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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

974–977

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Orique, David Thomas, and Rady Roldán-Figueroa [Eds.]

Titel/Untertitel:

Bartolomé de las Casas, O.P. History, Philosophy, and Theology in the Age of European Expansion.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. XX, 485 S. m. 17 Abb. u. 4 Tab. = Studies in the History of Christian Traditions, 189. Geb. EUR 138,00. ISBN 978-90-04-36973-3.

Rezensent:

Thomas Eggensperger OP

Der Sammelband, verantwortet von David Th. Orique (Providence College) und Rady Roldán Figuera (Boston University), geht zurück auf eine Fachtagung am Providence College im Herbst 2016. Damit füllt er ein Desiderat der Las Casas-Forschung, die in den letzten Jahren eher ein Schattendasein geführt hat. Nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum haben sich nach 1992 – dem 500-Jahr-Jubiläum der Kolumbus-Reise – wenig Experten intensiver mit der Person des Menschenrechtskämpfers, Dominikaners und Bischofs Bartolomé de Las Casas (1484–1566) auseinandergesetzt.
Die Herausgeber gehen von drei Wellen der lascasistischen Forschung aus (»Introduction: Three Waves of Lascasian Scholarship«, 1–25). Im frühen 19. Jh. erwachte mit Forschern wie J. A. Llorente und A. M. F. Escudero ein erstes Interesse an den bis dato weitgehend vergessenen Schriften von Las Casas, das in erste systema-tische Biographien (R. Menéndez-Pidal und B. Keen) mündete. Ein zweiter Schwung in der Las Casas-Forschung wurde Mitte des 20. Jh.s mit den Studien von L. Hanke und A. Millares Carlo eingeläutet, die u. a. zu einer verstärkten Drucklegung der bis dahin kaum veröffentlichten Handschriften führte und damit zu einer Internationalisierung, aber auch Polarisierung der Debatte, die in diesem Abschnitt ausführlich dargestellt wird. Die Herausgeber sehen ihren Sammelband eingebettet in die dritte Welle der Forschung:
»In contrast to the previous waves of Lascasian studies, the third wave is more interdisciplinary in nature; it promotes and furthers a transnational historiographic approach, as well as invites juxtapositioning of the relative influences of social history and cultural history. In addition, a common thread of the third wave is the tendency to overcome the divide between scholars who read Las Casas in the context of colonial Latin America and those who interpreted him as a part of Spanish national history. A common focus on the Atlantic world has allowed scholars in the third wave to examine the transnational contours of Las Casas.« (17 f.)
Das ist der seitens der Herausgeber gestellte Anspruch an ihren Aufsatzband, der in drei Abschnitte gegliedert ist.
Teil 1 skizziert Las Casas im Kontext der europäischen Expan-sion. Rolena Adorno beginnt mit der Geschichte des wohl populärsten Werkes von Las Casas, der »Brevísima relación de la destruc-ción de las Indias« (1542), das von Anfang an Aufsehen erregte – zunächst war es nur als Schreiben an Prinz Philipp (später Phi-lipp II.) gedacht. Einige Jahre später überarbeitete Las Casas den Text zur Drucklegung und das Schreiben verbreitete sich schnell, wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und löste durchaus auch Widerspruch aus, u. a. durch Bernal Díaz del Castillo, der selbst in Schrift und Aktivität eine den Spaniern gegenüber wohlwollen-dere Position eingenommen hatte. Matthew Restall skizziert die wechselhafte Beziehung zwischen Las Casas und dem Mexiko-Eroberer Hernán Cortés. Sie kannten sich vermutlich bereits aus Spanien, sicherlich aber aus den Jahren in Santo Domingo auf der Insel La Espan ͂ola. Von da an trennten sich ihre Wege in der Sache – Las Casas wurde zum