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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1186–1188

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kühn, Dagmar

Titel/Untertitel:

Die »Zwei Körper des Königs« in den west-semitischen Kulturen. Ugarit, aramäische Königreiche, Phönizien, Ammon, Moab, Israel und Juda.

Verlag:

Münster: Zaphon Verlag 2018. XIV, 437 S. m. Abb. = Kasion, 4. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-96327-052-9.

Rezensent:

Peter Riede

Bei der zu besprechenden Arbeit handelt es sich um die im Wintersemester 2016/17 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Habilitationsschrift Dagmar Kühns. Sie gliedert sich in drei Hauptteile: Der erste Teil (1–22) widmet sich der Konzeption von Ernst H. Kantorowicz zu den »Zwei Körpern des Königs«, die 1957 erstmals unter dem Titel »The King’s Two Bodies. A Study in mediaeval political theology« erschien, der zweite Teil (23–71) wendet sich der Rezeption dieser Konzeption in der Erforschung der Kulturen des Alten Orients zu (Ägypten, Hethiter, Mesopotamien, Qaṭna). Der dritte, umfassendste Teil (73–330) schließlich arbeitet die Linien dieser Konzeption in den westsemitischen Kulturen heraus und zieht dabei die einschlägigen schriftlichen und ikonographischen Quellen heran. Ein kurzes Schlusskapitel (331–337) bündelt den Ertrag der Studie. Neben dem Literaturverzeichnis finden sich auch ausführliche, für die Er­schließung des Bandes hilfreiche Register zu Sachen, Göttern und Ahnengöttern, Personen, Orten/Regionen, semitischen Quellen und Bibelstellen. Hervorzuheben ist schließlich, dass die besprochenen ikonographischen Quellen im Anhang (59 Abbildungen) beigegeben sind.
Nach der Theorie von den zwei Körpern, die auf eine Rechtskonstruktion des elisabethanischen Englands zurückgeht, eignet dem König ein sterblicher und ein unsterblicher Körper. Dabei werde die natürliche Person des Königs (body natural) durch den unsterblichen Körper (body politic) aufgewertet und von Schwächen und Unvollkommenheiten befreit, so dass der König mehr als ein normaler Mensch ist. Erst durch den Tod wurde die Verbindung der beiden Körper aufgehoben. Der natürliche Körper starb, der body politic aber ging auf den Amtsnachfolger des Königs über.
Dass diese Konzeption auch eine Möglichkeit zur Erfassung und Deutung des Königtums im Alten Orient darstellt, zeigt die von K. nachgezeichnete Rezeption dieser Vorstellung im Rahmen der Ägyptologie und der Altorientalistik. »Durch göttliche Legitimation und der [sic] Verleihung des göttlichen Königtums wurden die Könige über die normale Menschennatur hinausgehoben, sie blieben aber auch als göttlicher König stets Mensch« (69). Mythisch kann der König als ein »Sondergeschöpf« (70) betrachtet werden. Das zeigt sich bezogen auf Mesopotamien z. B. im Mythos VAT 17019, wonach der König als māliku amēlu »König-Mensch« von der Göttin Bēlet-ili geschaffen wurde. Hinweisen kann man ferner z. B. auf die Vorstellung der göttlichen Zeugung des Königs oder seine Investitur. Im Königtum verbinden sich so »menschliche und transpersonale Aspekte« (70). Letztlich ging es dabei um die Stabilität und Kontinuität des Königtums, das dazu bestimmt war, die göttliche Weltordnung dauerhaft zu bewahren und durchzusetzen.
Umfassend und unter grundlegender Heranziehung der verschiedenen Quellen wird dann das Konzept der »Zwei Körper des Königs« für den westsemitischen Bereich entfaltet, so dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten der betrachteten Kulturen deutlich werden. Dabei spielen für K. folgende Aspekte eine wichtige Rolle (71): die Frage nach der Legitimation des Königtums durch göttliche Erwählung/Berufung/Zeugung oder Erschaffung bzw. durch die dynastische Erbfolge oder eine Bezugnahme auf die verstorbenen Amtsvorgänger oder den Begründer der jeweiligen Dynastie. Wichtige weitere Parameter für die Sichtung und Analyse der Quellen sind die Investitur bzw. Inthronisation der Könige, ihre Beziehung zu den jeweiligen Göttern des Königtums, ferner die recht- lichen, kultischen und militärischen Funktionen der Könige, Maßnahmen zur Sicherung des Königtums in Krisenzeiten und schließlich die Frage nach der Bewahrung des Königtums nach dem Tode des Königs und nach den Vorgehensweisen zur seiner Verewigung als dynastischem Repräsentanten des body politic. Anhand dieser Kriterien werden dann die jeweils vorzustellenden Bild- und Textzeugnisse der westsemitischen Kulturen vorgestellt und eingeordnet.
