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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1066–1069

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koch, Christoph

Titel/Untertitel:

Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XIV, 272 S. = Forschungen zum Alten Testament, 119. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-155964-8.

Rezensent:

Beate Ego

Es gehört zu den grundlegenden Einsichten der alttestamentlichen Forschung der letzten Jahrzehnte, dass die Zerstörung des Jerusalemer Tempels zu einer bedeutenden Transformation der Zionstheologie führte. Während die Texte der Königszeit (so z. B. Ps 48; 93) JHWHs Präsenz auf dem Zionsberg verankern (und zumindest nicht explizit vom Himmel als der göttlichen Wohnstatt sprechen), belegen Überlieferungen, die eindeutig in die Exilszeit zu da­tieren sind, sehr häufig die Vorstellung einer himmlischen Wohnstatt JHWHs (z. B. im Tempelweihgebet in 1Kön 8,46–49). An diese Erkenntnis knüpft die hier vorliegende Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2016/17 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen wurde, an. Dabei nimmt sie drei wichtige Desiderate des Forschungsdiskurses auf (Kapitel 1: »Hinführung«, 1–14): Zunächst stellt sich die Frage, welche Rolle der Himmel, der in den vorexilischen Texten nicht explizit genannt wird, in der vorexilischen Tempeltheologie spielt. Für die Zeit des Exils, in der sich wesentliche Transformationen der Vorstellung von Gottes Wohnort zeigen, ist zu überlegen, wie diese Veränderungen näher zu bestimmen sind. Sind diese »einlinig« oder ist vielmehr mit mehreren unterschiedlichen Vorstellungskreisen zu rechnen? Wie ist die Relation zu älteren, vorexilischen Konzepten zu beschreiben? Schließlich ist zu klären, worin die Ursachen für den Wandel der Wohnvorstellung liegen. Dass die Tempelzerstörung einen wichtigen Faktor darstellt, ist unbestritten, allerdings scheint eine »monokausale Ableitung der Transformationen allein von der Tempelzerstörung her […] kaum überzeugend« (12) zu sein. So formuliert Christoph Koch folgendes Arbeits programm: »Die vorliegende Arbeit ist der komplexen Frage verpflichtet, weshalb und mit welchen Mitteln und vor welchem Traditionshintergrund JHWHs Verortung im Himmel in der Exils-zeit zu einem wichtigen Gegenstand theologischer Reflexion ge­worden ist« (13).
K. rekonstruiert zunächst die Grundvorstellungen der vorexi-lischen Jerusalemer Tempeltheologie (Kapitel 2: »Der Himmel Erden: Gott und der Himmel in Texten der vorexilischen Tempeltheologie«, 15–43). Dabei ist (1.) »die Vorstellung von der Gegenwart des Königsgottes JHWH in seinem Tempel […] das Basisaxiom« (18). Daneben bildete der Tempel (2.) das »Zentrum der Welt«, wo sich die vertikal und horizontale Achse treffen; (3.) Architektur und Ausstattung weisen den Tempel »als Himmel auf Erden aus«; (4.) die vertikale Dimension wird mit der uranisch konnotierten Gottesbergvorstellung zum Ausdruck gebracht; (5.) vom Tempel regiert Gott über die ganze Erde (16–19). Wenn die Überlieferungen auch keinen expliziten Bezug des göttlichen Wohnortes zum Himmel nennen, so machen es Entsprechungen zur ugaritischen, griechis chen und hethitischen Gottesberg-Vorstellungen (so z. B. KTU 1.101,1–8; KTU 1.6 I 56–65; s. a. Il XV 193; TUAT II, 843) doch sehr wahrscheinlich, dass auch die vorexilische Jerusalemer Tempeltheologie uranische Dimensionen implizierte. K. widerspricht der These Metzgers, wonach himmlisches und irdisches Heiligtum identisch seien; vielmehr entspricht der »Unterschied zwischen irdischem und himmlischem Heiligtum […] in etwa dem zwischen Gottesbild und Gottheit«: »Einerseits repräsentiert das Bild die Gottheit voll und ganz, andererseits sind beide nicht schlicht identisch. Auf das Heiligtum bezogen heißt das: Der Gegenwart im Himmel entspricht die kultische Gegenwart im Tempel; dieser repräsentiert den Götterhimmel, ohne mit ihm identisch zu sein« (42). K. folgert, dass es an diesem impliziten »Repräsentations- oder Entsprechungsverhältnis« (und eben keiner Identifikation) von irdischem Heiligtum und Götterhimmel lag, »dass die Tempeltheologie die Katastrophe von 587 – modifiziert – überstehen konnte« (43).
