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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1223–1225

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Engel, Felix

Titel/Untertitel:

Stadt und Reformation in der Mark Brandenburg.

Verlag:

Berlin: Lukas Verlag 2020. 301 S. = Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, 24. Geb. EUR 30,00. ISBN 978-3-86732-351-2.

Rezensent:

Andreas Stegmann

Seit der Mitte der 1990er Jahre hat sich das Interesse der Forschung am Thema Stadt und Reformation verloren. Die Fülle der bis dahin erschienenen Arbeiten, die methodisch vielfach neue Wege gingen und einen großen Reichtum an Erkenntnissen erbrachten, scheint die Quellen erschöpft zu haben. Allerdings gibt es immer noch weiße Flecken. So nimmt das Buch von Felix Engel, eine 2018 an der Universität Potsdam eingereichte historische Dissertation, die von der Forschung vernachlässigte Mark Brandenburg mit ihren von weltlichen und geistlichen Oberherrn abhängigen und zumeist kleineren Städten in den Blick. Das Thema »Stadt und Reformation in der Mark Brandenburg« wird auf etwas mehr als 200 Seiten behandelt: Auf die Einleitung (15–45) und den Blick auf die spätmittelalterlichen Voraussetzungen (46–82) folgen zwei Kapitel zur Entwicklung in den 1520er und 30er Jahren (83–128) sowie zur Einführung der Reformation seit der zweiten Hälfte der 1530er Jahre (129–178) und fünf Kurzkapitel zu Kirchenfinanzen (179–189), Geistlichkeit (190–208), Bildungswesen (209–219), Armenfürsorge und Kirchenzucht (220–229) und Klosterwesen (230–237), die in eine knappe Zusammenfassung ausmünden (238–240). E. will Peter Blickles Überlegungen zur ›städtischen Fürstenreformation‹ am märkischen Beispiel belegen und damit auf einen besonderen Typus städtischer Reformation hinweisen. Die Darstellung verarbeitet viel Quellenmaterial und enthält manche weiterführende Erkenntnis. Allerdings bietet sie im Ganzen keine neuen Einsichten und weist zwei große Schwächen auf.
Zum einen ordnet E. seine Arbeit in die Forschung zum Thema Stadt und Reformation ein, ohne den methodischen Standards dieser Forschung zu genügen. Dazu hätte gehört, eine Auswahl aus den ca. 100 märkischen Städten zu treffen, sich auf einen überschaubaren Zeitraum zu beschränken und sich auf bestimmte Quellenkomplexe und Themenbereiche zu konzentrieren. E. behandelt das Thema ohne Detailstudien, ohne also das Geschehen in einzelnen Städten auf der Basis des gesamten dazu verfügbaren Quellenmaterials zu untersuchen. Das ist misslich, gab es doch erhebliche Unterschiede zwischen den märkischen Städten und setzte sich die Reformation nicht überall auf dieselbe Weise durch. Auch wenn es angesichts der in vielen Fällen dürftigen Quellenlage naheliegt, ins Allgemeine auszuweichen, lassen sich doch für einige märkische Städte die Fragen nach dem Verlauf der städtischen Reformation, ihren sozialen Trägergruppen und den Mentalitäten, Motiven und Interessen der Beteiligten durchaus beantworten. Dazu gibt es Informationen nicht nur in den von E. vorrangig ausgewerteten Kirchenakten, sondern auch in zahlreichen anderen kirchen- und stadtgeschichtlichen Quellen, die kaum Berücksichtigung finden. Dazu gehören materielle Quellen wie die sozial- und frömmigkeitsgeschichtlich aufschlussreichen Kirchenausstattungen oder Quellen zum religiösen Alltagsleben, etwa zum Gottesdienst, zur Predigt oder zur religiösen Unterweisung. Auch Quellen zur Stadtgeschichte, die es ermöglicht hätten, die städtischen Akteure und ihre Beziehungsnetze zu untersuchen, werden kaum herangezogen. E. behauptet zwar, die städtische Reforma-tionsgeschichte auch sozialgeschichtlich anzugehen, doch offensichtlich ist ihm gar nicht klar, was das heißt. Seine Ausführun-gen zur Kirchenverwaltung, zu den Kirchenfinanzen, zur Armenfürsorge, zur Kirchenzucht oder zum Bildungswesen fallen nicht nur bemerkenswert knapp aus, sondern verzichten auch auf die Berücksichtigung einschlägiger Quellen. So erfährt man wenig über die Selbstverwaltung der Kirchengemeinden, das Verhältnis von Stadt- und Kirchengemeinde oder die Leistungsfähigkeit der kirchlichen Kassen. Ein für die Armenfürsorge so wichtiges Phänomen wie die Unterscheidung von Gemeinem Kasten und Armenk asten findet überhaupt keine Erwähnung. Was die landesherr-liche Einflussnahme auf das städtische Kirchenwesen angeht, werden wichtige Quellen übergangen, etwa die 1561 zu­sam­mengestellte »Geistliche Polizei-, Visitations- und Konsistorialordnung«, die Einblick in das Verhältnis von Territorialobrigkeit und lokaler Kirche gibt. Auf einen Vergleich märkischer Städte untereinander verzichtet E., ebenso auf Vergleiche mit Städten in anderen Regionen.
