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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

995–998

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Höhn, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Gottes Wort – Gottes Zeichen. Systematische Theologie.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2020. 383 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-429-05495-3.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Hans-Joachim Höhn legt mit diesem Buch eine systematische Grundlegung der Theologie im Format einer »Existentialen Semiotik« vor. Zeichenprozesse werden nicht nur daraufhin befragt, wie sie deuten oder Bedeutung vermitteln, sondern auch, wie sie die Bedeutsamkeit des menschlichen Daseins thematisieren. Dafür verknüpft H. die ontologische Frage nach dem Sinn des Daseins mit der Logik der Zeichen und mit ihren Bedeutungen. Denn der Sinn des Daseins wird heutzutage nicht nur durch eine um sich greifende Gleichgültigkeit infrage gestellt, sondern auch, indem bestritten wird, dass der Glaube an Gott überhaupt sinnvoll und bedeutsam ist. »Um für die Relevanz einer Daseinsinterpretation aus dem Glauben einzutreten, muss die Theologie überzeugend bestreiten, dass das Leben von Grund auf belanglos ist und dass der Glaube an Gott ebenfalls nur ein belangloses Dementi eines belanglosen Daseins darstellt.« (10) Dafür verknüpft H. philosophische und theologische Überlegungen zur Daseins- und Selbstakzeptanz des Menschen reflektierend mit der Frage, wie in diesem Kontext eine Rede von Gott akzeptiert werden kann.
Die Existentiale Semiotik lässt also die existentiale Grundkonstellation des menschlichen Daseins mit der Struktur menschlicher Lebensverhältnisse korrelieren, die sich im Deuten und Ge­stalten zeigen und semiotisch beschrieben werden können. Darum legt H. statt der herkömmlichen Substanzontologie die Relationale Ontologie zugrunde, denn mit ihr werden die Lebens- und Daseinsverhältnisse grundlegend als Verhältnisse bzw. als Relationen gesehen, die adäquat mit der Semiotik erfasst werden können, weil sie wiederum auf Verhältnisbestimmungen aufgebaut ist. Der Mensch in seinem Dasein ist eben keine von allen Verhältnissen und Beziehungen zu abstrahierende Singularität. Das zeigt sich in seiner Sprachfähigkeit. H. erweitert die herkömmliche dreistellige Zeichenrelation um eine vierte Relation der Zeige- und Hinweisdimension (Deiktik). So kann der Mensch auf etwas Deutbares zeigen (Deiktik), das Gezeigte bezeichnen und mit einer Bedeutung belegen (Semantik), sinnvolle Verknüpfungen von Bezeichnungen und Bedeutungen herstellen und regeln (Syntaktik) und Bedeutungen a ls Handlungen interaktiv vollziehen (Pragmatik). Insofern hat diese Systematische Theologie auch – und von ihrem Ansatz her notwendigerweise – die Praxis des Glaubens mit im Blick. Denn Menschen leben in einer Welt, die schon vor ihrer Existenz, aber auch während ihrer Existenz mit Bedeutungen und Bedeutsamem umgeht und in die sie Bedeutungen und Bedeutsames einbringen. Dazu trägt die Vernunft angesichts der Limitation des menschlichen Daseins bei: In der gegebenen Zeit versucht der Mensch, mit dem Limit vernünftig so umzugehen, dass für das Dasein eine optimale Umgangsform gefunden wird. Schon am Gebrauch der Vernunft zeigt sich, dass das Dasein eine Bedeutsamkeit erhält. Die Vernunft schließt die Religion zwar nicht aus, bestreitet allerdings religiöse Behauptungen, die un- und widervernünftig sind. Gleichwohl bleiben Fragen offen, die die Vernunft nicht beantworten kann und will: nach dem Sinn, letztendlich die Frage danach, was denn das Leben zustimmungsfähig macht auch dann, wenn dem Dasein Leid oder sogar Bösartiges widerfährt. »Der religiöse Grundvollzug transzendiert das existenziell Unvermeidliche auf das der Vernunft Unverfügbare.« (71)
Mit diesem Paradigma der Existentialen Semiotik formuliert H. nun in vier Kapiteln klassische theologische Topoi: Schöpfung, Sprache und Gott (Theologie), wahrhaft Mensch und wahrhaft Gott (Christologie), Leben, Sinn, Zeichen (Symbole und Sakramente), über den Tag hinaus leben (Eschatologie). In Kürze: Sein und Nichts.
