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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

956–958

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Machilek, Franz

Titel/Untertitel:

Jan Hus (um 1372–1415). Prediger, Theologe, Reformator.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. 271 S. = Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 78/79. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-402-11099-7.

Rezensent:

Eike Hinrich Thomsen

In den letzten Jahren sind, nicht zuletzt angeregt vom Hus-Jubiläum 2015, einige deutschsprachige Monographien über Jan Hus erschienen. Dass nun auch in der katholischen Schriftenreihe zur Reformationszeit »Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung« eine Biographie zu Hus erschienen ist, mag auf den ersten Blick erstaunen. Wer jedoch auf eine Kampfschrift für oder gegen den böhmischen Reformer spekuliert, wird bei der Lektüre dieser ausgewogenen und stets auf dem Boden der aktuellen Forschung stehenden Monographie glücklicherweise enttäuscht werden. Mit dem Mediävisten und Archivar Franz Machilek (* 1934) wurde ein fachkundiger Verfasser gewonnen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder als Autor und Herausgeber auf dem Feld der Hus-Forschung hervorgetan hat.
Die vorangestellte »Einführung« bietet einen prägnanten Einblick in die bisherige Hus-Rezeption und -Forschung. Zusammen mit dem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis zeugt sie von der tiefschürfenden Beschäftigung mit der Thematik. Nach einer kurzen Einführung in »Gesellschaft und Kirche in Böhmen« um 1400 widmet sich der Hauptteil dem »Leben und Werk des Jan Hus«. In insgesamt 30 Kapiteln wird der Werdegang Hussens zu einem exponierten Vertreter der Prager Reformbewegung nachgezeichnet. Letzten Endes bezahlte dieser sein Eintreten für eine Kirchenreform und sein Festhalten an den gewonnenen Wahrheiten sowie seine Kritik an der Papstkirche mit dem Leben. Dass der begeisterte Prediger, Moralschriftsteller und entschiedene Klerus- und Kirchenkritiker weitaus mehr war als ein bloßer Kompilator des von ihm geschätzten englischen Reformtheologen John Wyclif, ist eine wichtige Einsicht. Auch dass Hus trotz allem ein eher gemäßigter Vertreter des Reformflügels war, wird bei der Lektüre deutlich. Einige Themen, wie zum Beispiel die Frage nach Hussens Stellung zum Abendmahlsverständnis des John Wyclif (Remanenzlehre), beschränken sich nicht nur auf einzelne Kapitel, sondern werden fortlaufend behandelt.
Mit den letzten beiden Kapiteln weicht M. schließlich von der klassischen Gliederung bisheriger Biographien ab und kommt auf Aspekte zu sprechen, denen in anderen Darstellungen tendenziell weniger Raum eingeräumt wird. M. verzichtet auf den obligatorischen Abriss der weiteren Rezeption Hussens in der Reformationszeit und darüber hinaus. Da es vor allem zum Thema Luther und Hus zahlreiche Überblicksdarstellungen gibt, ist dies durchaus zu verschmerzen. Lediglich ein kurzer Überblick über die dezidiert katholische Rezeption von Hus (z. B. durch Johannes Cochlaeus im 16. Jh.) wäre sinnvoll gewesen und hätte das von Hus gezeichnete Bild abgerundet. Stattdessen wird, beginnend mit dem 20. Jh., der i n der Forschung vieldiskutierten Frage nachgegangen, ob Hus »Ketzer oder Reformator« gewesen sei. Diese Frage war – selbst innerhalb des Katholizismus – nie unumstritten, wie M. anhand einiger Beispiele nachweist. Abschließend widmet sich der Text »Hus im heutigen ökumenischen Dialog der christlichen Kirchen«. In diesem letzten Kapitel zeichnet M. einige Linien der sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s anbahnenden Entspannung in Bezug auf den Umgang mit Hus nach. Diese