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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1063–1066

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hasegawa, Shuichi, Levin, Christoph, and Karen Radner [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Last Days of the Kingdom of Israel.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2019. VIII, 423 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 511. Geb. EUR 86,95. ISBN 978-3-11-056416-7.

Rezensent:

Stefan Timm

Unter dem Titel »The Last Days of the Kingdom of Israel« hatten Christoph Levin von der Abteilung Altes Testament der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Karen Radner vom historischen Seminar der Universität München Wissenschaftler verschiedener Fach-gebiete zum 15.–17. März 2017 eingeladen, um dazu den Stand der Dinge zu erörtern. Der vorliegende Band bietet die Vorträge dieser Tagung in schriftlicher Form, erweitert um einige Indizes. Shuichi Hasegawa ist für die Redaktion des Bandes zu danken. Er bietet in der Einleitung eine Zusammenfassung der einzelnen Beiträge, unter sieben Überschriften: Part I: Setting the Scene – Part II: Approaching the Fall of Samaria from Contemporary Assyrian and Egyptian Sources – Part III: Views from Archaeology – Part IV: Working with the Book of Kings: the Text – Part V: Working with the Book of Kings: the Chronological Framework – Part VI: Working with the Book of Kings: the Narrative – Part VII: Reflections in the Prophets.
Zu Recht eröffnet B. Beckings grundsätzlicher Beitrag How to Encounter an Historical Problem? 722–720 BCE as a Case Study (17–32) den Band. Im Anschluss an Weippert plädiert er für eine fünfdimensionale Matrix der Geschichtsschreibung. Sie solle mit der Landschaft beginnen, dann dem Klima, der Archäologie, sowie der Epigraphie ihre Aufmerksamkeit widmen, an letzter Stelle den textlichen Überlieferungen der hebräischen Bibel und der Assyrer.
J. Novotny stellt in Contextualizing the Last Days of the Kingdom of Israel: What Can Assyrian Official Inscriptions Tell Us? (35–53) die neuen Editionen der Inschriften der assyrischen Könige Tiglat-Pileser III. (745–728 v. Chr.), Salmanassar V. (727–722 v. Chr.) und Sargon II. (722–705 v. Chr.) vor und hat sich Gedanken gemacht, was in den Anfangspartien der Annalen Tiglat-Pilesers III. gestanden haben könnte, die weitgehend verloren sind. Anzunehmen sei, dass Tiglat-Pileser III. darin beschrieben habe, wie Hosea gegen Pekach in Samaria geputscht und dann dem assyrischen König Tribut geleistet hat. Noch schwieriger verhält es sich mit den Inschriften Salmanassars V., der nach der alttestament-lichen Überlieferung Samaria »gewann« (M. Luther). Abgesehen von beschrifteten löwenförmigen Gewichten ist von ihm kein Text erhalten.
E. Frahm bietet in seinem Beitrag Samaria, Hamath, and Assyria’s Conquests in the Levant in the Late 720s BCE. The Testimony of Sargon’s Inscriptions (55–86) ältere, neue und neueste Texte Sargons II. nach eigenen Kollationen. Dennoch ist eine viel erörterte Passage noch nicht definitiv geklärt: Sargon II. rühmt sich in einem Prismentext aus Kalḫu und im Nimrud-Prisma, dass er mehr als 27.000 Menschen zusammen mit ihren Streitwagen und den Göttern, ihren Helfern, aus Samaria als Beute gerechnet habe (HTAT, 301 mit Anm. 40; Frahm, 71.72). Ob die Rede von den Göttern – gemeint waren Götterbilder – eine Realität in Jahwe-Götterbildern (Pl.) gehabt hat, oder ob es sich bei der Formulierung um einen literarischen Topos ohne Realbezug handelt, bleibt umstritten (73 f.).