Eine ausführliche literarische und traditionsgeschichtlichen Untersuchung von Gen 28 ergänzt den Abschnitt zur vorexilischen Tempeltheologie (Kapitel 3: »JHWH auf der Himmelstreppe: Gott und der Himmel in der Erzählung von Jakobs Traum in Bet-El [Gen 28*]«; 45–86). K. bestimmt Gen 28,10–13aα*.15a.16–19 als ältesten Kern der Überlieferung, den er in das ausgehende 8. Jh. oder beginnende 7. Jh. datiert und dem eine Orts- bzw. Tempeltradition zugrunde liegt, die mit Bet-El fest verbunden war. Hier findet sich eindeutig ein von der Jerusalemer Tempeltheologie zu unterscheidendes Konzept. Die Perikope schreibt dem Heiligtum von Bet-El explizit kosmologische Bedeutung in Form einer »Weltenachse« zu, welche eine Verbindung von Himmel und Erde darstellt. Bezüge zum Enuma Elisch, dessen Tempelkonzept im 1. Jt. v. Chr. auch auf andere kultische Zentren wie Assur oder Arbela übertragen werden konnte, machen die Nähe zu babylonisch-mesopotamischen Vorstellungen deutlich.
Vor diesem Hintergrund kann sich K. dann den exilischen Texten zuwenden (Kapitel 4: »JHWH über dem Horizontkreis: Gott und der Himmel in Deuterojesaja«, 87–131): Deuterojesaja (als Grundschicht wird Jes 40–48* angenommen), nach dem allgemeinen Konsens vor dem Wiederaufbau des Tempels (520–515 v. Chr.) in Babylon entstanden, enthält in Jes 40,22 (»Der thront über dem Rund der Erde«) den frühesten Beleg für Gottes himmlisches Wohnen (130: »Jes 40,22a ist der erste vergleichsweise sicher [etwas in die Mitte des 6. Jh.] datierbare alttestamentlichen Text, der JHWH explizit im himmlischen Bereich verortet«). Im Rückgriff auf Astralisierungs- und Erhöhungsvorstellungen im Enuma elisch zeigt K. auf, dass der Horizontkreis die »entscheidende Schaltstelle des Kosmos« für JHWHs Herrschaft darstellt (114). Wie in mesopotamischen Texten (z. B. Ee IV 19–26) ist diese Himmelskosmologie als ein »Nebenprodukt« des Monotheismus zu sehen (130 f.; vgl. hierzu bereits die Arbeit von M. Albani, Der Gott der himmlischen Heerscharen, Leipzig 2000). Die Rückkehrtexte (Jes 40,1–5; 52,7–10) belegen jedoch neben der Vorstellung vom himmlischen Thronen JHWHs auch eine Kontinuität zur vorexilischen Tempeltheologie, wonach der irdische Tempel der Wohnort JHWHs ist (128).
