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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1181–1183

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pezzoli-Olgiati, Daria

Titel/Untertitel:

Religion in der Kultur erforschen. Ein Essay.

Verlag:

Zürich: Pano Verlag 2019. 92 S. Kart. EUR 15,90. ISBN 978-3-290-22054-9.

Rezensent:

Claudia Jahnel

»Wie erforscht man Religion?« Unter dieser Leitfrage stellt Daria Pezzoli-Olgiati ihr religionswissenschaftliches Programm vor. Die Schrift sei keine neue Einführung in die Religionswissenschaft. Vielmehr wolle P.-O. die Potentiale der Religionsforschung und ihre kulturwissenschaftliche Relevanz »Interessierten und Zweifelnden« nachvollziehbar machen. Der in fünf Kapitel geglie-derte Essay umfasst 54 Seiten. Ihm schließen sich auf zwölf Sei-ten Fußnoten an, die – wie das ausführliche Literaturverzeichnis – grundlegende religionswissenschaftliche Veröffentlichungen aufführen.
Die titelgebende Annahme ist, dass Religion einen »wesentlichen Aspekt von Kultur« (12) darstellt und in ihren »Wechselwirkungen« mit verschiedenen kulturellen Teilbereichen erforscht werden muss. Damit grenzt sich P.-O. von Positionen ab, die Religion als gesonderten Bereich betrachten oder die sie als etwas verstehen, das sich rationaler Erforschung entzieht. Gleichzeitig weist P.-O. die Vorstellung zurück, dass »alle Dimensionen von Religion wissenschaftlich erschließbar« (17) wären. Diese Spannung zwischen Erforschbarkeit und Entzogenheit von Religion zieht sich durch den Essay hindurch. Schon mit dem der Schrift vorangestellten »Programm« von Fabio Pusterla, »ihnen das Fenster aufschliessen«, nimmt P.-O. vorweg, dass es in der Erforschung von Religion darum gehe, Fenster zu öffnen und der »Spur« von Religion in immer neue Dimensionen zu folgen, ohne jedoch das Phänomen vollständig erfassen zu können. Zur Verdeutlichung des Gemeinten verweist P.-O. auf die aus der bildenden Kunst stammende Technik der »mise en abyme«: So, wie ein Bild mit Hilfe von Spiegeleffekten vielschichtige Interpretationsmöglichkeiten eröffnet und zugleich zur Selbstreflexion einlädt, so sind auch die Interpretationsmöglichkeiten religiöser Phänomene unendlich; zugleich »verdichtet« die Religionsforschung aber auch die »Blicke auf die Welt« (16) und deckt die kulturellen Vorannahmen auf, die das Verständnis von Religion leiten und beschränken.
Das zweite Kapitel widmet sich der Verflochtenheit von Religion mit »anderen Sphären« von Kultur. Es beginnt mit einer Frage, die in keinem religionswissenschaftlichen Proseminar fehlen darf: »Was ist Religion?« Aus der Vielfalt der Antwortmöglichkeiten zieht P.-O. nicht etwa den Schluss, dass sich der Gegenstand der Religionswissenschaft verflüchtig und die Religionswissenschaft daher ihre Legitimationsgrundlage verliert, sondern betrachtet die vielfältigen Annäherungen an Religion als »Ausdruck intellektueller Lebendigkeit« (22). Die kulturellen Verflechtungen illustriert das Kapitel an der emischen, der öffentlich-medialen und der wissenschaftlichen Perspektive. Diese Auswahl ist geschickt, denn sie macht die Breite der Bedeutungszuweisungen und den Konstruktionscharakter von Religion besonders deutlich. Gleichzeitig zeigt P.-O., dass die Inanspruchnahme von Religion durchgehend von Interessen und normativen Werturteilen geprägt ist. Besonders anschaulich werden die manchmal etwas prolegomena- und proseminarartigen Ausführungen am Beispiel der Ausstellung »Living with Gods«. Der Ästhetik der Ausstellung liege ein universalistisches Konzept von Religion zugrunde, das zugleich gesellschaftliche Kohäsion fördern solle. Es verwundert, dass P.-O. nicht spätestens an dieser Stelle auf die neuere Religionsästhetik eingeht, die sich jüngst als Unterdisziplin der Religionswissenschaft etabliert. Sie setzt sich mit ebenjener Erforschbarkeit und Entzogenheit von Religion auseinander, die auch P.-O. beschäftigt – etwa, wenn sie mahnt, »Religion nicht ausschließlich auf intellektuelle und rationale Dimensionen« zu beschränken (37).
Der Annahme der vielfachen Zugänge zu Religion entsprechend plädiert der Essay in Kapitel III dafür, Religionswissenschaft als inter- und transdisziplinäre Disziplin zu verstehen.
Kapitel IV stellt ein Plädoyer für die Reflexion des eigenen Standpunktes dar. Wen die Erinnerung an die Unmöglichkeit eines objektiven Standpunktes in der Religionsforschung wundert, weil er oder sie meint, dass diese Ansicht doch ohnehin lange überholt sei, den belehrt der Essay mit Hinweisen auf Vorurteile gegenüber dem Islam, religionswissenschaftliche Genderblindheit oder »Befangenheiten«, die sich aus der Suche nach dritt-mittelgeeigneten Forschungsthemen ergeben, eines Besseren. Die Einsicht leitet zum letzten Kapitel über. Auf den ersten Blick überrascht, dass hier die Grenze als Thema dominiert. Der Essay spannt damit aber den Bogen von der unendlichen Fülle an Interpretationen von Religion hin zur Einsicht, dass Deutungen von Religion kulturell begrenzt sind. Religionswissenschaft wie Ge­sellschaft bedürfen daher immer wieder neuer fensteröffnender Anregungen und weniger abschließender Gesamtanalysen. Zu ebendieser Unabgeschlossenheit und zum Aufsuchen von Spuren, die sich mit Hilfe von künstlerischen oder emischen Perspektiven erschließen, lädt der vorliegende Essay in wohltuend unprätentiöser Weise ein.