F. M. Fales befasst sich in seinem Beitrag Why Israel? Reflections on Shalmaneser V’s and Sargon II’s Grand Strategy for the Levant (87–101) mit der Frage, ob diese assyrischen Könige von Anfang an das strategische Ziel verfolgt haben, sich der Handelsströme zu bemächtigen. Bevor dies aus assyrischer Sicht zu erreichen war, hätten die dortigen Königreiche erobert werden müssen, so auch Israel, das bis dato den Handelsweg am Mittelmeer kontrollierte.
Als Dalley/Postgate 1984 ihre Texts from Fort Shalmaneser veröffentlichten, fanden sich unter den Personen dieser administrativen Aufstellungen aus der Zeit zwischen 710–708 v. Chr. auch solche mit jahwistischen Namen wie Yau-Gā’ und Aḫi-yau. Es waren Leute, die zu einem Streitwagencorps gehörten, das unter dem Kommando des assyrischen Königs Sargon II. stand. K. Radner klärt hierzu in ihrem Beitrag The »Lost Tribes of Israel« in the Context of the Resettlement Programme of the Assyrian Empire (101–123) die keilschriftliche Lesung und zeigt, dass ein israelitischer Streitwagen damals vier Mann Besatzung gehabt hat (vgl. 115). Sie erörtert weiter alle Belege für israelitische Personen in assyrischer Überlieferung. Die jüngsten stammen aus der dritten oder vierten Generation nach der Eroberung Samarias und sind an verschiedenen Orten gefunden worden, zu denen Radner alles anführt, was von altorientalischer Seite zu sagen ist. Besonders wichtig ist ihr, dass die herkömmliche Rede von assyrischen Massendeportationen korrigiert wird. Die Assyrer haben die Leute nicht deportiert, um sie in entfernten Regionen ihres Imperiums verhungern zu lassen, sondern – wörtlich – um sie »zu Assyrern zu machen«.
R. G. Morkot erörtert in seinem Beitrag The End of the Kingdom of Israel: A View from the Nile Valley (125–144), ob die Abfolge der kuschitischen Könige nach Manetho umzukehren oder ganz zu verwerfen sei. Zu einem ägyptischen König Sō’ (2Kön 17,4) gibt es aber noch nichts Neues, sondern nur die alte Situation, dass seine drei (hebräischen) Buchstaben mit keinem Namen eines bekannten Deltafürsten oder eines Kuschiten so zusammengebracht werden können.
In seiner Dissertation war R. E. Tappy den täglichen Eintragungen der Ausgräber von Samaria in ihrem »Fieldbook« nachgegangen. Sein Ergebnis war: In den Berichten zu den aktuell ergrabenen Strata und Loci wird nie eine Zer-störungsschicht erwähnt. In seinem Beitrag The Annals of Sargon II and the Archaeology of Samaria: Rhetorical Claims, Empirical Evidence (147–187) be-richtet Tappy, dass er 327 Belege in den Texten Sargons II. gefunden habe, wie die Assyrer die »Übernahme« einer Stadt in Worte gefasst haben (156). Dem-nach meint »erobern« oder »Eroberung« (38 Belege) keineswegs immer die Attacken auf eine feindliche Stadtmauer mit Mauerbrechern und Ramm-böcken, sondern bisweilen nur das Ergebnis der Blockade: dass die Einwohner sich den Assyrern ergeben mussten. Vermutlich gilt dies auch für den Untergang Samarias.
Eine weitere archäologische Perspektive bietet der Beitrag von N. Franklin, Megiddo and Jezreel Reflected in the Dying Embers of the Northern Kingdom of Israel (189–208).
D. Kahn, C. Levin und M. Pietsch erörtern unter verschiedenen methodischen Hinsichten 2Kön 17,3–6: D. Kahn beginnt seinen Beitrag The Fall of Samaria: An Analysis of the Biblical Sources (229–249) mit einem forschungsgeschichtlichen Rückblick auf die Kommentatoren, die 2Kön 17,3–6 auf zwei verschiedene Quellen aufgeteilt haben (so erstmals Winckler 1892, 16 ff.). Nach Kahn geht 2Kön 17,3–6 aber auf einen Autor zurück, der das Ergehen Hoseas, der Stadt und der Bevölkerung Samarias beschrieben habe, noch bevor Sargon II. die Verhältnisse der Stadt umgeordnet hat. Ist die Argumentation für die Einheit des Textes überzeugend, so bleibt die supponierte Situation für dessen Entstehung sehr hypothetisch.
