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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1234–1236

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Claesson, Urban

Titel/Untertitel:

Die Anfänge des Pietismus in Schweden. Olof Ekmans Kampf für eine Erneuerung des Christentums am Stora Kopparberg 1689–1713. Aus d. Schwedischen übers. v. I. Bohn.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (in Kommission f. Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle) 2020. XIV, 230 S. m. 4 Abb. u. 1 Kt. = Hallesche Forschungen, 53. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-447-11252-9.

Rezensent:

Dietz Lange

Stora Kopparberg (Großer Kupferberg) heißt das berühmte Bergwerk in Falun, dem deutschen Leser durch Johann Peter Hebels Kalendergeschichte mit diesem Titel oder durch Hugo von Hofmannsthals ins Märchenhafte gehende Bearbeitung desselben Stoffes bekannt. (Heute ist es stillgelegt und kann besichtigt werden.) Der Autor Urban Claesson ist Professor an der Hochschule Dalarna in Falun. Er ist früher hervorgetreten durch seine Uppsalienser Dissertation (2004), die am Beispiel des Pfarrers und SAP-Reichstagsabgeordneten Harald Hallén den in der großen Politik durch die Namen von Erzbischof Söderblom und Ministerpräsident Branting markierten Wandel des Verhältnisses von Kirche und Sozialdemokratie in Schweden von Feindseligkeit zu Kooperation beschreibt. Auch in dem hier zu besprechenden Buch gilt sein Interesse einer Umbruchszeit im Verhältnis des Christentums zu Politik und Gesellschaft; auch hier verknüpft er die großen Linien der historischen Entwicklung mit dem in sorgfältiger Archivarbeit erhobenen Detail der Lebensarbeit eines bedeutenden Pfarrers und lässt so Geschichte lebendig werden.
Die Wahl der Stadt Falun als Ort der Handlung ist nicht zufällig. Im damals noch fast ausschließlich agrarischen Schweden war das dortige Kupferbergwerk einer der wenigen großen Industriebetriebe des Landes. Es hatte Wohlstand gebracht: Mitte des 17. Jh.s deckte es zwei Drittel des Weltbedarfs an Kupfer ab. Zugleich traten hier all die Probleme von Lohnarbeit und weggebrochenem patriarchalischem Zusammenhalt im Frühkapitalismus zutage, auf die weder die staatliche Gesetzgebung noch die Kirche vorbereitet waren. Hinzu kommt, dass zwei Jahre vor Ekmans Amtsantritt ein großer Teil des Bergwerks eingebrochen war und die Ausbeute an Kupfer abzunehmen begann. Die dadurch entstandenen sozialen Probleme verbanden sich mit dem lebhaften Bedürfnis nach einer »zweiten Reformation« der Kirche zu einem lebendigen, tätigen Christentum. Eine Herausforderung und zugleich eine Chance für kirchliche Arbeit, die der Originaltitel des Buches ( Kris och kristnande, Krise und Verchristlichung) sprachlich glänzend pointiert.
Die Untersuchung ist übersichtlich gegliedert. Die Einleitung (1.) zeigt die internationalen Verbindungen sowohl des schwedischen Bergbaus als auch des Pfarrers Ekman auf und zeichnet ein differenziertes, auf der Höhe des Forschungstands stehendes Bild des Verhältnisses von lutherischer Orthodoxie und frühem Pietismus. C. weist insbesondere darauf hin, dass das schwedische Kirchengesetz von 1686, das wegen seiner Festlegung auf das Konkordienbuch und der Einführung des jährlichen husförhör (»Hausverhör«: Abfragen des Katechismus durch den Pfarrer) meist als staatliche Zementierung der Orthodoxie verstanden wird, mit seiner Forderung allgemeiner (Bibel-)Lesefähigkeit auch das pietis-tische Interesse an persönlicher Frömmigkeit gefördert hat. Diese hängt ihrerseits mit der Entstehung einer neuen bürgerlichen Öffentlichkeit zusammen, die politisch durch die »Reduktion« (Rückführung eines großen Teils der dem Adel verliehenen königlichen Latifundien an die Krone durch den absolutistischen König Karl XI. im Jahr 1680) Auftrieb bekam.
Das zweite Kapitel gilt der kirchlichen und sozialen Situation am Stora Kopparberg. Es beschreibt die Hierarchie im Bergwerk, die verheerenden Arbeitsverhältnisse und die zusammengewürfelte und entwurzelte Arbeiterschaft, zu der auch Kriegsgefangene, Frauen und Kinder gehörten, sowie den Mangel an christlicher Frömmigkeit, der manchmal sogar die sonst noch uneingeschränkt geltende Autorität des Pfarrers auf die Probe stellte.
Die weiteren Kapitel gelten dem Wirken Ekmans. Am Anfang (3.) steht eine Lebensbeschreibung, in der die Analyse seines Re­formprogramms (1680) »Seenotsgelübde« (SiöNödz-Löffte, so ge­nannt wegen seiner Veranlassung durch ein persönliches Erlebnis seines Vf.s), den größten Raum einnimmt. C. hebt den für den frühen Pietismus zentralen Einfluss Johann Arndts hervor und verortet Ekman zwischen dem Rostocker Pfarrer Großgebauer, der wie er selbst für die Reform der Kirche stark auf die Obrigkeit setzte, und Spener, dem er theologisch viel verdankt, und weist auch Bezüge zu Puritanismus und jesuitischer Frömmigkeit nach.
Das 4. Kapitel, das längste des ganzen Buches, beschreibt mit großer Liebe zum Detail Ekmans vor allem auf Förderung des inneren religiösen Lebens zielende pastorale Tätigkeit. Dabei werden besonders hervorgehoben: sein Einsatz für regelmäßigen Schulunterricht, mit dem er auf große finanzielle Probleme stieß, sein vor allem auf Ermahnung und weniger auf Strafen ausgerichtetes Verständnis der Kirchenzucht sowie seine Konzentration auf das 6. und 7. Gebot im kirchlichen Unterricht – beides vor allem in den lokalen Verhältnissen begründet (Forderung eines gerechten Lohns!). Charakteristisch ist ein Beispiel, das C. ganz an den Anfang seines Buches gestellt hat (3–6). Er behandelt dort Ekmans Redaktion eines Grubengebets, das der orthodoxe Bischof von Västerås, Carlsson, formuliert hatte. Während dieser die Arbeiter nur als Teil göttlicher Fürsorge für das Vaterland wahrnahm, sind sie Ekman als individuelle Menschen wichtig.
Es folgen noch ein ganz kurzes, wie ein Anhang wirkendes Ka-pitel über Ekmans landwirtschaftliche Reformvorschläge (5.), ein Ausblick auf die weitere Geschichte des Pietismus und eine Zusammenfassung.
Das Buch ist mit seiner Klarheit, Genauigkeit im Einzelnen und Souveränität des großen Überblicks ein Muster kirchengeschichtlicher Forschung.