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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

991–993

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böth, Florian

Titel/Untertitel:

The God Who Acts. Nicht-interventionistisches objektives Handeln Gottes bei Robert John Russell.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 344 S. = Fuldaer Studien, 23. Lw. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-38724-1.

Rezensent:

Benedikt Paul Göcke

Die Frage nach der Möglichkeit des Handelns Gottes in der Welt ist eine der zentralen Fragen der christlichen Theologie. Obwohl es Theorieansätze gibt, die Behauptungen über das Handeln Gottes in der Welt auf Behauptungen über das Bestehen bestimmter mentaler Zustände der das vermeintliche Handeln Gottes erfahrenden Subjekte reduzieren wollen, um sich auf diese Weise der subjektunabhängigen ontologischen Implikationen einer im Modus des metaphysischen Realismus verstandenen Theorie des göttlichen Handelns in der Welt, die als zur naturwissenschaftlichen Forschung im Widerspruch befindlich aufgefasst wird, zu entledigen, scheinen diese Ansätze des Handelns Gottes Gefahr zu laufen, das Kind mit dem Badewasser auszuschütten, da eine semantische Reduktion göttlichen Handelns in der Welt auf die Zustände des menschlichen Bewusstseins göttliches Handeln eben nicht dem Anspruch einer wissenschaftlichen Theo-Logie gemäß erklärt, sondern schlicht eliminiert: Wenn Aussagen über das Handeln Gottes in der Welt nichts anderes bedeuten und somit ontologisch nichts anderes für ihre Wahrheit voraussetzen würden als Aussagen über bestimmte mentale Zustände bestimmter Menschen, dann könnten wir eine Theorie göttlichen Handelns elaborieren, die nicht einmal mehr die Exis-tenz Gottes voraussetzt und damit unweigerlich den Verdacht der religiös Unmusikalischen nährt, dass es nur noch ein kleiner Schritt sei, die Rede vom Handeln Gottes in der Welt endgültig ad acta zu legen. Den subjektivistischen Theorien gegenüber stehen objekti-vistische Theorieansätze des Handelns Gottes in der Welt. Diese heben sich dadurch hervor, dass sie Sätze über das Handeln Gottes als metaphysisch eigenständige Behauptungen über die extramentale Wirklichkeit verstehen, deren Wahrheitsbedingungen unabhängig von subjektiven oder intersubjektiven Gemütsverfassungen bestehen und daher semantisch nicht auf diese reduziert werden können. Objektivistische Theorien des Handelns Gottes stehen nicht nur vor der Herausforderung, Aussagen über das Handeln Gottes in der Welt in das rechte Verhältnis zu unserem Wissen über die Beschaffenheit der Welt, in der Gottes Handeln verortet wird, zu setzen, sondern darüber hinaus konfrontiert sie die sowohl hermeneutisch als auch epistemologisch-kriteriologische Frage, woran konkrete Fälle göttlichen Handelns erkannt und wie sie für den Glauben religiös ausgedeutet werden können sollen.
Die von Florian Böth vorgelegte fundamentaltheologische Promotionsarbeit »The God Who Acts. Nicht-interventionistisches ob­jektives Handeln Gottes bei Robert John Russell« untersucht vor dem skizzierten Hintergrund in umfassender Weise die Leistungsfähigkeit sowie die Grenzen und Probleme der hierzulande bislang kaum rezipierten Russellschen Theorie des Handelns Gottes in der Welt, die in der angelsächsischen Debatte der analytischen Theologie seit Längerem intensiv diskutiert wird. Russells Theorie ist eine objektivistische Theorie göttlichen Handelns in der Welt, die, wie B. klar herausarbeitet, »nicht nur davon [ausgeht], dass Gott die Welt, die er erschaffen hat, im Dasein erhält und dass es eine allgemeine Vorsehung gibt, die Gottes Fürsorge für seine Schöpfung zum Ausdruck bringt, sondern […] auch [an]nimmt, dass Gott über sein erhaltenes Wirken hinaus in besonderer Weise in der Welt handelt, etwa indem er konkrete Absichten seiner Schöpfung in die Tat umsetzt oder auf ein Bittgebet reagiert« (2). Um zu erklären, wie dieses objektive göttliche Handeln in der Welt nicht nur verstanden werden kann, ohne in Widerspruch zu naturwissenschaftlichen Theorien zu geraten, sondern diese im Sinne einer unter dem Ideal der Kohärenz und des gegenseitigen Austausches stehenden gemeinsamen Weltanschauungsarbeit von Theologie und Naturwissenschaft positiv integriert, stützt sich Russell auf die Quantenphysik. Da er ein Modell des göttlichen Handelns vorlegen möchte, das nicht darauf basiert, dass ein göttliches Handeln in der Welt deterministisch verstandene Naturgesetze im Sinne des Interventionismus durchbrechen muss, um wirksam zu werden, legt er seiner Theorie laut B. die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik zugrunde. Russell zufolge geht die Kopenhagener Interpretation davon aus, dass das Resultat des durch eine Messung verursachten Zusammenbruchs der zur Beschreibung eines Quantensystems verwendeten deterministischen Wellenfunktion vom weltimmanenten Standpunkt aus nicht nur epistemologisch, sondern ontologisch indeterminiert ist. Wenn es aber, so Russell, der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik zufolge Er­eignisse gibt, die aus Sicht der Naturwissenschaft prinzipiell nur als ontologischer Zufall gedeutet werden können, dann ist es aus theologischer Perspektive legitim, diese Ereignisse als das Resultat göttlichen Handelns in der Welt zu deklarieren. Wie B. es treffend wiedergibt: »Mit dem Ausdruck, dass Gott in Quantenereignissen handelt, ist demnach gemeint, dass Gott bei einem Kollaps der Wellenfunktion das konkrete Ergebnis auswählt.« (116)
Da dieser Annahme des Handelns Gottes in der Welt zufolge Gott keine Naturgesetze durchbrechen muss, um in der Welt handeln zu können, sondern innerhalb des naturwissenschaftlich bestimmbaren Wahrscheinlichkeitsraums der Wellenfunktion verbleibt, folgt, dass Russells Ansatz ein nicht-interventionistisches objektivistisches Modell göttlichen Handelns in der Welt ist. Da, wie B. im Anschluss an Russell herausarbeitet, Gott auf diese Weise zwar direkt, aber dennoch vermittelt durch die mikrophysikalische Ebene der Wirklichkeit, handelt, besagt Russells Kernthese, in den Worten von B.,