Unter Rückgriff auf Winckler 1892 (s. o.) meint C. Levin in seinem Beitrag In Search of the Original Biblical Record of the Assyrian Conquest of Samaria (251–264) den Text in zwei Quellen aufsplitten zu können. Dafür dient 2Kön 18 als Hilfsargument, denn dort werden weite Passagen aus 2Kön 17 wiederholt (cf. Tabelle, 251). Die Partien aus 2Kön 17, die in 2Kön 18 nicht wiederholt werden, seien Zusätze in 2Kön 17. Zum so rekonstruierten ältesten Text fragt sich der Rezensent: Wie kann man begründen, zu wessen Nutzen man all die später hinzugekommenen Einzelheiten erfunden hätte?
Die Darlegungen von M. Pietsch in seinem Beitrag Hoshea ben Elah, the Last King of Israel: Narrative and History in 2 Kings 17:1–6 (335–354) sind geprägt von sorgfältiger Beachtung der Textpragmatik. Auch für ihn ist 2Kön 17,3–6 nicht auf verschiedene Quellen aufzusplitten. Da zu V. 6 kein neuer assyrischer König namentlich eingeführt werde, habe man den Text so zu verstehen, dass der assyrische König, der gegen Samaria heraufgezogen war und die Stadt in seine Hand bekommen hat, auch derjenige gewesen ist, der die Deportation der Bevölkerung veranlasst hat. Bei dieser Textdeutung wird erneut schmerzlich bewusst, wie sehr eine Überlieferung aus der Sicht S almanassars V. fehlt.
T. Tekoniemi versucht in seinem Beitrag Between Two Different Editions: Some Notable Text-Critical Variants in 2 Kings 17 (211–227) für vier Passagen in 2Kön 17 zu erweisen, dass die antiochenische Fassung der Septuaginta – bzw. deren zu supponierende hebräische Vorlage – besser sei als der masoretische Text. Es bleibt abzuwarten, wen er überzeugt.
K. Weingart untersucht in ihrem Beitrag 2 Kings 15–18: a Chronological Conundrum? (267–288) das Verhältnis zwischen den überlieferten Regierungszeiten der Könige Israels/Judas und den zugehörigen Synchronismen. Sie will erst einmal »nur« klären, warum die überlieferte Regierungsdauer der Könige Israels und Judas häufig abweicht von den Synchronismen und vice versa. Sie weiß, dass es für die Auflösung dieser Diskrepanzen mehrere Teilantworten geben wird, und wird noch in einen Diskurs eintreten müssen mit Miano (2010), wo manches anders gesehen wird als von ihr.
S. L. McKenzie widmet sich in seinem Beitrag The Last Days of Israel: Chrono-logical Considerations (289–299) nur den chronologischen Fragen von 2Kön 15. Dabei hat er die assyrischen Daten im Hintergrund. Die chronologischen Angaben der O(ld) G(reek) Fassung der Septuaginta, die seit Shenkel (1968) viele Anhänger gefunden hat, weist er zurück, da R. Hendel z. B. zu 1Kön 16,22 nachweisen konnte, dass dort prä-masoretische Angaben die Voraussetzung für die Angaben der OG Fassung gewesen sind.
Im Sinne von Eric J. Hobsbawms »Invention of Tradition« ist es für C. Frevel in seinem Beitrag Wicked Usurpers and the Doom of Samaria. Further Views on the Angle of 2 Kings 15–17 (303–334) fraglich, ob es je ein vereintes Königreich aus Israel und Juda gegeben hat (eher nicht), wohl auch keinen Aufstand Jerobeams I. gegen Rehabeam, wenn denn Jerobeam I. eine historische Gestalt gewesen sei (310). Mit einer Reihe weiterer Beispiele will Frevel die Tendenz des Verfassers des 1. und 2. Königebuches aufzeigen, eine Kontinuität des nie (?) unterbrochenen, davidischen Königtums in Juda auf der schwarzen Folie der Ereignisse im Nordreich mit ständigen Königsmorden und Dynastiewechseln umso strahlender herauszustellen. So sei die »presentation of the Northern Kingdom […] much more a fictive narrative then a factual history« (334).
