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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1238–1239

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Gerhard, Johann

Titel/Untertitel:

Postilla (1613), Teil 3: Trinitatis bis 27. Sonntag nach Trinitatis. Kritisch hrsg. u. kommentiert v. J. A. Steiger.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2017. 475 S. = Doctrina et Pietas I, 7.3. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2709-9.

Rezensent:

Stefan Michel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Gerhard, Johann: Postilla (1613), Teil 4: Predigten zu den Apostel- und Festtagen. Kritisch hrsg. u. kommentiert v. J. A. Steiger. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2018. 242 S. = Doctrina et Pietas, I, 7.4. Lw. EUR 174,00. ISBN 978-3-7728-2710-5.
Gerhard, Johann: Postilla (1613), Teil 5: Appendix: Predigten zu vermischten Bibeltexten. Kritisch hrsg. u. kommentiert v. J. A. Steiger. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2019. VI, 324 S. = Doctrina et Pietas, I, 7.5. Lw. EUR 256,00. ISBN 978-3-7728-2711-2.


Die Predigt des frühneuzeitlichen Luthertums ist nach wie vor schlecht erforscht. Sehr unterschiedliche, zum Teil sogar verzerrende Urteile findet man darüber in der Literatur. Häufig wird vom Standpunkt der praktischen Theologie und nicht historisch befunden. Deshalb ist es unerlässlich, sich den Quellen selbst zuzuwenden. Dafür bietet die vorliegende Edition der im 17. Jh. weit verbreiteten Postille des Jenaer Theologen Johann Gerhard (1582–1637) vorzügliche Voraussetzungen.
Über Gerhards Predigten urteilten Konfessionalisten des 19. Jh.s weitgehend anerkennend. Wilhelm Beste (1817–1889) zählte ihn zu den »bedeutendsten Kanzelrednern der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts«, weil seine Predigten »naturhafte Producte innerer Erlebnisse« gewesen seien. Er gründete seine Gedanken in der Heiligen Schrift und wählte maßvolle und natürliche Bilder. Bei eher liberal denkenden Theologen verfingen solche Zuweisungen nicht. So meinte der Hallenser Praktische Theologe Hermann Hering (1838–1920) im Jahr 1905, dass Gerhard »eine quellende Kraft in seinen Predigten vermissen« lasse. Bei Werner Schütz (1901–1992) findet man in seiner vielgelesenen »Geschichte der christlichen Predigt« von 1972 die Meinung, dass Gerhards Predigten zwar »lehrhaft, aber ohne dogmatische Spitzfindigkeiten und falsche Kon­zessionen an den Zeitgeschmack« gewesen seien. »Wissenschaftliche Dogmatik und praktische Predigtarbeit gehören für ihn zusammen.«
Wer sich nun ein eigenes Bild von Gerhard als Prediger machen und sich auch zuverlässig über das Verhältnis von akademischer Lehre und homiletischer Umsetzung im frühen 17. Jh. informieren möchte, findet in der Quellenedition der Postilla von 1613, die der Hamburger Kirchenhistoriker Johann Anselm Steiger besorgte, eine solide Grundlage. 2014 und 2015 erschienen bereits die beiden ersten Bände dieser Edition (vgl. ThLZ 142 [2017], 1066–1068), die von 2017 bis 2019 um weitere drei Bände mit 28, 16 und 21 Predigten auf eine stattliche und zugleich handliche fünfbändige Ausgabe erweitert wurde. Band 3 schließt die Predigten über die Sonntagsevangelien ab. Band 4 bietet Predigten zu den Apostel- und Evangelientagen und Band 5 zu verschiedenen Bibeltexten, die für das frühneuzeitliche Luthertum eine große Bedeutung besaßen. So waren Ps 73,25 f. oder Phil 1,21 als Texte für Leichenpredigten oder als persönliches Memento mori beliebt (V, 55–65 und 173–184). Jenseits praktisch-theologischer oder kirchenhistorischer Fragestellungen scheint die kulturhistorische Bedeutung der Predigten Gerhards auf.
Steiger präsentiert die Postilla als kirchenhistorischen Text innerhalb seiner Edition von Gerhards Schriften. Kurz verweist der Herausgeber auf die eingeführten Editionsgrundsätze. Das ur­sprüngliche Druckbild wird durch Kursivierungen und unterschiedliche Schriftgrößen nachgeahmt. Zwei Apparate bieten die Abweichungen zur zweiten Auflage der Postille von 1616 und Zi-tatnachweise vor allem aus der Bibel und den Kirchenvätern. Ein Gesamtregister der Predigttexte (V, 275–278), der Bibelstellen (V, 279–315) und Personen (V, 316–324) im letzten Band der Ausgabe erleichtert die Benutzung. Auf den Fortgang der Gerhard-Ausgabe darf man gespannt sein.