Kritiker eben jener Kolonialpolitik, die Cortés unterstützte. Alicia Mayer skizziert die Rezeption u. a. dieser Schrift seitens der Puritaner in New England, denen ebenfalls an einer gelingenden Missionierung der Ureinwohner gelegen war. David Th. Orique diskutiert das »Confesionario«, ein Werk des bereits zum Bischof geweihten Bartolomé de Las Casas, der damit einen Beichtspiegel verfasste, um angemessen mit den Sünden der Siedler und spanischen Beamten umzugehen. Die Verweigerung der Beichtabsolution hatte eine gewisse Tradition – bereits in der zweiten Ad­ventspredigt des Antón de Montesino drohte dieser mit der Verweigerung, falls die Siedler ihre grausame Behandlung der indianischen Ureinwohner nicht einstellen sollten. Las Casas – kompetent in Rechts- und Kirchenrechtsfragen – ließ die Entwürfe des Textes seitens einiger Dominikanergelehrter aus San Esteban in Salamanca prüfen, bevor er ihn 1548 publizierte. Dessen juristische Kompetenz spielt im Beitrag von Rady Roldán-Figuera eine Rolle, der sich mit der Theorie der bischöflichen Macht beschäftigt und die Rolle des frühen transatlantischen Episkopats untersucht. Das Konzil von Trient betonte die Rolle des Bischofs, der zur hierarchischen Ordnung der Kirche gehört, die vom Papst geführt wird. Andere Vertreter, wie Pedro Guerrero, sahen die Autorität des Bischofs als direkt von Gott »de jure divino« abgeleitet. Las Casas vertrat einerseits eine Position, die er von Francisco de Vitoria übernommen < /span>hatte, andererseits entwickelte er in einigen späteren Schriften einen neuen Ansatz, welcher der aktuellen Situation des transatlantischen Episkopats besser gerecht wurde. Dies beinhaltete vor allem die bischöfliche Zuwendung explizit gegenüber der indigenen Bevölkerung – eine Erneuerung des pastoralen Bewusstseins, das sich nicht zuletzt gegen die gewaltsame Einflussnahme ziviler Herrscher richtete. Diese Positionierung galt in Folge des sogenannten Patronatswesens sogar für die Besetzung der bischöflichen Stühle. Las Casas sprach den Bischöfen so viel Autorität zu, wie er für sinnvoll hielt hinsichtlich seines Kampfes für die Rechte der benachteiligten Ureinwohner. So präferierte er Mendikanten für das episkopale Amt, da Ordensleute prinzipiell weniger kompromittiert waren und sich nicht für die Pfründe interessierten, son dern sich der Arbeit, des Risikos und der Notwendigkeit einer gewissen Umsicht ihrer Mission bewusst waren. Nach seiner eigenen Bischofsweihe aktualisierte Las Casas seine Einstellung, wie Roldán-Figuera aufzeigt. So versuchte er, die Behörden (Audiencia) dahingehend umzustimmen, dass in bestimmten Fragen hinsichtlich der Marginalisierung der Ureinwohner die zivilen Gerichte die Einschätzung der zuständigen Bischöfe zu hören hätten – was aber abgelehnt wurde. Im ersten Teil des Buches findet sich zudem ein Beitrag von Carlos A. Jáuregui und David Solodkow über die Bio- und Argrarpolitik von Las Casas, die er mit den Ureinwohnern betrieb, um ihnen das Überleben zu garantieren.
Teil 2 des Sammelbands setzt sich mit Feldern von Recht und Philosophie auseinander. Claus Dierksmeier versucht eine Relektüre Francisco de Vitorias, um in seinem Denken nach Ursprüngen einer Ethik der Globalisierung im 16. Jh. zu suchen. Daniel R. Brunstetter setzt sich mit der Auseinandersetzung seitens Las Casas der klassischen Theorie vom Gerechten Krieg auseinander und zeigt, dass dieser sich vor allem der aktualisierenden Thomas-Rezeption der (Dominikaner-)Schule von Salamanca anschloss. Dabei reflektierte er intensiv über die Frage des Rechts nach einem Krieg, um nach dessen Ende allfällige Themen von Restitution und Souveränität in geordnete Bahnen zu lenken. In eine ähnliche Richtung geht Victor Zorillas