G. Hentschel überlegt in seinem Beitrag Did Hoshea of Israel Continue the Foreign Policy of His Predecessors? (355–365), ob Hosea die Politik seiner Vorgänger fortgesetzt hat, und lässt hierzu Revue passieren, was die Historiker zu den alttestamentlichen Texten und den fragmentarischen assyrischen Nachrichten schon alles an Deutungen erwogen haben.
M. Nissinen zeichnet seinen Beitrag The Book of Hoshea and the Last Days of the Northern Kingdom. The Methodological Problem (369–382) in die neuere Debatte über das Buch Hosea ein: Ist noch mit Texten zu rechnen, die auf einen Propheten des Namens Hosea zurückgehen, der seine Botschaft vor dem Untergang Samarias verkündet hat? Neben Hos 7,3–7, einem Abschnitt, der sich vielleicht auf einen der Königsmorde nach Jerobeam II. beziehe (376), nimmt er an, dass in Hos 10,5–8 der Verlust einer »divine statue« beklagt werde, wie ja Sargon II. sich rühme, Götterbilder aus Samaria weggenommen zu haben (378, s. o.). In Mesopotamien hätten kalû-Sänger solche Verluste beklagt – vergleichbar könne auch Hos 10,5–8 entstanden sein – allerdings erst nach dem Untergang Samarias.
Während im Thema der Tagung unter »Israel« die politische Größe des Nordreiches verstanden worden ist, führt H. G. M. Williamson aus dem Buch Jesaia den Nachweis, dass der Jerusalemer Prophet mit »Israel« noch anderes als nur das staatliche Gebilde des Nordreiches bezeichnet hat. Dazu erörtert er den Gebrauch des Wortes »Israel« im sogenannten Kehrversgedicht Jes 9,7–20 (+ 5,26–29 + 5,25), in Jes 10,5–9.13–15; 28,1–4 u. a. Darüber hinaus wird ebenso der Gebrauch von »Jakob« bei Jesaja untersucht, mit Wortfügungen wie »Gott Jakobs« (Jes 2,3), »Heiliger Jakobs« (29,23), »Haus Jakobs« (2,5.6; 8,17; 10,20), die eben nicht nur auf das Nordreich bezogen seien, sondern Juda mit einschlössen. Aus beidem ergibt sich, dass Jesaja mit »Israel« und »Jakob« etwas den beiden Staaten an geschichtlicher und religiöser Tradition Vorgegebenes gemeint hat (so auch K. Weingart, s. o.). Williamson und Weingart bieten eine einsichtigere Argumentation zum Problem als R. G. Kratz.
So vielfältig die Darlegungen des Bandes zu den Last Days of the Kingdom of Israel auch sind, zum Namen Salmanassar (V.), desjenigen assyrischen Königs, der das Ende des Nordreiches herbeigeführt hat, hat sich keiner der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geäußert (vgl. dazu jetzt K. Yamada/S. Yamada, Shalmaneser V and His Era Revisited, in: A. Baruchi-Unna u. a. [Hrsg.], »Now It Hap-pened in Those Days« I–II, 2017, 387–442). Der Name bedeutete »(der Gott) Salmānu/Šulmānu ist der Vornehmste« (388 f.). Die hebräische Wiedergabe im biblischen Text erweist, dass der Königsname – richtig – in seiner assyrischen Form tradiert und nicht erst in babylonischer Zeit erfunden worden ist.
Mögen die Referenten viel Neues geboten haben, die Debatte wird weitergehen und geht schon weiter. Der Dank der Leser für das Geleistete aber bleibt.