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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1097–1099

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gabler, Andreas

Titel/Untertitel:

Die Kunst in Schellings Systemphilosophie. Vom Organon zum Gegenbild.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2020. 338 S. = Epistemata Philosophie, 604. Kart. EUR 49,80. ISBN 978-3-8260-6814-0.

Rezensent:

Christian Danz

Schellings Philosophie der Kunst im System des transzendentalen Idealismus sowie in seinen identitätsphilosophischen Schriften widmet sich die Studie Die Kunst in Schellings Systemphilosophie von Andreas Gabler, die auf eine im Jahre 2018 an der Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg angenommene Dissertation zurückgeht. Der Untertitel der Arbeit vom Organon zum Gegenbild markiert ihre Fragestellung sowie ihre These, nämlich den komplizierten Übergang vom Transzendentalsystem von 1800 zur ein Jahr später ausgearbeiteten Identitätsphilosophie anhand der Kunst und ihrer systematischen Funktion in diesem Systemwechsel zu rekonstruieren. »Im Zentrum einer Untersuchung der Philosophie der Kunst bei Schelling steht das wechselseitige systematische Verhältnis beider zueinander, das sich sowohl im Transzendentalsys-tem als auch im Identitätssystem in jeweils anderem Gewand und anderer Funktion wiederfindet.« (17) Mit den Transformationen in Schellings Philosophie der Kunst um 1800 wendet sich G. einem in der einschlägigen Forschung oft thematisierten Problem zu. Zu einem angemessenen Verständnis dieses Übergangs gelangt man indes lediglich durch eine argumentationslogische Rekonstruktion von Schellings Kunstverständnis vor dem Hintergrund der divergierenden systematischen Konzeptionen des Transzendentalsystems einerseits und der Identitätsphilosophie andererseits, wobei das Verständnis von Letzterer in der Literatur selbst strittig ist. Konsequenterweise geht G. deshalb seine Fragestellung in Form einer immanenten Nachzeichnung der Funktion der Kunst in beiden Systemkonzeptionen an (vgl. 11).
Die Untersuchung von G. ist in drei Teile untergliedert, die systematisch aufeinander aufbauen. Nach einer Einleitung, die auf die Problemstellung der Arbeit mit Bezug auf die Forschungslage sowie den werk- und problemgeschichtlichen Hintergrund der Kunst bei Schelling hinführt (9–24), widmet sich der erste Teil der Kunst im System des transzendentalen Idealismus (25–96), der zweite der Kunst im Identitätssystem (97–209). Der abschließende dritte Teil rekonstruiert schließlich Die Systemtransformation und die Funktion der Kunst (211–322). Eine knappe Schlussbetrachtung be­schließt die Studie (323–328).
In Schellings System des transzendentalen Idealismus hat die Kunst, wie es in den bekannten Schlusspassagen des Werkes heißt, den Status eines Organon der Philosophie. Die Entfaltung des Systems findet ihren Abschlussgedanken sowie ihre Begründung in der Kunst. Kenntnisreich und detailliert führt G. den Argumentationsgang des Systems von 1800 vor. Einsetzend mit dem Ich als Prinzip des Transzendentalsystems (26–42), in dem die für dieses grundlegende Duplizität von bewusster und bewusstloser Tätigkeit sowie die intellektuelle Anschauung (26–38) erörtert werden, geht es sodann um die Kunst als Organon der Philosophie (42–89) und schließlich um den Prinzipienwechsel, den Schelling unter der Hand im Zuge der Ausführung des Systems vornimmt (89–96). Als systematisches Hauptproblem wird herausgearbeitet, dass die intellektuelle Anschauung das Prinzip des Systems, nämlich das Selbstbewusstsein als Einheit oder die Identität des Ich, die im Be­wusstsein in eine Duplizität tritt, lediglich postuliert werden kann. »Das Vermögen der intellektuellen Anschauung, die zum Organ allen transzendentalen Philosophierens erhoben wird, besteht darin, dass das Produzieren des Objekts und das gleichzeitige An­schauen des Objekts absolut identisch sind.« (34) Da die intellektuelle Anschauung nicht objektiv wird, bedarf es einer anderen Form der Vergewisserung des Prinzips der Philosophie, die dann nicht in dieser selbst liegt. Diese Funktion übernimmt die Kunst als »objektiv gewordene intellektuelle Anschauung« (40). Im Kunstwerk liegt somit eine Einheit von bewusster und bewusstloser Tätigkeit des Ich vor, so dass dieses sich in jenem anschaut. Zwar kommt mit der Kunst die Philosophie in ihren Anfang zurück, allein, in Schellings System von 1800 funktioniert das lediglich dadurch, dass in der Systemausführung mit der absoluten Identität ein neues Prinzip eingeführt wird (94 f.)