Untersuchung des Las Casas-Traktats »Doce dudas«, der zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Denken angesiedelt ist. Luis Fernando Restrepo stellt eine Beziehung her zwischen dem Ansatz des Las Casas – als humanitärer Schub und ethische Öffnung für den Anderen – und dem »Humanismus des Anderen« eines Emmanuel Levinas. Dazu rekurriert er auf zwei zeitgenössische Biographien des Kulturhistorikers Bernard Lavallé einerseits und des Historikers Lawrence Clayton andererseits und setzt beide Ansätze in Beziehung zu einzelnen Schriften von Las Casas. Der Bezug zu Levinas allerdings bleibt im Beitrag nur ein marginaler und betrifft nur die Sensibilität für den Anderen. (Die Einschätzung des Rezensenten zu diesen beiden Biographien find et sich in: Was bleibt? Zur aktuellen Las Casas-Rezeption, in: M. Delgado [Éd./Hrsg.], »Ces gens ne sont-ils pas des hommes?« Évangile et prophétie / »Sind sie etwa keine Menschen?« Evangelium und Prophetie [Studia Friburgensia vol. 116 / Series historica vol. 10], Fribourg 2013, 247–260.)
David Lantigua geht auf das sensible Thema des Menschenopfers ein, das ein gewichtiges Argument zur Rechtfertigung der Unterdrückung der Indigenen war, nicht zuletzt seitens Sepúl-vedas im Rahmen der Kontroverse von Valladolid. Las Casas versucht, die heftig geführte Debatte dahingehend zu relativieren, dass er auf die natürliche Religiosität der Ureinwohner verweist, die aufgrund der Unkenntnis des christlichen Erlösungswerks auf falsche Götter ausgerichtet sei. Vielmehr gehe es – und das ist das Thema des nachfolgenden Aufsatzes von Ramón Darío Valdivia Giménez – um ein adäquates Bekehrungswerk, das die Europäer zu leisten hätten, das jedoch nichts zu tun habe mit der üblichen Ge­mengelage von Furcht und Zwang.
Teil 3 schließlich handelt von dem sogenannten »Peripheral Catholicism«. Unter diesem etwas seltsam anmutenden Titel vereinen sich Artikel von Eyda M. Merediz zur Las Casas-Rezeption auf den Kanarischen Inseln, die mittelbar über den Dominikaner Alonso de Espinosa erfolgt, und von Laura Dierksmeier, die über den Konflikt zwischen dem Dominikaner Las Casas und dem Franziskaner Toribio de Motolinía schreibt. Die Diskussion war zwar nicht eine grundsätzliche, lief aber dennoch auf eine Distanznahme Motolinías gegenüber den ihm allzu radikalen Positionen von Las Casas hinaus. Die Autorin sieht hier eine grundsätzliche Spannung zwischen reformiertem franziskanischen Millennarismus einerseits und dominikanischer intellektualistischer Missiologie andererseits. Nachlesen kann man den Beschwerdebrief Motolinías an Kaiser Karl V. als Anhang des Aufsatzes. Guillaume Candela zeigt am Beispiel des Weltpriester Martín González die positiven Einflüsse des Lascasianismus im Paraguay des 16. Jh.s. Auch diesem Beitrag wird ein Text angehängt, ein Antwortschreiben von González an Gouverneur Francisco de Vergara. Der letzte Aufsatz schließlich greift ein delikates Thema der Biographie des sonst so menschenfreundlichen Las Casas auf – seine Haltung gegenüber schwarzen Sklaven, die deutlich abschätziger war als seine Sympathie für die amerikanischen Ureinwohner. Armando Lampe macht deutlich, dass Las Casas anfänglich tatsächlich wenig Sensibilität für das Thema zeigte, es aber zu einer »dritten Konversion« (1547) hinsichtlich der Afrikanerfrage kam. Damit schließt er sich der These einiger Forscher an, die sich mit dieser Debatte in den letzten Jahren auseinandergesetzt haben.
Der Rezensent ist überzeugt davon, dass dieses Buch als Teil ebenjener dritten Welle der Las Casas-Forschung bezeichnet werden kann, welche die Herausgeber mit gesundem Selbstbewusstsein in ihrer Einführung in den Sammelband formuliert haben und die die Debatte solide weiterführt.