Das Wort »Gott« steht »für jene Größe, die den Unterschied zwischen Sein und Nichts zugunsten des Seienden konstituiert« (174). Das Dasein des Menschen ist wesentlich seine Sprachfähigkeit, mit der er die Schöpfung erforschen und beschreiben kann, mit der er sich den Menschen zuwenden und sich auch Gott zuwenden kann (Existentialsemiotik). Einen innerweltlichen Grund für die Annahme eines Gottes gibt es nicht zwingenderweise, aber in der Erforschung seines Daseins findet der Mensch die Konstitutiva Existenz, Identität und Freiheit, die ihm zugutekommen, aber grundlos da sind und zudem unverfügbar bleiben. Dieses Sinnapriorie könnte auf das Wort »Gott« hinweisen, wobei Sinn nicht Gott ist, da Gott von allem unterschieden ist (in der Welt nicht wahrnehmbar). Aber das Dasein des Menschen und die Daseinskonstitution der Welt sind in allen Relationen auf Gott bezogen, wenn mit dem Wort Gott denn das bezeichnet wird, was den Unterschied zwischen Sein und Nichts zugunsten des Seins ausmacht.
Für die dogmatische Lehre der Christologie gilt, dass sie zur Zeit der Alten Kirche substanzontologisch formuliert wurde und nun in der Form der Relationalen Ontologie reformuliert werden soll. Ausgehend von der Aussage in 1Joh 4,8.16 Gott ist Liebe hebt H. hervor, dass mit dem Wort Gott der daseinsbejahende Unterschied zwischen Sein und Nichts ausgesagt ist. Mit Gott ist Liebe werden nicht Gottes Eigenschaften benannt, sondern seine grundlose Zu­wendung zum Dasein. Seine grundlose Zuwendung, sein Ja zum Dasein, ist sein Wesen. Das kommt in Jesus von Nazareth zum Zuge, der mit seinem Leben und Sterben für diese Botschaft einsteht und sie personifiziert.
Die Handlungssymbole (z. B. Sakramente) sind eine besondere Zeichensprache des Glaubens, »die das Schöpfungswort Gottes und das Evangelium Jesu in die Lebenswelt des Menschen übersetzen und zugleich die Verfassung des Daseins in Szene setzen will« (241). Existentialsemiotisch ausgedrückt, symbolisiert z. B. die Taufe das Bewahrtsein vor dem Nichtsein oder die Krankensalbung die Bewahrung der eigenen Identität angesichts einer existentiellen Bedrohung. Auch das Verständnis der Eucharistie ist gekennzeichnet von der grundlegenden Unterscheidung zwischen Sein und Nichts, vom tödlichen Verhältnis zwischen Leben und Tod, denn der Tod Jesu steht für eine Wandlung des Verhältnisses zwischen Tod und Leben. Gott selbst nimmt den Tod in seine Unendlichkeit hinein, »auf dass sich der Tod darin ›totläuft‹«(290). Dasselbe gilt schließlich auch für die Eschatologie. Der Glaubende verlässt sich darauf, dass sein grundlos geschenktes Dasein trotz seines Todes nicht im Nichts verschwindet, sondern dass in Gott der Tod überhaupt ein Ende hat.