Die Himmelsvisionen im Ezechielbuch Ez 1–3; 8–11 und 40 ff. (der »Pro-Gola-Redaktion« zugeschrieben) stehen im Zentrum des nächsten Kapitels (Kapitel 5: »JHWHs himmlischer Thron: Gott und der Himmel bei Ezechiel«, 134–189). Ez 1 speist sich traditionsgeschichtlich sowohl aus der vorexilischen Jerusalemer Tempeltheologie (cf. Ez 1,4, wo K. Zafon nicht als Himmelsrichtung, sondern als Hinweis auf den Gottesberg versteht) als auch aus der mesopotamischen Vorstellungswelt (vgl. insbesondere die vier Lebewesen als mythische Himmelsträger sowie die Beschreibung der von ihnen getragenen Platte und einer himmlischen Cella). Wie bereits in der Forschung gesehen (z. B. Kingsley, Uehlinger, Hartenstein), kommt dem Bezug zu dem kosmologischen Kommentartext KAR eine bedeutende Rolle zu, insofern hier ein Weltbild vorgestellt wird, das einen dreischichtigen Himmel mit einer Cella für B ēl-Marduk im mittleren Himmel kennt. Von Bedeutung sind ebenfalls die solaren Konnotationen der Gottheit (156–161). Besonders interessant ist K.s Analyse zu den in Ez 1,16 beschriebenen Rädern, die er mit den Umlaufbahnen von Himmelskörpern vergleicht (vgl. hierzu das Weltbild des Vorsokratikers Anaximander [ca. 610–546 v. Chr.], der wiederum von mesopotamischen Vorstellungen beeinflusst wurde). K. rezipiert hier eine bislang viel zu wenig beachtete These Christoph Uehlingers. Neben Ez 1 analysiert K. auch Ez 8–11 und 40–48 (der Auszug und die Rückkehr der Herrlichkeit JHWHs). Ez 43 ist traditionsgeschichtlich vor dem Hintergrund der Theophanieschilderungen und Lichtmetaphorik mesopotamischer Sonnengott-Beschreibungen zu verstehen, enthält aber auch erneut Anknüpfungspunkte zur Jerusalemer Tempeltheologie, die bereits in vorexilischer Zeit solare Züge aufwies. K. belegt anhand der Himmelsvisionen im Ezechielbuch eine himmlische Verortung JHWHs, die aber verschiedene irdische Anknüpf ungspunkte haben kann: in Ez 1* erscheint »die himmlische Thronsphäre an einem (anderen, nichtkultischen) irdischen Ort« und »in Ez 43* ist gemäß altorientalischer Tempeltheologie der Normalzustand wieder hergestellt: Der Jerusalemer Tempel ist Wohnstatt JHWHs und damit ›Himmel auf Erden‹« (187).
Die Studie schließt mit einer Untersuchung der priesterschriftlichen Überlieferungen (K. tendiert dazu, den Grundbestand in Gen 1–Lev 16* anzunehmen), von der häufig angenommen wird, dass sie kein Interesse an einer himmlischen Welt habe und nachweislich mit šamayim »ausschließlich den sichtbaren Himmel [engl. sky] bezeichnet« (193; Kapitel 6: »Himmelsfeste und Heiligtum: Gott und der Himmel in der Priesterschrift«, 191–228). raqi’a (Gen 1,6–8) ist jedoch im Sinne von »Himmelsplatte« zu verstehen (202) und steht somit in Bezug zur Thronvision Ezechiels mit ihren mesopotamischen Parallelen. Diese Platte ist gleichzeitig auch Befestigungspunkt aller Himmelkörper und weist damit eine Nähe zur in neuassyrischen Texten belegten Vorstellungswelt auf. Die Verbindung dieses Weltbildes mit einer kosmologisch orientierten Tempeltheologie lässt sich über die das priesterliche Konzept des Zeltheiligtums aufweisen, das als »Rückprojektion des Jerusalemer Tempels in die Vorzeit« (205) zu charakterisieren ist. Dessen kosmologische Bedeutung zeigt nicht nur durch die »kompositorischen und literarischen Querbezüge« auf die Schöpfung, sondern vor allem durch das Konzept, wonach das Zeltheiligtum nach dem Vorbild eines himmlischen tabnit errichtet wurde (Ex 25,9.40; s. a. 26,1 ff.30) (213; zu mesopotamischen Belegen für eine Urbild-Abbild-Relation von himmlischem und irdischem Heiligtum s. 203 f.). In P wurde die alte Thronvorstellung verändert und auf die Bundeslade als »den Ort der intensivsten Gottesnähe«, an dem sich himmlischer und irdischen Bereich treffen (215 f.), transformiert.