Um das Identitätssystem geht es im zweiten Teil der Studie. Es baut auf eine andere Systemkonstruktion auf als das Transzendentalsystem von 1800. Damit – und das ist die argumentationslogische Funktion der Ausführungen dieses Teils – ändert sich das Verständnis der Kunst. Diese ist nicht mehr Organon der Philosophie, sondern deren Gegenbild. G. rekonstruiert zunächst die systematischen Grundlagen der Identitätsphilosophie (Das Absolute als Systemprinzip, 98–120). Sie bestehen in einer Umstellung vom transzendentalen Subjekt auf das Absolute. Damit transformiert sich auch das Verständnis der intellektuellen Anschauung (und in Folge die Funktion der Kunst). Das Prinzip – die absolute Identität – ist allein in der intellektuellen Anschauung zugänglich und »erkennbar« (102). Zur Inhaltlichkeit kommt das System durch die Methode der Konstruktion (110–120). Hier fungiert das Absolute als Medium, das nicht darstellbar ist (114). In der vorgeschlagenen Interpretation von G. stehen beide Aspekte in Spannung. Diese ließe sich lösen, wenn man die intellektuelle Anschauung von der Methode der Konstruktion her verstehen würde: Das Setzen des Besonderen als Form konstituiert das Absolute als Voraussetzung der Konstruktion. Das Absolute der Identitätsphilosophie ist, wie die jüngere Forschung gezeigt hat, medial zu verstehen. Nimmt man das ernst, dann gelangt man auch zu einem anderen Verständnis der intellektuellen Anschauung als G.
Vor dem Hintergrund der prinzipientheoretischen Überlegungen zur Identitätsphilosophie diskutieren die weiteren Ausführungen zunächst die Kunst im Wissenschaftskosmos (121–152) und sodann den Status der Kunst im Identitätssystem (152–209). Prägnant, aber wie bereits im ersten Teil mitunter auch etwas redundant, arbeitet G. das Kunstverständnis im Identitätssystem heraus. Kunst ist zwar auch hier Darstellung der Einheit von Besonderem und Allgemeinem im Realen, im Unterschied zum Transzendentalsystem ist es nun allerdings die Philosophie, in der die Kunst erst als reale Repräsentation des Absoluten konstruiert wird. Einheit versteht das Identitätssystem als Symbol, Besonderes und Allgemeines werden gleichgesetzt und als selbstbezüglich konstruiert. G. geht der Struktur von Idee (133–142) und Symbol (168–170) ausführlich nach, versteht jedoch die Einheit von Besonderem und Allgemeinem durchgehend als Synthesis (135.138.141 u. ö.). Aber genau ein solches Verständnis von Einheit als Synthesis möchte das Identitätssystem hinter sich lassen (auch wenn Schelling – vor allem in der Philosophie der Kunst – selbst den Begriff Synthesis [noch] gebraucht). Funktion der triadischen Potenzenstruktur ist es, die selbst nicht-darstellbare Einheit (das Absolute als Medium) zu explizieren.
Im dritten Teil werden die Systemtransformation und die Funktion der Kunst thematisiert (211–322). Da dieser Teil auf die beiden vorangehenden aufbaut, greift die Argumentation auf diese zurück, um die Funktion der Kunst im Übergang vom Transzendental- zum Identitätssystem zu rekonstruieren. In den Fokus rückt hierbei »die Unterscheidung von Identität und Indifferenz als Ausdruck und Darstellung des Absoluten« (211). In vier Unterabschnitten versucht G. zu zeigen, dass es der im zweiten Teil des Systems von 1800 stillschweigend vorgenommene Prinzipienwechsel ist, also die Ersetzung der Identität des Selbstbewusstseins durch die absolute Identität, der zu einer Neufassung der Systemkonstruk-tion in der Identitätsphilosophie führt. Inhaltlich geht G. so vor, dass zunächst die Kunstverständnisse im Transzendental- und Identitätssystem rekapituliert werden (212–221), sodann diskutiert er die Systematik der Identitätsphilosophie anhand der Konstruktionsmethode (221–229) sowie die Potenzenlehre (229–238) und ihre Konsequenzen für die Kunst (238–254). Vor diesem Hintergrund wendet sich G. dem für das Identitätssystem grundlegenden Darstellungsverständnis (254–262) sowie der Semantik von Bildlichkeit zu (262–275), um im abschließenden Abschnitt den Übergang zum Identitätssystem zu analysieren (284–322).
Die These der Untersuchung – im Übergang vom Transzendental- zum Identitätssystem transformiere sich zugleich das Kunstverständnis vom Organon zum Gegenbild – baut auf der intellektuellen Anschauung auf. Indem das Identitätssystem diese als Zugang zum Prinzip neu bestimmt und ihr die Konstruktionsmethode an die Seite stellt, ändert sich die Systemfunktion der Kunst. Während die Philosophie, die vermöge der intellektuellen An­schauung im Absoluten steht, ideale Urbilder konstruiert, stellt die philosophische Wissenschaft der Kunst diese im Realen dar. Anders als im Transzendentalsystem ist die Philosophie nun autonom und bedarf keiner Begründung durch die Kunst mehr, die jetzt ihr Gegenbild ist. Mit diesem Resultat hat G. eine in sich stimmige Untersuchung zur Kunstphilosophie Schellings um 1800 vorgelegt.