mündete unter anderem in zwei ökumenischen Fachkonferenzen (1993 in Bayreuth und 1999 im Vatikan). Auch die Jubiläen von 1965 und 2015 führten zu einer Annäherung und einem anhaltenden ökumenischen Austausch über Hus. So bekundete Papst Johannes Paul II. 1999 sein »tiefes Bedauern« (213) über den Tod des Prager Priesters und die daraus erwachsenen Konflikte. Papst Franziskus hob 2015 hervor, dass Hus nun ein »Gegenstand des Dialogs« (215) geworden sei. Eine Rehabilitation vom Ketzervorwurf ist mit diesen Aussagen freilich noch nicht verbunden. Ob eine solche überhaupt kirchenrechtlich möglich und vom Vatikan gewollt ist, muss aufgrund der bis heute bestehenden theologischen Differenzen über die Lehre Hussens offenbleiben.
In diesen Befund fügt sich die Aussage M.s, dass die Frage nach einer Rehabilitation zuletzt gegenüber der Betonung positiver Aspekte in Hussens Wirken, Frömmigkeit und Lebensführung zurückgetreten sei (216). Ob Hus mit diesem Vorgehen letzten Endes weichgezeichnet und seiner eigentlichen theologischen An­liegen beraubt wird, ist eine Frage, die von M. zwar nicht direkt aufgeworfen wird, sich aber dennoch am Ende des letzten Kapitels dem Leser stellt. Vielleicht spiegelt sich in den ambivalenten Aussagen auf katholischer Seite ein noch immer anhaltendes Unbehagen im Umgang mit Hus wider? Die Kirchen der protestantischen Tradition befinden sich mit ihrem seit Jahrhunderten feststehendem Narrativ von Hus als einem Vorläufer der Reformation in dieser Frage in einer erheblich komfortableren Position. Mit diesen Anregungen zum weiteren Nachdenken bieten die beiden letzten Kapitel mehr als nur ökumenische Einblicke und hätten sogar noch ausführlicher gestaltet werden dürfen.
Ob es sich bei Jan Hus, wie der Titel nahelegt, tatsächlich um einen »Reformator« handelte, wird nicht weiter diskutiert. Unumstritten ist diese Zuschreibung in der Forschung nicht. Gerade die letzten beiden Kapitel werfen die Frage auf, ob Hus nicht mit dem Attribut des »Reformers« besser und korrekter beschrieben wäre. Dieser Frage im Detail nachzugehen, ist sicherlich nicht die Aufgabe einer Überblicksdarstellung. Dennoch sollte die Debatte über die Begrifflichkeiten, mit denen Hus adäquat zu beschreiben ist, auch weiterhin geführt werden.
Mit eigenen Wertungen und Hypothesen hält sich M. weitestgehend zurück und stützt sich in der Darstellung auf die gründlich rezipierte Literatur sowie die vorliegenden Quellen. In einigen Kapiteln hätte der Text jedoch durch deutlichere Einordnungen an Prägnanz gewinnen können. Auch wenn das häufige Referieren von Forschungsmeinungen im Text als ermüdend empfunden werden könnte, zeugen die vielen Belege und Bezugnahmen von der Akribie, mit der die Forschung zu Hus durch M. über die letzten Jahrzehnte verfolgt wurde. Zudem bietet M. dem Leser einen breiten und wertvollen Einblick in die für viele Interessierte schwer zu rezipierende tschechische, aber gleichermaßen in die deutsche, französische oder englische Literatur. Auch dass vor allem Hus sowie ausgewählte Zeitgenossen in längeren Quellenauszügen im­mer wieder zu Wort kommen, ist positiv zu würdigen. Das Werk bedient sich einer gut verständlichen Sprache. Positiv hervorzuheben ist ebenfalls die bei der Erstnennung zweisprachig gehaltene Verwendung von Orts- und Personennamen. Ein Register ist leider nicht enthalten.
M. vermag es, ein klares und differenziertes Bild von Hus und der Prager Reformbewegung zu entwerfen. Nicht nur für den Einsteiger in die Thematik bietet die Lektüre einige interessante Einsichten und Anregungen zum Weiterdenken. M. hat somit ein Werk vorgelegt, das auf verhältnismäßig wenigen Seiten vieles leis-tet und eine Bereicherung der Hus-Forschung darstellt.