»dass unter den Bedingungen einer ontologisch in­deterministischen Interpretation der Quantenmechanik ein nicht-interventionistischer Zugang zu vermitteltem, objektivem und direktem göttlichen Handeln möglich ist. Diese direkte Divine Action auf Quantenebene äußert sich darin, dass Gott gemeinsam mit der Natur handelt, um unumkehrbare, indeterminierte Ergebnisse hervorzubringen, die als quantum events bezeichnet werden. Die Auswirkungen dieses nicht-interventionistischen Handelns Gottes erscheinen auf naturwissenschaftlicher Ebene als Zufallsereignis, das keine hinreichende Wirkursache hat, sie können aus theologischer Perspektive aber als Folge von NIODA [Non-Interventionist-Objective Divine Action] verstanden werden.« (312)

B. hat ein exzellentes Werk vorgelegt, das in zehn Kapiteln nicht nur die Genese der Position Russells, sondern auch die naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Argumente für und wider die von Russell ausgearbeitete Theorie göttlichen Handelns in der Welt kritisch reflektiert und dem Leser an vielen Stellen Chancen, aber auch Probleme und Grenzen einer auf die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik aufbauenden Theorie des Handelns Gottes in der Welt vor Augen führt. Für diejenigen, die sich für eine zeitgemäße und naturwissenschaftlich anschlussfähige Theorie über das Handeln Gottes interessieren, bietet B.s Buch nicht nur eine fundierte Einführung in die generelle Thematik, sondern auch die erste deutschsprachige Zusammenfassung und Wertschätzung der wohl bekanntesten nicht-interventionistischen Theorie darüber, wie ein Handeln Gottes unter Rekurs auf die naturwissenschaftliche Forschung auch heute noch rational verantwortet werden kann.