Anschließend bezieht H. den gesamten Gedankengang auf die Zeichen der Zeit, denn eine Existentiale Semiotik beziehe sich nicht nur auf die Vergangenheit des Christentums und auf seine Zukunftshoffnung, sondern auch auf die Gegenwart. Die Existentiale Semiotik des Glaubens nimmt sowohl die säkularen Zeichen der Zeit wahr als auch die Zeichen des Evangeliums; aus dieser Wahrnehmung wird der Anspruch formuliert, »über eine eigene Zeitansage zu verfügen und sagen zu können, was in der Zeit über die Zeit hinausweist« (325).
Abschließend hält H. unter der Überschrift »Systematische Theologie und theologische Systematik« einen Rückblick auf das gesamte Unternehmen. Dass der Begriff »Systematische Theologie« nicht nur eine theologische Fachbezeichnung ist, sondern auch eine inhaltliche Bestimmung fordert, macht H. an der Systemkoordination von Existenz und Sprache deutlich: Was wären der Mensch, der Glaube, die Theologie ohne die Sprache? Der »semiotic turn« der Philosophie im 20./21. Jh. zeigt, »menschliche Erkenntnisleistungen sind abhängig von der logisch-semiotischen Konstitution der Sprache, die zugleich Ermöglichungsbedingung jedweder Gegenstanderkenntnis ist« (363). Diese Konstruktion führt in einen Systemkonflikt zwischen analytischer und hermeneutischer Theologie hinein, H. hält aber fest, eine Existentiale Semiotik setze zwar fundamental bei der Existenz des Menschen an, aber eine Konzentration allein auf den propositionalen Gehalt von Lehrsätzen verfehle die Aufgabe der Theologie, die neben den berechtigten apologetischen auch rekonstruktive und kritische Aufgaben habe. Das aber ermöglicht die Existentiale Semiotik: Der Erfahrungsbezug des Glaubens wird deiktisch, sein Bedeutungsbezug wird se­mantisch, sein Interaktionsbezug wird pragmatisch, sein Normierungsbezug wird syntaktisch beschrieben und reflektiert auf das Gott-Weltverhältnis als eine unbedingte Zuwendung Gottes zur Welt. Diese vier semiotischen Dimensionen von Sprache und Glauben zeigen ein Ganzes, bilden eine Systematik, mit der H. seinen systematischen Ansatz formulieren kann: »Vertritt der Mensch den Anspruch auf eine elementare Bedeutsamkeit seines Daseins, kann er als Geltungsgrundlage auf die wohltuende Grundlosigkeit einer daseins-, freiheits- und identitätskonstitutiven Unterscheidung von Sein und Nichts zugunsten des Seienden verweisen.« (370 f.)
Gleichwohl hat jedes System und auch jede Systematik auch Grenzen. Das verdeutlicht die Frage, ob Gott heute überhaupt noch spricht oder nicht vielmehr schweigt. Sie berührt die derzeitig um sich greifende Gleichgültigkeit als eine gesellschaftliche Haltung, die in der Bedeutungslosigkeit des Daseins gipfelt. Da werden sich Theologie und Kirche immer auf die Seite der Bedeutsamkeit jedes menschlichen Lebens stellen. Davon berührt ist aber auch die Frage, ob Gott die Menschen vielleicht längst anders anspricht, als es die Theologie für möglich hält, »die sich nur auf die biblischen, dogmatischen und liturgisch-ästhetischen Partituren des Glaubens konzentriert« (374). »Vielleicht muss sich Theologie neu orientieren – weg von einer Auslegung überkommener Texte und Ri-tuale, in denen Menschen von oder über Gott sprechen, und hin zu einer Deutung von säkularen Daseinskonstellationen, in denen Gott sich beim Menschen an ganz anderen Orten und auf andere und neue Weise in Erinnerung bringt.« (374) So schließt H. sein Konzept der Existentialen Semiotik mit der Perspektive, dass jene, die in dieser Welt Gott neu vernehmen und dann auch anders zu Wort kommen lassen wollen, dies auch zur Sprache bringen müssen.