisse nicht überraschen und sich wohl mit Leichtigkeit auf den deutschen Kontext übertragen lassen. Es ist das große Verdienst dieser Arbeit, erstmals valide Daten erhoben und sorgfältig ausgewertet zu haben, auf die sich der noch junge Diskurs beziehen kann. Die dringliche Erhebung der Perspektive der Kundinnen und Kunden steht dagegen leider noch aus.