Was Israel und Juda betrifft, so findet sich die Vorstellung von den zwei Körpern des Königs vor allem in Psalmen und weisheitlichen Texten, die auf das königliche Hofzeremoniell rekurrieren. Hier ist auf Aussagen zu verweisen, die die Gottessohnschaft oder die göttliche Zeugung des Königs in den Blick nehmen (Ps 2,7; Ps 89,27 f.). Ps 45,7 spricht sogar von der Göttlichkeit des Königs, die sich in seiner Schönheit und Stärke widerspiegelt, eine Aussage, die bis in jüngste Zeit immer wieder aufgrund von fragwürdigen, letztlich wohl auf dogmatischen Vorentscheidungen beruhenden Textänderungen eliminiert und so entschärft wurde (vgl. z. B. Chr. Levin, Das Königsritual in Israel und Juda, in: Ders./R. Müller [Hrsg.], Herrschaftslegitimation in vorderorientalischen Reichen der Eisenzeit [ORA 21], Tübingen 2017, 231–260, 246). Insbesondere die dynastische Kontinuität (vgl. 2Sam 7,16) wird vor allem im Südreich zum Garanten für den Erhalt des body politic, wogegen im Nordreich die häufig gewaltsamen Dynastiewechsel mit der Ausrottung der bisherigen Königsfamilie und damit der Zerstörung des body politic verbunden waren. Aber auch das unmittelbar mit dem Königtum verbundene Thema der Gerechtigkeit (vgl. Ps 45; Ps 72) und die besondere Ausstattung des Königs durch Insignien und Regalien (Thron, Krone, Diadem, Szepter, Waffen des Königs, kö­niglicher Schreckensglanz) werden immer wieder thematisiert. Die Doppelnatur des Königs setzt auch das deuteronomistische Ge­schichtswerk voraus, betont es doch die stete Angewiesenheit der Könige auf JHWH, der sie wie im Falle Sauls und Davids erwählt. Andererseits kommen auch die Fehlbarkeit, Schwäche und das Scheitern ( body natural) der Könige zum Ausdruck, was sich vor allem an der Frage der Kultuseinheit und Kultusreinheit zeigt.
Auch nach dem Untergang des Königtums in Israel und Juda lässt sich die Konzeption der »Zwei Körper des Königs« in alttestamentlichen Texten nachweisen. So finden sich Züge des body politic im Amt des Hohenpriesters, der mit königlichen Zügen versehen ist (Sach 3; 6,9–15). Die Konzeption wird aber auch auf den königlichen Menschen übertragen (Ps 8,6 ff.), der von JHWH mit Hoheit und Herrlichkeit ausgestattet wird und als sein Mandatar in der Welt handelt. Damit aber ist er nur wenig geringer als Gott selbst. Aber auch Mose kommt diese Sonderrolle zu. Er wird an zwei Stellen (Ex 4,16b; 7,1) von JHWH zu Gott (’ælohim) gemacht. ’ælohim ist hier ein »qualitativer, funktionaler Titel« (322), durch den zum Ausdruck gebracht wird, dass Mose die Befähigung zu außerordentlichen Machttaten erhält, wie sie in Ex 4,2–9 aufgezeigt werden. Hierzu bedarf es aber Kräfte, die die eines Normal-Sterblichen übersteigen. Insoweit kann davon gesprochen werden, dass auch Mose wie altorientalische Könige mit einem body politic ausgestattet ist.
Insgesamt zeigt die Studie die weite Verbreitung des Konzepts der »Zwei Körper des Königs«, das es erlaubte, »den König zu Lebzeiten wesensmäßig als Gott zu verstehen, ohne die Menschlichkeit des Königs zu leugnen. Der König war beides in einer Person« (336). Damit wird dessen herausgehobene Stellung und Bedeutung im Rahmen des antiken Weltverständnisses deutlich.
Wer sich künftig mit dem Königtum im Alten Orient und vor allem im westsemitischen Bereich auseinandersetzt, wird gerne nach dem Grundlagenwerk K.s greifen. Ihr ist ein materialreiches, gut lesbares Standardwerk zu verdanken, das stete Beachtung verdient.