Eine weitere Umgestaltung der traditionellen Tempeltheologie findet statt, wenn P davon spricht, dass Gott seinem Volk im Zeltheiligtum begegnet (hebr. yaad) und die Wohnvorstellung mit der Präsenz Gottes bei seinem Volk verbindet. Wie K. völlig zu Recht unterstreicht, darf dieses Konzept nicht isoliert werden, sondern bleibt an das Heiligtum rückgebunden. Dass P die vorexilische Tempeltheologie transformiert, zeigt sich auch deutlich bei der Umdeutung von Gen 28 in Gen 35. Auffällig ist, dass das »Verhältnis Gottes zum ›Ort‹ […] ein tiefgreifend anderes [ist]: Gott wohnt nicht dort« (223). Bethel ist nun ein Ort, an dem JHWH zwar erschienen, von dem er jedoch auch wieder aufgefahren ist. P greift also die vorexilische Tempeltheologie und Himmelsvorstellung (allerdings ohne den Gottkönig-Aspekt) auf, passt diese den eigenen Zielen an: Gott wird im Himmel als einer anderen, von der irdisch-sichtbaren Welt getrennten Sphäre vorgestellt, wobei ein Kontakt dauerhaft nur am Jerusalemer Tempel möglich ist, der in der Erzählung auf das Zeltheiligtum projiziert und dem Götterhimmel nachgebildet wird.
Ein Fazit (Kapitel 7: »Schlussbetrachtung«, 229–235) fasst die Ergebnisse knapp zusammen und zeigt die Transformationen von der vorexilischen über die exilische zur nachexilischen Tempeltheologie. So kann K. u. a. die Entwicklung von einem im Tempel wohnenden Herrschergott zu einem im Himmel thronenden astralen Schöpfergott (mit irdischer Präsenz im Tempel bzw. in der Mitte seines Volkes) aufzeigen. Eine wichtige Ursache für diese Transformationen ist – wie bereits in der Forschung deutlich herausgestellt– der Verlust des irdischen Tempels; allerdings spielen auch Einflüsse aus der Marduk-Theologie eine bedeutende Rolle, da auch diese eine Uranisierung der Gottesvorstellung belegt (233). Der implizite uranische Bezug der vorexilischen Tempeltheologie, wie sie mit der Gottesbergvorstellung verbunden ist, bildet somit die Grundlage für die »Entdeckung des Himmels als eines relevanten Gegenstandes der theologischen Reflexion«, die »in der Exilszeit mit babylonischer Geburtshilfe vonstatten gegangen [ist]« (234). Dies führte letztlich zu einem in der altorientalischen Vorstellungswelt nicht ungewöhnlichen Nebeneinander von himmlischer und irdischer Wohnstatt. Ein Literaturverzeichnis sowie um­fangreiche Stellen-, Autoren- sowie Stichwortregister beschließen das Buch (237–272).
Die Arbeit besticht durch ihre klare, gut verständliche Argumentation; geradezu vorbildhaft knüpft K. an die Ergebnisse und Desiderata früherer Forschungsarbeiten an und führt diese dergestalt weiter, dass er schließlich einen überzeugenden traditions-geschichtlichen Gesamtentwurf präsentieren kann. Möchte man neben der Gesamtleistung auf Einzelheiten verweisen, sind die Ausführungen zur priesterschriftlichen tabnit-Konzeption besonders erhellend. Aber auch die Überlegungen zu den kosmologischen Implikationen der Thronvision Ezechiels, die zeigen, dass die Räder astral zu verstehen sind, sind wichtig. Hier eröffnen sich aber auch neue Forschungsperspektiven, inwiefern nun zu fragen ist, in welchem Kontext der Wissenstransfer der Einsichten babylonischer Naturwissenschaft (die ja als eine Art »Geheimwissenschaft« charakterisiert wurde; hierzu 163) zu Vertretern der ju-däischen Gola, die als Verfasser der Thronvision anzusehen sind, erfolgte. Die Einsicht, dass alttestamentliche Vorstellungen von ihrem geschichtlichen und kulturellen Entstehungskontext ab­hängig sind, wobei sie versuchen, in Kontinuität zu ihren Prätexten zu bleiben und zugleich jeweils aktue lle »religiös-naturkundliche Vorstellungen« miteinzubinden (235), bildet eine wichtige Erkenntnis zur alttestamentlichen Hermeneutik.