Zum anderen zeigt die Darstellung Mängel in der Durchführung. Damit sind nicht die zahlreichen Petitessen wie irrige Datierungen (Anm. 340: 24.2.1524, Anm. 497: 1.9.1539), Namensverwechslungen (41: Ernst statt Gottlieb Friedländer, Anm. 505: Contarini statt Giberti), falsche Bandangaben (Anm. 542), sprachliche Fehler (67: das Zölibat) oder Unsicherheiten im Tempus- und Modusgebrauch gemeint, sondern schwerwiegende Mängel im Umgang mit den Quellen und der Forschungsliteratur. Das gilt für die Behandlung Tetzels (83 f.), für die Ausführungen zur Uckermark (114 f.238) oder für die Deutung der Korrespondenz zwischen Kurfürst Joachim II. und König Sigismund I. (129 f.), um nur einige Beispiele zu nennen. Man wundert sich, dass E. die niederlausitzische Stadt Sommerfeld im Fürstentum Crossen verortet und dass er dieses zum Herzogtum Schlesien gehörende Teilterritorium durchweg fälschlich als »Herzogtum« bezeichnet. Die Reformationsgeschichte Sommerfelds, wo es eine eigenartige Ausprägung früher radikaler Reformation gab, hätte endlich eine Behandlung verdient, die über eine neuerliche Zusammenfassung der überlieferten Quellen (100 f.111 f.) hinausgeht und danach fragt, was dort 1524/25 wirklich geschah und wie Michael Reutter in das radikalreformatorische Spektrum einzuordnen ist. Hier hätte es genauerer Untersuchung bedurft. Wenn E. Quellen in den Blick nimmt, belässt er es zumeist bei Zitaten und Zusammenfassungen, wobei ein Quellenzitat auch gern einmal verdreht werden kann (Anm. 505).
Auch die Forschungsdiskussion nimmt E. bloß oberflächlich wahr. Das zeigt sich z. B., wenn er das erste offizielle evangelische Abendmahl im Kurfürstentum Brandenburg am Allerheiligentag 1539 mit Bezug auf unzuverlässige Sekundärliteratur in der Cöllner Stiftskirche lokalisiert und den Brandenburger Bischof als Liturgen behauptet (15.129–134), obwohl in der jüngeren Forschung mit ernstzunehmenden Gründen vor Festlegungen bei den umstrittenen Fragen von Termin, Ort und Beteiligten gewarnt wird. Auch die Fragen nach dem Jahr der Einführung der Reformation in der Neumark oder nach dem Beginn der evangelischen Abendmahls feiern in der Spandauer Nikolaikirche sind offen, und es gibt gewichtige Einwände gegen die vorschnellen Festlegungen E.s. Überhaupt lässt die Darstellung die Einsicht vermissen, dass bezüglich der brandenburgischen Reformationsgeschichte vieles noch unsicher ist und weiterer Forschung, jedenfalls aber vorsichtiger Abwägung bedarf. Bedauerlicherweise verzichtet E. an vie-len Stellen darauf, die reformationsgeschichtliche Forschung zur Kenntnis zu nehmen und für seine Untersuchung nutzbar zu machen. Oftmals bezieht er sich nur auf Überblickswerke, und allzu viel Literatur, die er heranzieht, ist problematisch oder veraltet.
Kurz, bei manchen Verdiensten im Einzelnen handelt es sich um eine konzeptionell verfehlte und in ihrer Durchführung oberflächliche Studie, die weder die landes- noch die reformationsgeschichtliche Forschung weiterbringt. Davon, dass es ihm gelungen sei, den heuristischen Wert des in der Forschung zu Recht nicht rezipierten Konzepts der ›städtischen Fürstenreformation‹ am märkischen Beispiel aufzuweisen, wie E. behauptet, kann nicht die Rede sein. Dazu hätte er die Wechselwirkungen zwischen fürstlicher Religionspolitik und städtischer Reformation an einzelnen Beispielen gründlich untersuchen und in viel stärkerem Maße die Handlungsspielräume und den Eigensinn der städtischen Akteure würdigen müssen. Nach der ernüchternden Lektüre dieses Buchs bleibt die Einsicht, dass historische Forschung von einzelnen, örtlich, zeitlich und thematisch begrenzten Untersuchungen ausgehen muss und dass es dazu eindringender Beschäftigung mit Quellen und Literatur bedarf.