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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1047–1049

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lehmstedt, Mark

Titel/Untertitel:

Buchstadt Leipzig. Biografisches Lexikon des Leipziger Buchgewerbes. Bd. 1: 1420–1538. Von den Anfängen bis zur Einführung der Reformation.

Verlag:

Leipzig: Lehmstedt Verlag 2019. 298 S. m. Abb. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-95797-099-2.

Rezensent:

Johannes Schilling

Ein neues Grundlagenwerk ist anzuzeigen: Mark Lehmstedts »Buchstadt Leipzig«. Das Werk soll in den kommenden Jahren in sechs Bänden das Leipziger Buchgewerbe von den Anfängen bis zur Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler (1825) bzw. der Aufstellung einer Schnellpresse durch F. A. Brockhaus darstellen. L., promovierter Germanist und habilitierter Buchwissenschaftler, bringt dieses Werk in seinem eigenen Verlag heraus, der sich in den vergangenen Jahrzehnten durch sein qualitätvolles Programm mit Recht Aufmerksamkeit und Hochachtung erworben hat und dafür 2019 mit dem Deutschen und 2020 mit dem Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet wurde.
Was ist zu erwarten? Ein Standardwerk, das nicht nur in allen wissenschaftlichen Bibliotheken seinen Platz finden wird, sondern auch für die historisch-theologische Arbeit ein Arbeitsinstrument darstellt, dessen man sich unbedingt bedienen sollte. Die einzelnen Bände sollen folgende Zeiten und Epochen umfassen: Band 2. 1539–1649. Von der Einführung der Reformation bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. – Band 3. 1650–1739. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Beginn der Hochaufklärung. – Band 4. 1740–1789. Das Zeitalter der Aufklärung. – Band 5. 1790–1825. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. – Band 6. Gesamtregister. Tabellen, Statistiken. Karten.
L.s Konzeption leuchtet ein: Er hat Leipziger serielle Quellen (Bürgerbücher, Traubücher, Taufbücher, Leichenbücher sowie Adressbücher; vgl. 6 f.) systematisch und vollständig ausgewertet und kann daher mit Daten aufwarten, die es in dieser Form in der Forschungsliteratur bisher überhaupt nicht gab. In äußerster Präzision werden alle Entscheidungen über die Aufnahme der Daten dargelegt – ein Maximum an Transparenz, das sich nicht steigern lässt. Aus diesen Daten hat L. Biogramme erstellt, keine biographischen »Erzählungen«, sondern Mitteilungen aus den genannten Quellen, dazu Daten aus der möglichst umfassenden Auswertung der Forschungsliteratur.
Für das 16. Jh. haben wir in Christoph Reskes Handbuch »Die Buchdrucker des 16. und 17. Jh.s im deutschen Sprachgebiet«, (Wie­sbaden 22015) ein grundlegendes Werk über den ganzen großen geographischen und den Zeitraum. Erfährt man bei L. mehr? Ja, in der Tat, viel mehr. Reske verzeichnet für den Zeitraum bis 1538 zehn Drucker; L. hat ein Vielfaches an Personen im Buchgewerbe aufzuweisen. Um ein (gegenwärtig prominentes) Beispiel zu nennen: Reskes bereits sehr gründlichen Artikel über Jakob Thanner (dort: 559) kann L. kräftig vermehren, er notiert sogar in aller Kürze die Debatte um den Erstdruck von Luthers 95 Thesen und kann zahlreiche Angaben der älteren Literatur mit Quellennachweisen belegen oder falsifizieren. Auch die Angaben über Konrad Kachelofen, Martin Landsberg, Melchior Lotter d. Ä., Wolfgang Stöckel, Nickel Schmidt, Michael Blum, Jakob Stöckel und Nikolaus Wolrab bieten ein Vielfaches von dem, was bisher aus den einschlägigen Werken zu gewinnen war. Und für die Reformationsgeschichtsfor schung dürfte der folgende zweite Band von größtem Interesse sein.
Reichlich Nutzen konnte L. aus den Arbeiten des unlängst (26.7.2020) verstorbenen Gothaer Bibliotheksdirektors Helmut Claus ziehen. Claus hat in seinem Buch »Das Leipziger Druckschaffen der Jahre 1518–1539. Kurztitelverzeichnis« (Gotha 1987) den entsprechenden Zeitraum behandelt – ein nicht nur für die damaligen Verhältnisse überaus respektables Werk von bleibender Bedeutung (das Buch ist bei der Forschungsbibliothek Gotha noch immer lieferbar). Für spätere Zeiten wird L. nach eigenen Aussagen nicht auf ebenso gute und gründliche Vorarbeiten zurückgreifen können. Umso größer wird die Arbeit sein, die er selbst zu erbringen hat.
Über die lexikalischen Daten des Unternehmens hinaus, die vielleicht hier und da korrigiert werden mögen, in ihrer Fülle und Qualität aber kaum übertroffen werden können, eröffnet sein solches Lexikon Fragen: Wie steht es um die Ausrichtung der Hervorbringungen der Buchdrucker und Verleger von einst? Welche An­teile entfallen auf welche Literaturgattungen? Welchen Bedarfen entsprach diese Literaturproduktion? Und für später: Wann beginnen die Verleger, besondere Profile für ihre Verlage zu entwickeln? Welche theologischen, juristischen, philologisch-historischen und naturwissenschaftlichen Profile bilden sich in und mit einzelnen Verlagen? Auch für die historisch-theologische Arbeit dürften hier manche Aufschlüsse zu erwarten sein.
Das Buch enthält am Ende einen sehr ansprechenden Abbildungsteil (217–256), ein Literaturverzeichnis (259–273) und ein nach Personennamen, Ortsnamen, Register der Berufe, der Signets und der Porträts unterschiedenes Register sowie eine Chronik – angenehmer kann man seiner Leserschaft die Benutzung eines solchen Werkes kaum machen.
Allein die bisher erbrachte Sammel- und Forschungsleistung nötigt dem Rezensenten allergrößten Respekt ab. Einer solchen Aufgabe kann man sich nur mit Leidenschaft, die Leiden schafft, un­terziehen – aber nach dem Leiden folgen Freuden, Armut hier macht dorten reich. Wenn es einmal abgeschlossen vorliegt, dürfte dieses Werk nicht nur für alle, die irgendwie über Leipzig Auskunft haben wollen oder in der Forschung über diese »Buchstadt« tätig sind, ein unverzichtbares Arbeitsinstrument sein, sondern auch ein Muster für andere Buchstädte. Deren Autoren könnten es freilich womöglich leichter haben als ein Autor, der mit Leipzig eine Mammutaufgabe auf sich genommen und nach dem Erscheinen des ersten Bandes die schönsten Hoffnungen auf ihre Vollendung geweckt hat.